Caro Weidenhaus

Irrländer


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in der Badewanne entspannen. Während das Wasser einlief, öffnete sie das Fenster, steckte sich eine Zigarette an und lehnte sich beim Rauchen weit hinaus.

      Der ganze Bau war eine einzige Nichtraucherzone. Im

      Moment war ihr das egal. Dann sollte man verdammt nochmal nur Nichtraucher einladen oder ein Extra Raucherhaus einrichten. Sie sah es vor sich, ein lieblos in die hinterste Parkecke geklatschten Bau, über dem eine dicke, graue Wolke hing. Den man nur verlassen durfte, wenn man eine geruchsneutralisierende Schleuse passierte. Und in dessen Zimmer nicht Turnerdrucke hingen, sondern Plakate mit Aufnahmen von geteerten Lungen und Sprüchen wie „Rauchen kann tödlich sein.“

      Sie wollte ins Bad, das dicht neben der Tür zum Flur lag, als draußen sehr laute Stimmen zu hören waren. Sie erkannte Collins. Seine Stimme war hoch, quäkend, nicht sehr männlich. Eine andere Männerstimme, leiser, energisch. Sie öffnete die Tür und schaute auf den Flur. Collins Zimmertür stand weit offen. Zu sehen war nichts.

      „Sie können mich nicht daran hindern.“ rief er.

      „Nun beruhigen sie sich doch.“ Dann leiseres Gemurmel.

      Kurz entschlossen griff sie sich ein Buch von ihrem Nachtisch und trat auf den Flur. Ein Wachmann kam gerade aus Collins Zimmer. Er grüßte, nahm Haltung an und seine Miene drückte Misstrauen aus, wie man das bei Sicherheitsleuten erwartete. Wahrscheinlich litten sie alle an Paranoia.

      „Ich möchte zu Mister Collins.“ sagte sie. Ihre Stimme und Haltung drückten Autorität aus und duldeten keinen Widerspruch.

      Der Wachmann schob unsicher seine Lippen vor und knetete sein Kinn. Doch er wich keinen Millimeter von seinem Platz, wechselte nur das Standbein. „Mr. Collins ruht, er fühlt sich nicht wohl. Brütet wahrscheinlich etwas aus.“ sagte er.

      „Oh, ich will ihn auch nicht lange stören. Ich will ihm nur schnell das Buch geben. Er erwartet mich. Wir interessieren uns beide für Geschichte. Und wenn er das Bett hüten muss, kommt ihm der Lesestoff bestimmt gerade recht.“ Sie hielt ihm das Buch unter die Nase. Er las stirnrunzelnd den Titel.

      „Über den Osteraufstand von 1916.“ erklärte sie „Wir sind beide durch und durch Iren. Und woher kommen sie, ihr Akzent ist... lassen sie mich raten. Nicht etwa London?“ Der Versuch, ihrer Stimme diesen bestimmten mütterlich, gurrenden Ton zu verleihen, schien nicht überzeugend zu sein.

      Seine Miene blieb unnachgiebig. „Nein. Das ist jetzt wirklich ungünstig. Geben sie her, ich geb' es ihm.“

      „Das ist sehr freundlich, aber ich habe versprochen ihm zu einer Textstelle noch Anmerkungen zu machen. Es geht wirklich schnell. Oder wollen sie andeuten, das wir nur noch mit Zustimmung der Security privaten Kontakt haben dürfen? Sind wir hier Gefangene?“ Sie hatte jetzt absichtlich die Stimme erhoben. Ihre Empörung war nicht gespielt und sie hatte nicht vor weiter mit dem Wachmann zu diskutieren. Der schaute unsicher den Flur hinunter. Ein paar Zimmer weiter öffnete sich eine Tür und eine Frau steckte ihren Kopf heraus.

      Der Mann holte ein Handy aus der Jackentasche, überlegt es sich dann doch wieder anders, steckte es zurück und machte endlich den Weg frei. „Gut, aber kurz bitte.“ sagte er und hielt ihr die Tür auf.

      Auch wenn seine Gehabe sie wütend machte, sie lächelte, trat an ihm vorbei in das Zimmer und wollte schnell die Tür schließen, aber der Mann drängte sich hinter sie in den Raum.

      Collins stand am Fenster, vorgebeugt, wie sprungbereit, als wolle er aus dem Fenster zu springen.

      „Ich bringe ihnen das Buch.“ sagte sie. Er reagierte nicht. Sie ließ sich Zeit, blätterte im Buch herum. Eine harmlose, etwas penetrante Person. „Ich finde die Stelle gleich.“ sagte sie.

      „Ich muss sie jetzt bitten, das Zimmer zu verlassen. Mister Collins hat einen Termin.“ Ein zweiter Mann in Uniform. Er stand breitbeinig in der Tür. Sein Blick war kalt und verriet, dass er nicht so leicht wie sein Kollege um den Finger zu wickeln war.

      Collins wich noch weiter zurück, seine Hände umklammerten hinter seinem Rücken das Fensterbrett. Auch Dr. Malloy fühlte sich jetzt von dieser Furcht angesteckt. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Der Sicherheitsbeamte schob sie sehr bestimmt aus dem Zimmer. Sie drehte sich noch einmal um und lächelte Collins an. Es wird alles gut, sollte das heißen. Nichts würde gut werden für ihn. Wenn man die Fakten betrachtete, musste man zwangsläufig den Schluss ziehen, dass er an höherer Stelle so wichtig genommen wurde, dass man es für nötig hielt, ihn zu isolieren.

      „Ach, das Buch...“ sagte sie und reichte es dem Wachmann.

      Collins stand immer noch am Fenster, schon unerreichbar für sie.

      Das Wasser in der Wanne war abgekühlt. Sie ließ heißes nachlaufen, zog sich aus und stieg in den verlockenden Schaumberg. Erschöpft schloss sie die die Augen. Sie wünschte sich nach Hause in ihr vertrautes Leben zurück. Dies hier kam ihr immer unwirklicher vor. Als wäre sie plötzlich in einen Film geraten, dessen Plot sie nicht durchschaute. Wahrscheinlich würde sie erst im Nachhinein verstehen. Wenige Tage noch, dann würden sich die Tore wieder öffnen. Auch für Collins. Also kein Grund irgendwelche Verfolgungsängste oder einen Verschwörungswahn zu füttern. Sie sollte sich raushalten, sich ihrer fiktiven Aufgabe stellen, nämlich einen

      Evakuierungsplan ausarbeiten und nicht fragen, wozu man den haben wollte. Und in ein paar Tagen zurück in ihr anderes Leben. Aber sie war eine Schlüssellochguckerin.

      „Wenn du immer so neugierig bist, wirst du eines Tages Dinge sehen, die dir Augen und Seele verbrennen.“ hatte ihr Vater sie einmal gewarnt, als er sie dabei erwischte, wie sie auf seinem Schreibtisch herum schnüffelte.

      Sie spielte die Szene im Park und die in Collins Zimmer in Gedanken noch einmal durch und lauschte seinen Worten nach. Der letzte Satz, den er ihr wie eine Formel zugeflüstert hatte, fiel ihr ein.

       Wenn Menschen Angst haben, aus gutem Grund, oder wenn man ihnen die Gefahr nur suggeriert, akzeptieren sie sonst Unmögliches.

      So ein Satz, aus seinem Kontext gerissen, konnte alles mögliche bedeuten. Eine Feststellung. So sind Menschen. Wenn es brenzlig wird, schreien sie nach Führung. Hansemann geh du voran. Oder wenn man den eingeschobenen Satzteil betrachtete: ein psychologischer Trick. Mach den Menschen Angst, und du kannst ihnen alles mögliche abverlangen und einreden, wenn du nur überzeugend in der Rolle des Retters bist.

      Retter! Der so hektisch anberaumten Gipfel, die Stimme des Ministers für Innere Sicherheit „die brisante innenpolitische Situation Europas“ „härtere, durchgreifende Maßnahmen“.

      Sie angelte nach dem Päckchen und zündete sich eine Zigarette an. Im Badezimmer. Es war ihr egal. Auch wenn gleich ein Feueralarm los ginge, was nicht geschah. Ihre Hände zitterten leicht vor Erregung. Ihr Herz zitterte.

      Wenn wirklich etwas Ungeheuerliches, wie Gerüchte munkelten und wie Collins angedeutet hatte, auf dem Gipfel geplant wurde, wie glaubte man verhindern zu können, dass die Öffentlichkeit spätestens nach dem Gipfel nicht davon erfuhr? Auch wenn die Politiker und Wirtschaftsbosse in ihrem eigenen Interesse ihre Pläne geheim hielten, da gab es noch das Fußvolk wie sie und als schwächstes Glied wohl die unzähligen Dolmetscher. Sie hörten mit, verfügten also über die meisten Informationen. Wie wollte man Collins daran hindern, dass er kaum wieder in die Freiheit entlassen, den nächsten Journalisten anrief.

      Spekulationen, willkürliche Deutungen, dachte sie. Und, kühl bleiben, nachdenken. Wenn das nur Ausgeburten einer Paranoia von Collins war und sie sich hatte anstecken lassen, musste sich alles nach dem Gipfel auflösen und sie würde nur noch kopfschüttelnd darüber lächeln.

      Sie sollte sich zusammenreißen, ihre Aufgabe erfüllen und dann das ganze abhaken. Ihre Aufgabe! Ihr Herz macht einen erschrockenen Satz. Plötzlich sah sie einen Zusammenhang, oder könnte ihn konstruieren. Ihre Aufgabe war es, einen bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Evakuierungsplan für das gesamte irische Volk zu erstellen. Da wurden vielleicht Gefahren gedacht oder konstruiert oder geplant, die solch ungeheuerliche Maßnahmen erforderlich machten.

      Am nächsten