Caro Weidenhaus

Irrländer


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      Sie musste ihm Recht geben, hatte sich auch schon gewundert, dass unter den Fachleuten wesentlich mehr Landsleute als andere Nationalitäten vertreten waren. Logischer wäre, dass man die Besten ihres Faches, welcher Herkunft auch immer, bevorzugt hätte.

      „Ich bin ein neugieriger Mensch,“ erklärte Collins jetzt. Das klang nicht prahlend, sondern eher bedauernd, als hätte ihn seine Neugier in diese anscheinend missliche Lage gebracht. „Ich habe mich umgehört, mit allen möglichen Leuten gesprochen. Hier eine Information, da ein unüberlegter Satz und als Übersetzer bekommt man so einiges mit.“

      „Collins. Was genau wollen sie mir sagen?“ Sie konnte Leute nicht ausstehen, die endlos redeten, bevor sie zur Sache kamen. Wenn man denn überhaupt heraus bekam, was ihr Anliegen war.

      Er hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt und den Kopf in den Händen vergraben. Das Haar hing ihm wirr und schweißnass ins Gesicht. Er ruckte mit dem Oberkörper hin und her und wippte mit den Knien auf und ab, als hätte er einen Anfall. Sie legte eine Hand auf seine Schulter, da richtete er sich wieder auf. Er stöhnte und wischte sich mit den Händen über das Gesicht. Seine Haut sah ungesund gerötet aus, als hätte er Fieber.

      Dann quollen die Worte aus ihm heraus, als müsse er sich übergeben, mit Worten übergeben. „Das ist eine Verschwörung, wie sie nie vorher gewesen ist. Das wird die Welt verändern. Natürlich habe ich mich mit anderen Übersetzern unterhalten, was nicht erlaubt war. Nicht über das Gehörte reden. Nicht darüber nachdenken oder eigene Schlüsse ziehen. Aber ich habe Ohren, kann einige Sprachen verstehen. Bin nicht blöd. Die Pläne...“

      Er unterbrach sich mitten im Satz, sein Kopf fuhr herum, reagierte auf die Stimmen. Zwei Männer des Sicherheitspersonals schlenderten durch den Park, kamen näher, taten harmlos und grüßten herüber. Collins beugte sich vor, sie verstand ihn kaum. „Wenn Menschen Angst haben, aus gutem Grund, oder wenn man ihnen die Gefahr nur suggeriert, akzeptieren sie sonst unmögliches.“ sagte er.

      Die Männer setzten sich auf eine Bank einige Meter weiter. In Hörnähe. Collins stand auf, sagte leise „Später.“ und verschwand in Richtung Hotel. Nach wenigen Minuten standen die Männer auf und gingen ihm nach. Oder sie wollten zufällig auch ins Hotel zurück. Es war Frühstückszeit.

      Sie hatte keinen Hunger, nestelte die Zigarettenpackung aus der Hosentasche und zündete sich eine an. Zog den Rauch tief ein. Ihr leerer Magen krümmte sich unter der Attacke.

      Collins Erregung hatte sie angesteckt. Oder den Misstrauensvirus wieder aktiviert. Es kam nicht oft vor, dass sie so spontan auf die überschwappenden Gefühle anderer Menschen reagierte. Sie verfügte über einen natürlichen, starken Filter, der alle Banalitäten, Gefühlsgeschosse und kindische Aufregungen fern hielt. Auch jetzt machte sie den Versuch, die Szene nüchtern zu analysieren. Collins Auftritt und seine Andeutungen schienen paranoid, auf jeden Fall rätselhaft. Sie liebte Rätsel. Wo andere aus Langeweile Kreuzworträtsel lösten, bevorzugte sie knifflige mathematische Gleichungen.

      Wollte man Dr. Malloy einem Intelligenztest unterziehen, müsste man ihn neu erfinden. Mit knapp siebenunddreißig hatte sie eine so rasante Entwicklung hingelegt, als sei sie nur auf der Durchreise zu weit höheren Zielen. Sie hatte ihren Doktor in Chemie gemacht, parallel einige Semester Physik studiert und ein Studium der Betriebswirtschaft abgeschlossen. Sie lebte nicht in der Welt wie gewöhnliche Menschen, sondern bewegte sich in Gedankenräumen, in denen wundersame klare Gebilde geboren wurden, deren Geburtshelfer Logik, Analyse und eine Begabung zur Organisation waren. Sie hatte wenig Privatleben, war äußerst diszipliniert und gestattete sich kaum Schwächen. Außer einer, sie war eine Kettenraucherin. Diese Sucht sollte ihr wenige Tage später das Leben retten.

      Dr. Malloys Vater war mit zwanzig Jahren über ein Stipendium nach England gekommen. Er stammte aus einem gebildeten, somalischen Clan. Ihre Mutter, Irin, heiratete ihn und entführte ihn nach Dublin. Beide Eltern lebten nicht mehr.

      Dublin war Dr. Malloys Heimat. Obwohl ihre Hautfarbe von einem tiefen Braun war, hatte sie kaum unter Nachteilen zu leiden. Man konnte Dublin nicht unbedingt als weltoffen oder als multikulturellen Schmelztiegel bezeichnen, doch sie war selten mit den Vorurteilen der Straße in Berührung gekommen. Ihre Familie bewegte sich ausschließlich in dem wohlwollenden, engen Milieu des Bildungsbürgertums.

      Die Größen aus Politik und Wirtschaft tuschelten Geheimnisse hinter Türen, die Dr. Malloy verschlossen blieben. Sie war es gewohnt, Entscheidungen selbst zu treffen und Zugriff auf alle Informationen zu haben, die ihr für ihre Arbeit wichtig erschienen. Jetzt ahnte sie

      nicht einmal, was hinter den geschlossenen Türen vor sich ging und es machte sie wütend und unruhig, dass aber auch rein gar nichts durch eben diese Türen drang.

      Parallel zum inneren Kreis gab es Arbeitsgruppen mit Fachleuten aus den unterschiedlichsten Ressorts. Ihre Gruppe bestand aus acht Personen, die für Bereiche wie öffentliche Sicherheit, Verkehr und die Mehrzahl für den Katastrophenschutz zuständig waren.

      Man nannte es ein Planspiel. Abklopfen aller Möglichkeiten und Schwachpunkte. Erstellen sie einen vollständigen Plan für die Evakuierung der gesamten Bevölkerung eines Landstriches, eines Staates, einer größeren Insel. Zum Beispiel für Irland. Kein Grund für Spekulationen oder Befürchtungen. Nur ein Handlungsmodell, dass hoffentlich nie zum Ernstfall wird. Dr. Malloy war natürlich für Irland zuständig. Eine gewaltige, aber durchaus reizvolle Aufgabe.

      Collins, als Übersetzer, hatte durch seine Funktion zwangsläufig mehr Insiderwissen. Hatte er womöglich von Plänen erfahren, die ihm suspekt oder bedrohlich schienen? War das der Grund für seine Panik. Wollte er deshalb diese abgeriegelte Burg hinter sich lassen, und das anscheinend ohne Plan und Überlegung. Einfach nur auf schnellstem Wege raus. Obwohl er wie alle anderen mit seiner Unterschrift versichern musste, dass er den Gipfel weder zwischendurch, noch vorzeitig verlassen würde. Vielleicht gab es auch noch private Gründe für sein Verhalten. Obwohl man keinerlei Nachrichten von draußen empfangen konnten, egal, ob die Frau ein Kind bekommen, man eine Million in der Lotterie gewonnen hatte oder der Vater im Sterben lag.

      Die vagen Aussagen über die wahren Ziele des Gipfels konnten schon misstrauisch machen. Die Außenminister Europas, daneben die mächtigsten Köpfe aus Wirtschaft und der IT Branche wälzten nun seit vier Tagen hinter sehr verschlossenen Türen Pläne. Ein enormer Aufwand wurde betrieben. Das Hotel, die teuerste Adresse in ganz Irland, lag in einer weiträumigen Parkanlage und hatte einen eigenen, kleinen Flugplatz. Es verfügte über achtzig First Class Zimmer und zwei Dutzend Suiten, einen Golfplatz, sowie einigen Tennisanlagen, mehreren Pools und acht Tagungsräumen. Das mitgebrachte Personal, die Berater und Bodygards der Gäste waren in dem alten Hotelgebäude untergebracht.

      Die Sicherheitsmaßnahmen waren gigantisch, trotz der knappen Vorbereitungszeit. Niemand, nicht mal ein Gedanke, scherzte man, konnte hier auch nur einen unbemerkten Schritt tun. Die Gäste und das Personal waren während der Tagung total isoliert, sie konnten weder das Gelände verlassen, noch nach draußen telefonieren. Handys waren nicht zugelassen. Es drangen auch keine Informationen über die Tagungsinhalte oder

      dessen Verlauf an die Medien. Reporter kamen nicht einmal in Rufnähe des Hotels. Die Öffentlichkeit wurde mit den üblichen Schlagzeilen vom ernsthaften Ringen zur Bewältigung der Wirtschaftskrise gefüttert.

      Die Iren wunderten sich kurz, dass man ausgerechnet ihr Land für den Gipfel gewählt hatte. Und weil man von solchen Treffen schon lange nichts mehr erwartete, wandte sich das Interesse schnell wieder anderen Themen zu. Irland war es gewohnt, arm zu sein, oft so bitterarm, dass es bis heute kaum einen Familienclan gibt, der nicht eins oder mehrere seiner Kinder vor dem drohenden Hungertod in ferne Länder hinausgeschickt hatte. Es spürte auch jetzt die Wirtschafts- und Finanzkrise in voller Härte, war aber noch verschont von größeren Unruhen und gewalttätigen Ausschreitungen geblieben. Es gab regelmäßig Solidaritätskundgebungen und kleinere Demonstrationen, die sich schnell zerstreuten und deren Teilnehmer nicht selten in Pubs ihren Frust hinunterspülten.

      In der Mittagspause und am Abend hielt sie nach Collins Ausschau, konnte ihn aber nicht entdecken. War er etwa wirklich geflohen? Oder hatte er sich nur verkrochen wie ein ängstliches Tier? Sie