Rita Kuczynski

Präludien zu Hegel


Скачать книгу

war er von der Gleichsetzung so unterschiedlicher Sachen nie wirklich enttäuscht. Zeiten stummer Zwiesprache hatten ihn gelehrt, daß man mit diesem Gleichsetzen die Ereignisse und Dinge auch auf Distanz bringen kann. Und Abstand zu dem Geschehen um ihn herum, das war es, worauf er frühzeitig bestand. Das ist es, was er möchte, denn noch bevor er das Wort Vorsicht richtig kannte, scheute er alles Direkte. Ja, er bevorzugt die Mitte zwischen dem unmittelbaren Geschehen und dem schon in der Reflektion Gesehenen. Er sucht nach den Zonen, wo sich Ereignis und Wort noch bewegen, das Denken aber über das,Geschehen schon seine Ringe legt. Er bevorzugt das Dazwischen-Entstandene.

      Im Abstrahieren und Generalisieren geübt zu sein bedeutet aber auch, die Subsumtion und Einreihung unter ein Allgemeines nicht zu scheuen oder ihr zumindest nicht abgeneigt gegenüberzustehen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel stammt aus einer in Stuttgart angesehenen Beamtenfamilie, der von der altwürttembergischen Bürokratie Titel verliehen worden waren, die den Vater schließlich zur höheren Beamtenschaft zählen ließen. Dabei war der Vater nicht irgendein Beamter, der den Herzog zu rühmen hatte. Der Vater war als Rentkammerrat und später als Expeditionsrat ein Fachbeamter, der sich durch Sachkenntnis in Steuer- und Finanzfragen auszuzeichnen hatte. Es ist daher nicht erstaunlich, daß im elterlichen Hause einfach bürgerliche Wohlhabenheit und Ordnung herrschte, auch dann, wenn diese Wohlhabenheit nicht allzu groß war, so daß Hegel für sein späteres Studium ein herzogliches Stipendium erbitten mußte. Es war noch eine karge Wohlhabenheit, die aber im Falle der Hegelschen Familie ein schon über mehrere Generationen sich herausgebildetes Selbstbewußtsein reproduzierte, das sich zweifelsohne auf den jungen Hegel ausgewirkt haben dürfte – der schon immer etwas Gestandenes in seinem Wesen hatte, wie man bald in Tübingen über ihn zu sagen weiß.

      Diese bürgerliche Ordnung, die im Elternhaus herrschte, diese selbstverständliche Übereinstimmung mit Kirche und Staat Württembergs übertrug sich auf den jungen Hegel, in ihrer Selbstverständlichkeit und Einfachheit wuchs er auf. Sie dürfte viel zu seiner auch in späteren Jahren konstatierbaren bourgeoisen Ruhe und Überlegenheit beigetragen haben. Denn es ist ja ein recht bedeutsamer Unterschied, ob man in bürgerliche Verhältnisse hineingeboren wird – so verkümmert sie auch waren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation – oder ob man sich – wenn überhaupt – diese Verhältnisse erst nach langem Ringen erkämpft hat. Für den sozialen Status Hegels war es ganz natürlich, daß ihm der Hof und die Politik frühzeitig nahegebracht wurde. Für die Beamtenfamilie Hegel war es noch selbstverständlicher, daß sie mit dem Hof und seiner Politik im wesentlichen übereinstimmte, war der Vater doch »Gott sei Dank« Staatsbeamter, und als solcher hatte er seine Pflicht zu tun, wie es sich gehörte, ohne Ansehen der Person, im Interesse der sogenannten Allgemeinheit, dafür aber im Absehen von seiner Person.

      So ist es auch nicht erstaunlich, daß Hegel, der in Stuttgart noch keine offenen Konflikte mit dem Elternhaus hatte, frühzeitig lernte, vom Vater lernte, seine individuellen Interessen, Nöte und Sorgen allgemeinen Pflichten unterzuordnen. In dem Beamtenmilieu der Familie Hegel hörte er, was wichtig werden sollte später, für seine eigene Philosophie: daß sich der Einzelne einzuordnen habe mit seinen Interessen und Wünschen in das Interesse der Allgemeinheit, das der Vater vertrat und als Staatsbeamter mit durchzusetzen half. Hegel sah, wie die württembergische Bevölkerung durch Belehrungen und Erklärungen gelenkt werden sollte und wie die Regierung abzuwägen hatte ihre Forderungen, selbst wenn sie nicht wollte. Es überrascht nicht, daß Hegel seine Umwelt keineswegs als eine ungeheure Fehlleistung betrachtete, als eine unzutreffende Parodie, die er beseitigt wissen wollte. Er nahm es – wie jedes Kind – zunächst als normal hin, daß seine Eltern zu den »ehrenwerten Bürgern der Stadt Stuttgart« gehörten. Und da man in dieser Familie ganz sicher mehr von Pflichten als von Neigungen sprach, versuchte Hegel, seine Neigungen zu zügeln bzw. sich in Konfliktsituationen in Zweifelsfällen für die Pflicht zu entscheiden. Noch war er ein echtes Kind württembergischer Beamtenverhältnisse, das den Herzog verehrte und es als ein Glück empfand, ausgerechnet in seinem Staate geboren zu sein; noch war er vom Ruhm und der Größe seines Landesvaters überzeugt, den auch die »Nachwelt noch bewundern und segnen wird«, allein schon, weil er durch die Einrichtung der Schule, die Hegel besuchen durfte, »dem Staat für seine Bedürfnisse brauchbare und nützliche Mitglieder« erzog, wie Hegel in der Schülerrede beim Abgang vom Gymnasium zu sagen weiß.14 Man behaupte nicht, daß Erziehung nicht auch frühzeitig festzulegen vermag, was Kinder als Signale für Glück registrieren. Noch war er der sogenannte gute Schüler, der durch Intelligenz versprach, ein brauchbares Instrument des württembergischen Staates zu werden; dafür bekam er dann sein herzogliches Stipendium.

      Aber er zeigte auch früh einen Hang zu Tragödien, eine Neigung zu Euripides und Sophokles, insbesondere zur »Antigone«. Das heißt an Tagen, die kein Kommen, kein Gehen kennen – und es sage niemand, es gäbe diese Tage nicht, die kein Ende finden – an solchen Tagen, an denen er genau wußte, daß er die Klammern seiner inneren Ruhe nicht lösen wird, las er gern in »Elektra« oder in »Antigone«. In Stunden, in denen er, von zuviel Sicherheit erschöpft, das sonst für ihn so wichtige Gleichmaß im Schlag der Uhren von sich weist, in solchen Stunden, in denen der Chor einer Tragödie sich in Strophe und Gegenstrophe widerspricht, sind ihm Worte und Zwischentöne hörbar, die er an anderen Tagen auch bei noch so großer Anstrengung nicht hört.

      Fragen in Tinte gewürgt. Die Zweifel durch Bücher verbürgt. Begierden ins Platonische gewendet. Lust durch Abstraktionen beendigt. An Ordnung frühzeitig gewöhnt. Die Einschränkungen noch nicht wirklich verhöhnt. Im Alleinsein verharrend. Wegweiser aus Büchern, nicht in den Straßen. Von der Enge Stuttgarts nicht betäubt. Gegen die pietistische Ruhe im Elternhaus sich nicht gesträubt. Vor all den Pflichten eines Gymnasiasten nicht zurückgeschreckt. Wünsche, wenn möglich verdeckt, immer versteckt. Und dann: Zuflucht in die Sprachlosigkeit, wenn überhaupt, dann nach innen schreien. Soll das alles gewesen sein?

      Nein, da war auch jene unmessbare Größe, die man Hoffnung nennt, Hoffnung, das Wort, das er sich aufschrieb, um es besser festhalten zu können.

      Da war schon dieser sichere Glaube an die Macht der menschlichen Vernunft, die Hegel mit seinem Zeitalter teilte, die wachsende Zuversicht des neuen, des bürgerlichen Menschen, der von sich überzeugt war. Da war die Sehnsucht nach besseren und gerechteren Zeiten, nach einem reineren und freieren Zustand – wie Hegel später15 sagen wird – einer Zeit, die nicht nur die französische Aufklärung in der griechischen Demokratie schon einmal verwirklicht sah. Da verbreitete sich die Überzeugung, daß die menschliche Vernunft alle Finsternis zu zerteilen vermag, daß sie die Geheimnisse der Natur enthüllen, daß der menschliche Geist diese Erde nun endlich bewohnbar machen wird. Da wuchs die Zuversicht, daß der Mensch einzudringen vermag in die unendlichen Räume des Universums, daß er die Rätsel der Weltennebel lösen wird. Und da war endlich der Mensch, der nun zu sich finden, der sich selbst studieren wollte, der seine Pflichten und Rechte, seine Neigungen und Wünsche, seine Kraft und seine Möglichkeiten neu bestimmte, um endlich angemessener und würdiger leben zu können. Mit diesem Glauben an die menschliche Vernunft lebte Hegel, überlebte er. Mit dieser Hoffnung lernte er aus der griechischen und römischen Geschichte, aus dem Studium ihrer Staatsverfassung, aus den Systemen ihrer Erziehung, deren Kenntnisse noch aus der Erfahrung selbst erworben waren und die eben nicht jene »kalte Buchgelehrsamkeit« in sich bargen, »die sich mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt«.16 Mit dieser Überzeugung der Aufklärung ist er um allseitiges Wissen in Mathematik, Physik, Astronomie, Botanik und späterhin auch in Anatomie bemüht, in alten Sprachen, Philosophie und Geschichte. Mit dieser Hoffnung auf die Macht des Geistes, die Gemeingut der deutschen Aufklärung blieb, konnte er alle noch nicht klar artikulierbaren Widersprüche der Stuttgarter Jahre aushalten, sie ertragen. Mit diesem Glauben geht der achtzehnjährige Hegel nach Tübingen.

Tübingen 1788 -1793

      99 Stufen

      Abseits von den Hauptstraßen der Residenz lag das Tübinger Kloster — die Landesuniversität von Württemberg — in dem Hegel fünf Jahre zubringen sollte. Die Universität war klein und wenig bedeutend. Sie hatte nur 200-300 Studenten, zumeist Theologen bzw. zukünftige Gymnasiallehrer. Im Grunde war die Universität eine jener zahlreichen Landesuniversitäten