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beigen Sommeranzug. Darunter ein hellblaues Hemd. Er war schlank, hatte schütteres, dunkelblondes Haar, das altmodisch gescheitelt war. Eine leicht getönte Brille verschleierte seinen Blick. Sein Gesicht war blass und ausdruckslos. Seine Haltung schlecht, die Schultern krümmte er nach vorne. Das einzig auffällige an ihm war ein drei Zentimeter langer Krater, der unter dem linken Ohr begann und wie ein kleiner Pfeil abseits auf das Schlüsselbein zeigte. Eine Vertiefung, in der die Haut zerknüllt war und rosig glänzte.

      Sein Gepäck bestand aus einem wuchtigen Lederkoffer und einer Umhängetasche. Man hätte sich fragen können, warum ein Mann für nur eine Übernachtung so viel Gepäck mit sich schleppte. Aber wer achtet schon auf die Menge des Gepäcks. Es gab viele Gründe, nur mit einer kleinen Reisetasche oder mit einem halben Kleiderschrank zu reisen.

      Bei der telefonischen Buchung hatte Belmour erwähnt, dass er schon einmal im Hotel logiert hatte und damals äußerst zufrieden gewesen sei. Er erinnere sich noch an den bezaubernden Blick aus dem Fenster auf die weite Parklandschaft und wäre sich ziemlich sicher, dass er

      damals das Zimmer zweiundvierzig gehabt habe, und wenn das Zimmer zufällig frei sei...? Er bekam das Zimmer.

      Bescheiden lehnte Belmour die Hilfe des Hotelboys ab und trug seinen Koffer selbst. In der vierten Etage stieg er aus und betrat den Flur, an dem zu beiden Seiten je acht Zimmer lagen. Er wartete, bis ein anderer Gast den Gang verließ und setzte seinen Koffer ab. Er öffnete die Tür rechts neben dem Fahrstuhl und ließ seinen Blick durch das dahinter liegende Treppenhaus schweifen. Dann schloss er die Tür wieder.

      Das Hotel hatte zwei Fahrstuhlschächte jeweils an den Giebeln des lang gestreckten Baus. Zwischen den Fahrstühlen und den Zimmern gab es auf jeder Etage Abstellräume für die Geräte und Putzmittel des Reinigungspersonals. Belmour drückte die Klinke der Kammer neben seinem Zimmer und fand sie unverschlossen. Ein kurzer Blick genügte ihm. Der Raum war mit Kanistern, Eimern und Reinigungsmaschinen voll gestellt. Leise schloss er die Tür und wandte sich dann Zimmer Nr. 42 zu. Er schloss die Tür auf und betrat den Raum. Als erstes ging er zum Fenster, öffnete es und zog die Gardine wieder ordentlich davor. Dem Ausblick gönnte er keinen Blick. Er öffnete den Schrank, zog sein Jackett aus und hängte es über einen Bügel. Den Koffer stellte er in das untere Schrankfach. Er streifte die Schuhe ab, legte die Brille auf den Nachttisch und warf sich auf das breite Bett. Er richtete die Augen auf die Zimmerdecke und sein Blick wurde leicht glasig, als dämmere er schon im Halbschlaf dahin. Doch das täuschte. In Gedanken prüfte er jedes Detail seines Plans. Irgendwann schlief er zufrieden ein.

      Am frühen Abend bestellte er sich eine kalte Platte und ein Guinness beim Zimmerservice. Er verließ das Hotel erst am nächsten Morgen. Auf das Frühstück verzichtete er, ein Mann, der womöglich einen Geschäftstermin und es eilig hatte.

      Später an diesem Vormittag betrat ein Mann in einem dunkelgrünen Overall das Foyer. Auf der Brusttasche war ein dem Personal bekanntes Logo aufgedruckt. Es wies den Mann als Angestellten der Firma aus, die für die Wartung der Fahrstühle des Hotels unter Vertrag stand. Der Mann trug ein Käppi im gleichen Grün, unter dem krause schwarze Haare bis auf den Kragen quollen. Er hatte ein sonnengebräuntes Gesicht, das Aknenarben auf Kinn und Wangen nicht etwa entstellten, sondern noch markanter machten. Das Haar verdeckte eine lang gestreckte Narbe am Hals.

      Er stellte sich am Empfang vor, zeigte einen Firmenausweis und scherzte mit der Angestellten. Er sprach von einer Routinekontrolle und dass er jeweils einen Fahrstuhl für einige Zeit außer Betrieb setzen müsse. Die Angestellte seufzte gespielt unwillig. Der Mann beugte sich über den Tresen, fischte mit seinem besten Flirtgesicht nach ihrem Lächeln und machte ihr mit männlich rauer Stimme Komplimente. Dann nahm er seinen Werkzeugkoffer auf und verschwand in Richtung Fahrstuhl. Er fuhr in den vierten Stock, steuerte das Zimmer mit der Nr. 42 an, zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete die Tür. Er holte den Koffer aus dem Schrank, öffnete ihn und machte sich an die Vorbereitungen. Nach knapp zwei Stunden war der Mann mit seinen Arbeiten an beiden Fahrstühlen fertig.

      Gegen vierzehn Uhr kam Mr. Belmour ins Hotel zurück, holte sein Gepäck aus dem Zimmer und checkte aus. Bevor er in das Taxi stieg, drehte er sich um und warf einen bedauernden Blick zurück. Er konnte sich vorstellen, noch ein paar Tage zu bleiben. Aber sein Auftrag war erfüllt. Wie immer hatte er hervorragende Arbeit geleistet. Es war besser, er würde den Leuten im Hotel keinen Anlass geben, sich an ihn zu erinnern.

      Am nächsten Tag, einem Sonntag, verließ der letzte Gast gegen Abend das Hotel. Montag Mittag waren die üblichen Spuren des Wochenendbetriebes getilgt. Das Personal, bis auf wenige Mitarbeiter, wurde in einen Zwangsurlaub entlassen. Nachmittags überschwemmte ein Heer von Handwerkern, Technikern und dem Sicherheitspersonal das Hotel und das umliegende Areal. Schon am Abend war ein fast drei Kilometer langer Sicherheitszaun um das Grundstück gezogen. Nur noch ausgesuchtes Personal mit speziellen Ausweisen hatte ab jetzt Zugang. Man hatte nur zwei Wochen Zeit das Hotel für ein Treffen der europäischen Außenminister umzurüsten. Der Gipfel war sehr kurzfristig anberaumt worden.

       2

      Cork, Irland

      Die Mc Cabs fuhren mit ihrem alten Volvo stadtauswärts. Mary saß vorne neben Jay Pop. Ihr Schwiegervater hatte selten Gelegenheit zum Fahren und hatte sich gleich händereibend hinter das Steuer gedrängt. Ryan saß hinten. Er war geduldiger mit ihrem fünfjährigen Sohn, der vermutlich nach kurzer Zeit anfangen würde zu quengeln. Dann erzählte Ryan Endlosgeschichten, an denen auch die Erwachsenen ihr Vergnügen hatten und in die sie sich ausschmückend einmischten. Im Moment aber schlief der kleine Liam.

      Jay Pop hatte Geburtstag, sein zweiundfünfzigster, und weil er kaum noch aus seinem Laden herauskam und oft davon sprach, dass er gerne mal wieder in den Süden runter wolle, hatten Mary und Ryan ihm diese Reise geschenkt. Und um ihn zu trösten, ihm zu demonstrieren, das Leben hat noch andere Seiten zu bieten, als tagaus, tagein in einem Laden zu sitzen, der nichts mehr abwarf, der nur rote Zahlen schrieb. Der Laden gehörte jetzt der Bank und Ende des Monats mussten sie ihn räumen. Auch sie hingen an dem Laden und ein anderes Leben war kaum vorstellbar. Gleichzeitig lockten Veränderungen, zumindest wenn man so jung wie sie war.

      Mary erinnerte sich, wie sie das erste mal vor dem Glaspalast, wie sie den Laden nannten, stand. Sie war gerade in eine Studentenbude ein paar Straßen weiter gezogen. Es war im Winter, Schnee lag auf den Straßen. Sie kam mit dem Fahrrad von der Uni. Sie bremste so plötzlich, dass ihr Rad ins Schlingern geriet und sie fast gestürzt wäre.

      Aus dem Schaufenster leuchtete ihr ein bunter Traum, ein glitzerndes Versprechen entgegen. In der Mitte des Fensters hing eine Tafel. Ein weihnachtlich, biblisches Motiv, aus feinstem Glas gefertigt. Da hingen Sterne und Monde, Perlenschnüre und standen Engelkerzenhalter aus buntem Glas, kitschig und wunderschön. Tiffanyimitate neben modernem Design. Eine stilisierte Tanne aus durchscheinend grünen Glasplättchen war so raffiniert beleuchtet, als würden Kerzen eine weihnachtliche Stimmung zaubern. Die Beleuchtung selbst war ein Kunstwerk. Man sah keine Strahler, keine Lampen. Geschickt von oben und der Seite ausgeleuchtet, war das Fenster ein perfekt gestaltetes Bühnenbild.

      Vielleicht werden Erwachsene zur Weihnachtszeit ein bisschen rührselig und bunte Kinderträume und Erinnerungen rücken wieder näher. Mary fühlte sich in Zeiten zurückversetzt, in denen man sich noch verzaubern ließ. Sie betrat den Laden und kaufte einen kleinen Kerzenleuchter. Und weil sie fast täglich am Laden vorbei kam, wurde sie zur Stammkunden mit kleinem Budget. Als Ryan sie herumführte, war sie schon längst verliebt.

      Das Haus war ein schmales Reihenhaus, so wie sie schon immer in diesem Stadtteil gestanden hatten. Hinter dem Laden lag eine Werkstatt, in dem Jay Pop seine Kunstwerke fertigte und ihn jetzt Ryan immer mehr ablöste. Die Küche daneben hatte ein Glastür, die in einen winzigen, vernachlässigten Garten führte. In der oberen Etage wohnten die beiden Männer. Eine Frau gab es nicht, bis ihr Ryan einen handgroßen, blauen Engel schenkte, bis sie mit Liam schwanger war und einzog.

      Nun waren sie auf dem Weg nach Glangariff , auf der Halbinsel Beara. Man hat dort, behauptet man, das beste Klima Irlands. Sie waren um sechs Uhr aufgebrochen. Der Himmel lag wie ein schweres graues Tuch über der Stadt und