Caro Weidenhaus

Irrländer


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waren mehr als zwei Stunden gelaufen, hatten einige kleinere Orte passiert und manchmal hatten sich ihnen Leute spontan angeschlossen. Mary hatte Blasen an den Füßen und ihr Hals war rau und trocken. Eine Frau, die schon eine Weile neben ihr hergelaufen war, bemerkte ihren gierigen Blick und reichte ihr eine Flasche mit Wasser. „Nimm, ich habe genug.“ sagte sie. Mary trank dankbar. Das Wasser war lauwarm und schmeckte metallisch. Einige Kilometer später wurde ihr übel. Sie kämpfte mit einem Brechreiz. Ihr war schwindelig. Die Anstrengung, dachte sie, oder es kommt vom Wasser. Vielleicht hat die Frau es aus einem dreckigen Brunnen oder aus einem Bach geschöpft und ich habe mich vergiftet. An die „Neue Pest“ wollte sie noch nicht denken. Daran sind schon Menschen gestorben.

      Sie schleppte sich noch eine Weile weiter. Dann bekam sie furchtbare Bauchkrämpfe. Sie ließ sich am Straßenrand ins Gras fallen. Plötzlich wollte sich ihr Darm unkontrolliert entleeren und sie raffte sich mit aller Kraft auf, schaffte es aber nur wenige Schritte in die Wiese hinein. Hinterher fühlte sie sich schwach, aber die Krämpfe waren nicht mehr ganz so quälend. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht alleine litt. Alle paar Meter hockten Menschen auf der Wiese, von hohem Gras oder niedrigen Büschen kaum geschützt, und jammerten und stöhnten. Am Straßenrand ratlose Zuschauer. Ein groteskes, peinliches Schauspiel.

      Von der Energie, die den kilometerlangen Menschenzug angetrieben hatte, war nichts mehr zu spüren. Als läge ein Fluch über der Demo und die Menschen erkrankten nur auf Grund ihrer Teilnahme. Die Leute hockten sich an den Straßenrand und versuchten über ihre Handys den ärztlichen Notruf und Krankenwagen zu rufen. Aber es schien kaum noch freie Leitungen zu geben. Als letzten Ausweg rief man Freunde, Verwandte, jeden den man erreichen konnte und der über ein Auto verfügte, an.

      Mary bekam von all dem nichts mehr mit. Sie lag mit geschlossenen Augen im Gras. Sie brannte vor Hitze und die Schmerzen waren so heftig wie damals bei Liams Geburt. Irgendwann trug sie ein fremder Mann auf seinen Armen zu einem Auto und stopfte sie zu zwei anderen Frauen auf die Rückbank. Er hatte vor Stunden einen Anruf von seiner Tochter bekommen, aber weil er sie in dem Chaos unmöglich finden konnte, hatte er sich die nächsten Kranken eingeladen. Er hoffte, dass auch seine Tochter Hilfe von einem fremden Samariter bekommen würde. Er fuhr an diesem Tag noch mehrere Touren ins Hospital von Cork.

       3

      Dr. Malloy machte sich Sorgen. Sie war kein Mensch, der sich viel sorgte. Schon deshalb war dieser Zustand beunruhigend. Schon als der Anruf kam und sie kaum Zeit hatte zu packen, bevor man sie abholte, hatte sie ein ungutes Gefühl. Ein gute Woche vorher hatte man ihr einen Urlaub verordnet. Urlaub auf Befehl. Sie hatte nachgegeben, da sie schon länger auf dieses zweifelhafte Vergnügen verzichtet hatte. Ihre wenige Freunde hatte sie informiert. Genau am Abend vor Urlaubsbeginn hatte man sie abgeholt. Da lag der Verdacht nahe, dass beides zusammenhing und geplant war.

      Der Anruf kam von höchster Stelle. Schon die Einladung, die mehr wie ein Befehl formuliert war, hatte Dr. Malloy verwundert. Als man ihr mitteilte, dass sie in beratender Funktion zu dem Außenministertreffen in Dublin eingeladen war, reagierte sie ungläubig. Sie war Leiterin des Katastrophenschutzes für Irland. Ein Posten zugegebenermaßen in schwindelnder Höhe. Aber sie fand, nicht hoch genug, um solch einen bedeutenden Gipfel zu erklimmen. Die Fragen des Katastrophenschutzes konnten zwar durchaus grenzübergreifende Zusammenarbeit nötig machen, waren aber kaum Inhalt von weltpolitischen Entscheidungen. Auch wenn die Art, wie man sie informiert hatte, ungewöhnlich war, versuchte sie die misstrauischen Stimmen zu beschwichtigen. Bestenfalls stand sie vor einem Sprung auf der Karriereleiter. Wohin auch immer.

      Kaum hatte sie den Anruf und Befehl erhalten, den Telefonhörer aufgelegt, klingelte es schon an ihrer Haustür. Die beiden Männer stellten sich vor, beriefen sich auf den Anruf und wiesen sich als Beamte des Staatssicherheitsdienstes aus. Auf Fragen antworteten sie ausweichend. Unter ihren Augen packte sie ihre Sachen. Es sei weder nötig, dass sie ihren Laptop oder das Handy mitnehme, sagte der ältere der beiden, der Wortführer. Sie protestierte. Ohne diese Dinge fühle sie sich amputiert.

      „Lassen sie es hier.“ Der Ton in seiner Stimme verbot jede Diskussion darüber. Sie gehorchte.

      Auf der Fahrt in einem Auto mit passend zu der Situation getönten Scheiben, hörte sie bald auf, Fragen zu stellen. Die beiden Männer gaben vor, nicht mehr als sie informiert zu sein. Sie solle sich freuen. Es sei schließlich eine Ehre mit bedeutenden Politikern Europas zusammenzuarbeiten.

      Gedanklich zog sie eine gerade Linie :

      Katastrophenschutz – EU Gipfel – Katastrophe.

      Morgens brauchte es seine Zeit, bis ihr Gedankenapparat warm gelaufen war. Dann mied sie Kontakte und erst recht wollte sie nicht angesprochen und zu einem Gespräch genötigt werden. Deshalb verließ sie den breiten Hauptweg und nahm die schmalen Trampelpfade, die von einem nächtlichen Regen noch aufgeweicht waren. Gegen morgen hatten sich die Wolken verzogen und jetzt dampfte das Gras unter einem klaren Himmel. Das war hübsch.

      In diesen sehr frühen Morgenstunden hatte sie den Park bisher für sich alleine gehabt. Ein Privileg, für dass sie gerne früher als gewöhnlich aufstand. Während die meisten anderen Teilnehmer es vorzogen, bis in die Nacht hinein im Foyer oder an der Bar herumzuhängen, um dann morgens knapp vor dem Frühstück, mehr oder weniger verkatert, aus den Federn zu steigen. Sie hatte kein Interesse daran, sich mit anderen Teilnehmern im Foyer herumzudrücken, einen Drink zu nehmen und Smalltalk zu machen. Sie bevorzugte eine einfache und spartanische Lebensweise und für das Bedürfnis mancher Menschen, in Prunk und Luxus zu baden, fühlte sie nur Verachtung. Das Hotel war kein Ort, an dem sie sich wohlfühlen konnte. Und die Umstände trugen erst recht nicht dazu bei. In den vier Tagen, die der Gipfel jetzt dauerte, war ihr Unbehagen eher gewachsen. Dazu trugen die Geheimniskrämerei und die Gerüchte bei, die in den Pausen von Mund zu Ohr gingen.

      Als sie wiederholt Geräusche hinter sich hörte, drehte sie sich unwillig um. Eine entfernte Gestalt hastete vom Ende des Weges auf sie zu.

      „Dr. Malloy! Hallo,hallo, warten sie.“

      Sie gehorchte und wartete. Es war Collins, der hechelnd auf sie zu kam. Sein Gesicht war rot angelaufen, als hätten ihn die wenigen Meter schon angestrengt. „Ich kenne ihre morgendlichen Gewohnheiten und bin ihnen gefolgt.“ erklärte er.

      „Dafür haben sie hoffentlich einen plausiblen Grund. Ich habe nicht mal einen Kaffee getrunken, geschweige die erste Zigarette geraucht.“

      Er trottete hartnäckig neben ihr her. „Ich schlafe nicht gut. Manchmal habe ich sie morgens gehört, wie sie ihr Zimmer verließen. Sie sind wie ich ein Morgenmensch.“

      „Spionieren sie mir nach?“

      „Nein, nein. So ist das nicht. Ich muss mit jemanden reden und sie scheinen mir vertrauenswürdig.“

      Der Weg stieß wieder auf den Hauptweg. Einige Meter entfernt stand eine Bank. „Setzen wir uns.“ sagte sie, jetzt neugierig geworden und weil er immer noch laut schnaufte. Womöglich bekam er noch einen Herzanfall und sackte ihr in die Arme.

      „Ich werde den Gipfel noch heute verlassen. Und nichts wird mich hindern. Und wenn das Flucht bedeutet. Ich bin entschlossen.“ Er schwieg, rang wohl um Worte oder Erklärungen. Seine Augen hetzten hin und her, als suchten sie nach Lauschern oder nach einem Fluchtweg.

      Sie kannten sich nur flüchtig. Ihre Zimmer lagen sich gegenüber und ein paar mal waren sie sich auf dem Flur oder im Fahrstuhl begegnet. Aber sie hatten kaum mehr als höfliche Grüße gewechselt. Sie wusste, dass er Dolmetscher war. Sie hatte ihn mehrmals im Restaurant oder an der Bar mit anderen Übersetzern gesehen.

      Collins sah wie das Klischee eines Iren aus. Er hatte die Statur und das Gesicht eines Bauern, wirkte kräftig und zuverlässig. Die Augen blickten freundlich und sein Lächeln lag breit zwischen rosigen Kinderwangen. Er trug schlecht sitzende Anzüge, die seine runde Mitte betonten.

      Als sie einmal zufällig gemeinsam den Aufzug benutzten, hatte er sich vorgestellt. „ Collins, Ire, und sie?“ sagte er. Als sie sich ebenfalls zu Irland bekannte, war ihm die Irritation anzumerken. Als