Gabriele Schillinger

Spuren im Nebel


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zu einer physikalischen Therapie ins Krankenhaus kommen. Wenn sie wollte, konnte sie natürlich auch von zu Hause aus ihre Muskeln weiter trainieren.

      Frank holte Sue ab. Es war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Irgendwie widerstrebte es ihr, mit diesem fremden Mann in ein gemeinsames Heim zu fahren. Seine Versuche, bei den Besuchen im Krankenhaus ihr Vertrauen zu gewinnen, scheiterten kläglich.

      Er erklärte seiner Frau, dass sie sich in Mexiko befanden. Die Krankenschwestern hatten sie diesbezüglich bereits unterrichtet, doch sie erwähnte es ihm gegenüber nicht. Sue hatte keine Lust mit diesem Mann zu reden. Irgendwie verspürte sie Ablehnung und Hass, wenn sie seine Stimme hörte. Warum dies so war, konnte sie sich selbst nicht erklären.

      Frank parkte vor einem überaus gepflegten Haus.

      Wie ein wohlerzogener Herr öffnete er die Wagentüre auf Sues Seite und bot seine Hand hilfreich an. Seine Frau zog es jedoch vor, alleine auszusteigen. Sie betrachtete das Haus und fand dessen Ausstrahlung irgendwie kalt. Die Hoffnung, dass es im Inneren gemütlicher war, bestätigte sich leider nicht.

      Frank folgte ihr auf Schritt und Tritt. Sie bemerkte sehr wohl, dass er auf jubelnde Äußerungen wartete, doch diesen Gefallen wollte sie ihm nicht machen. Zudem fand sie die Einrichtung ungemütlich und einfallslos. Um ihrem Ehemann zu entkommen, verabschiedete sie sich ins Bad, um zu duschen. Zum Glück war die Türe versperrbar, was Sue nur zu gerne nutzte. Keine Ahnung, auf welche Gedanken Frank vielleicht kommen würde. Die Dusche schien bislang das schönste an diesem Haus zu sein. Es tat ihrer Seele unheimlich gut, unbeobachtet Zeit für sich zu haben. Sie ließ lange das warme Wasser über den Körper fließen. Ihre Beine waren jedoch noch nicht so kräftig, also setzte sie sich in die Duschwanne und genoss weiter.

      Es dauerte nicht lange, Frank klopfte an der Türe. Er wollte wissen, ob alles in Ordnung war. Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen?

      Als sie nach einer Weile wieder aus dem Bad kam, erwartete sie der Ehemann bereits. Er hatte den Tisch im Wohnzimmer gerichtet und bat sie höflich zum Essen. Sue konnte diese übertriebene zuvorkommende Art nicht leiden. Dennoch setzte sie sich. Frank schob ihr den Sessel unter den Po, was fast in einer Katastrophe endete, weil Sue erschrak.

      Sie stocherte in dem seltsamen Grünzeug herum. Es war nicht wirklich definierbar, was diese Speise enthielt. So wie es aussah, so schmeckte es auch. Sue beschloss sich ins Bett zu verabschieden. Sie gähnte auffällig, sodass Frank derjenige war, der ihr diesen Vorschlag machte. Komisch, dass es ihr so Freude bereitete, wenn sie vor ihrem Ehemann flüchten konnte.

      Die Tage vergingen und es wollte sich einfach keine Erinnerung melden. Frank war nicht sehr hilfreich, er glaubte seine Frau von allem fernhalten zu müssen.

      Sue stand im Wohnzimmer, drehte sich im Kreis. Keine der vorhandenen Gegenstände erweckte nur im Geringsten Vertrautheit. Auch die Einrichtung war weder ihr Stil, noch farblich ansprechend. Was jedoch war denn eigentlich ihr Stil? Welche Farben mochte sie? Sue fühlte sich leer und dennoch überfordert.

      Die Möbeln, das Sofa und sogar die Bilder an der Wand wirkten kalt und unnahbar auf sie. Nichts in diesem Raum lud einen zum Erholen ein. All die vielen teuren Kleider im Schrank, welche Sue keineswegs gefielen. Sie suchte nach gemeinsamen Fotos, vielleicht von einem Urlaub, oder ihrer Hochzeit. Da nirgendwo eines zu finden war, fragte sie Frank danach. Der jedoch hatte gerade dann nie Zeit, wenn Sue etwas brauchte. Abends vertröstete er sie immerzu auf den nächsten Tag.

      Am nächsten Morgen weckte er sie mit einem ausgiebigen Frühstück auf. Sue leerte sich Kaffee in die Tasse. Erstaunt schaute sie das recht durchsichtige Gebräu an. Dieser Kaffee konnte einfach kein Muntermacher sein. Frank schüttete ihr Milch dazu und meinte, sie mochte ihn immer sehr hell. Damit dieser Kaffee hell wurde, bedarf es lediglich einen Tropfen Milch. Sie kostete vorsichtig, denn es lag ihr fern, Franks gute Absicht zu kritisieren. Ein Schluck genügte, um zu bemerken, dass mit dem Kaffee etwas nicht stimmte. Sie fragte vorsichtig, ob dies ein Entkoffeinierter ist und Frank begann zu lachen. Er erklärte ihr, dass sie einen Tee vor der Nase hätte, denn Kaffee mochte sie eigentlich nicht. Seltsam, Kaffee und Fleisch war ihr doch sehr vertraut und auf diese Dinge sollte sie freiwillig verzichtet haben? Besser sie widmete sich dem Obst und mit dem Kuchen zusammen schaffte sie sogar den Tee. Am Ende waren ihre Geschmacksknospen zwar nicht zufrieden, aber sie war immerhin satt.

      Inzwischen konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen, was sie an Frank jemals fand und weshalb sie ihn dann auch noch heiratete. Ein Mann, der selbst zu Hause in Anzug und Krawatte herumlief. Jemand, der Glasränder am Tisch nicht leiden konnte und seine Socken nach Farben sortierte. Ein richtiger Spießer. Selbst wenn er Sue einen Kuss auf die Wange gab, dann wirkte es perfekt und antrainiert. Viel zu perfekt, als dass dieser Wärme spenden könnte.

      Nach langem Drängeln sagte Frank, dass Sues Eltern vor ein paar Jahren verstarben, was die Erinnerung an Vergangenes auch nicht gerade leichter machte. Fotos aus ihrer Kindheit hätten ihr vielleicht helfen können. Doch da gab es nichts mehr. Frank erzählte, dass Sues Eltern starben, als ihr zu Hause abbrannte. Vom Haus soll nichts mehr übrig geblieben sein. Diese Nachricht stimmte sie traurig. Also war da nur dieser fremde Mann, für den sich keine positiven Gefühle entwickeln wollten.

      Sue wollte wissen, auf welchem Friedhof ihre Eltern lagen, doch die beiden waren ja bereits eingeäschert und Sue soll die Asche ins Meer gestreut haben. Jegliches Hilfsmittel, die Erinnerung an ihr Leben wieder zu finden, löste sich in Luft auf. Mit den kärglichen Informationen ihres Ehemanns konnte sie auch nicht viel anfangen.

      Sue ging in die Küche. Im Kühlschrank waren wieder nur vegetarische Speisen zu finden. Es hieß, dass sie aus Überzeugung kein Fleisch aß. Komisch nur, dass sie einen richtigen Heißhunger auf Wurst hatte. Selbst auf ihr Bitten weigerte sich Frank, Fleisch zu kaufen.

      Der Arzt meinte, es könnte schon vorkommen, dass frühere Eigenschaften zum Vorschein kommen. In diesem Fall war es die Lust etwas anderes zu essen.

      Noch am selben Abend stellte sie ihren Ehemann Fragen über ihre finanzielle Situation. Sie wusste zwar, dass er sich diese Woche noch frei genommen hatte, aber wie verdiente er eigentlich sein Geld? Zudem konnte doch unmöglich sein, dass sie selbst immer nur zu Hause war.

      Wie erwartet bekam Sue wieder keine schlüssige Antwort. Frank meinte, es wäre zu früh, um sie mit solchen Sachen zu belasten. Er versicherte, dass sie genug Geld hatten. Nein, eigentlich sagte er, sie wären reich und deswegen war es nicht nötig, seine Frau arbeiten zu schicken. Doch irgendetwas musste sie doch einmal beruflich gemacht haben? Genau das wollte er ein anderes Mal erzählen.

      Sue dachte nach, sie musste doch wenigstens eine gute Freundin haben, der sie sich anvertraute. Aber auch hierbei sollte sie erfahren, dass es niemand derartigen gab. Weder Freunde noch Familie. Frank und sie hatten sich bei einer Selbsthilfegruppe kennengelernt, in der nur familienlose Mitglieder teilnahmen. Als Sue die Gruppe besuchen wollte, hieß es, dass der Leiter verstorben war und deshalb die Gruppe aufgelassen wurde. Jeder Hoffnungsschimmer, einen Hinweis auf die Vergangenheit zu bekommen, scheiterte. Es war, als hätte es Sue noch nie gegeben. Irgendetwas stimmte da doch nicht.

      Sue stand meist spät auf. Sie ging in den Garten, ließ sich in einen Sessel nieder. Jede Faser in ihrem Körper schmerzte. Auch die verheilten Knochenbrüche meldeten sich beim Wetterumschwung. Die einen Ärzte rieten ihr zu viel Bewegung, um die Muskeln wieder aufzubauen, die Anderen verordneten viel Ruhe, um das leere Chaos im Kopf zu schlichten. Es war beides anstrengend.

      Am liebsten wollte Sue schlafen, um nichts von diesem unzufriedenstellenden Leben mitzubekommen. Aber auch diese Flucht gelang nicht immer, denn ein richtig tiefer Schlaf wollte sich nur in der Nacht einstellen. Was Sue nicht wusste, Frank gab ihr regelmäßig eine Schlaftablette in das Abendessen. Eigentlich sollte sie nur ab und zu einmal eine davon nehmen, wenn das Schlafen gar nicht funktionierte.

      So kam es auch dazu, dass Frank eines Morgens plötzlich auf Sues Bettseite lag und seinen Körper an den ihren schmiegte. Sue hatte diese Annäherung nicht bemerkt, deswegen erschrak sie, als sein Geruch so nahe schien. Vorsichtig versuchte sie seine Hand von ihrem Bauch zu heben. Doch irgendwie rutschte sie ihr aus den Fingern und landete genau auf ihrem Po. Ein grummeln war zu vernehmen, Frank