Hansjürgen Blinn (Hrsg.)

Erregende Lektüren


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als heute.«

      »Wie schön ist es, man selbst sein zu dürfen! Wie schön, frei und Frau zu sein.« Sie stützte den edlen Kopf in die weiße Hand.

      »Und wie schön ist es, beglücken zu können!« Er strich sanft über ihre knisternde Haarflut, »so beglücken können wie Sie!«

      »Ohne Elend als unwürdige Spur der Seligkeit zu hinterlassen. Ohne das Gewissen zu kränken.«

      »Wie Götter genießen. Ohne satt zu werden wie die Plebs nach plumpen Gerichten. Geliebte!« Er sah sie bittend an.

      Sie erhob sich, das Angesicht von hinreißender Hingebung verklärt. Ihr langes weißes Gewand, von unbestimmten, roten Lichtern übergossen, schleifte lang hinter ihr her.

      Sie berührte mit ihren Fingerspitzen eine Türe, durch die er verschwand. Sie selbst öffnete eine schwere Portiere. Ein eigenartiges Gemach, mit tiefgrauer Seide ausgeschlagen, in dem sich nur ein niederes Ruhebett von antik großen Formen befand, nahm sie auf. Sie ließ sich auf den Rand des köstlichen Lagers nieder, auf dem elfenbeinfarbene Seidenkissen in Fülle herumlagen. Nichts, kein weiteres Einrichtungsstück befand sich hier, außer zu Häupten ein silberner Kübel, aus dem ein Büschel hoher, bis zur Betäubung duftender Lilien hervor schoss.

      Einige Augenblicke vergingen. Unter den Sammetfalten der Portiere erschien der Mann; er hatte seinen Anzug gegen ein mantelartiges Kleidungsstück von dunkler, weicher Seide vertauscht. Er ließ sich neben Liane nieder.

      »Willst du uns durchaus töten mit deinem Lilienduft? So atemberaubend war er noch nie.«

      Er schlang die Arme um sie. Ihr weißes wundersames Gewand, das nur ein vielfach um sie geschlungener weißer Mantel war, öffnete sich und ließ die Rosenbüsche ihrer weißen Brüste an seinen sich senkenden Lippen aufsprießen. Aber die ihren waren nicht müßig. In zarten, kaum gefühlten Küssen glitten sie über sein Antlitz, seinen Hals. Er gab sie frei, um einige Minuten lang ganz ihre Beute zu werden. Er zerfloss in Schauern höchsten Empfindens, gleichsam von zwei gleitenden, suchenden Schmetterlingen übergaukelt, die Ader für Ader seines Leibes zum Bewusstsein ihres purpurnen Inhalts wachriefen. Seine verzückten Augen füllten sich mit Tränen schwebender Lust, kein Wort ertönte, nur ein geheimnisvolles Seufzen, wie es über die Blumen fährt, wenn der Tau aus der Erde bricht, um sie zu erquicken.

      Liane war lautlos über ihn hingesunken.

      Er fühlte das schmeichelnd weiche, rhythmische Hüpfen ihrer Brust bei jedem ihrer Herzschläge. Er fühlte ihr elektrisch knisterndes Haar über seinen Körper ausgebreitet, seine Berührung erfüllte ihn mit leisem Prickeln und rief ihn wieder ins schöne Bewusstsein zurück. Mit zarten, behutsamen Griffen legte er sie in den seidenen Kissen zurecht und küsste die dunklen, wie gebrochen vor sich hinblickenden Augen. Sein Mund saugte sich in ihre weiße Kehle ein und glitt in die geheimnisvolle Bucht zwischen ihren Brüsten. Er kostete den würzigen Duft unter ihren weichen, biegsamen Schultern, er glitt weiter und genoss inbrünstig alle einzelnen Schönheiten des Leibes. Ihre kleinen rosigen Zehen nahm er zwischen die Lippen und liebkoste sie. Das geheimnisvolle Beben ihrer Glieder lebte er mit in seinem lustirren Aufschauern und verspürte so die doppelte Wonne des Empfangens und Gebens. Ein Regen ihn überströmender Entzückungen, der gleichsam aus jeder Pore seines Körpers brach, raubte ihm die Sinne und streckte ihn wie einen Toten neben ihr hin ...

      Die Lilien dufteten, ein flüsternder Wind strich am Fenster hin und verstummte.

      Unendliche Stille herrschte, unendlicher Friede ...

      Einige Stunden später neigte sich die hohe Gestalt des Mannes über das bleiche, schöne Gesicht der Schlummernden und schied von ihr in seliger Dankbarkeit ...

      Frank Wedekind: Die Schutzimpfung

      Wenn ich euch, ihr lieben Freunde, diese Geschichte erzähle, so tue ich es keinesfalls, um euch ein neues Beispiel von der Durchtriebenheit des Weibes oder von der Dummheit der Männer zu geben; ich erzähle sie euch vielmehr, weil sie gewisse psychologische Kuriositäten enthält, die euch und jedermann interessieren werden und aus denen der Mensch, wenn er sich ihrer bewusst ist, großen Vorteil im Leben zu ziehen vermag. Vor allem aber möchte ich von vornherein den Vorwurf zurückweisen, als wollte ich mich meiner Übeltaten aus vergangenen Zeiten rühmen, jenes Leichtsinnes, den ich heute aus tiefster Seele bereue und zu dessen Betätigung mir jetzt, da meine Haare grau und meine Knie schlottrig geworden, weder Lust noch Fähigkeit mehr geblieben sind.

      »Du hast nichts zu befürchten, mein lieber, süßer Junge«, sagte Fanny eines schönen Abends zu mir, als ihr Mann eben nach Hause gekommen war, »denn die Ehemänner sind im großen ganzen nur so lange eifersüchtig, als sie keinen Grund dazuhaben. Von dem Augenblicke an, wo ihnen wirklich Grund zur Eifersucht gegeben ist, sind sie wie mit unheilbarer Blindheit geschlagen.«

      »Ich traue dem Ausdruck seines Gesichtes nicht«, entgegnete ich kleinlaut. »Mir scheint, er muss schon etwas gemerkt haben.«

      »Diesen Ausdruck missverstehst du, mein lieber Junge«, sagte sie. »Sein Gesichtsausdruck ist nur das Ergebnis jenes von mir erfundenen Mittels, das ich bei ihm anwandte, um ihn ein für alle Mal gegen jede Eifersucht zu feien und ihn für immer davor zu bewahren, dass er je von einem ihn beunruhigenden Verdacht gegen dich befallen wird.«

      »Welcher Art ist dieses Mittel?« fragte ich erstaunt.

      »Es ist eine Art von Schutzimpfung. – An demselben Tage, als ich mich entschloss, dich zu meinem Geliebten zu nehmen, sagte ich ihm auch schon ganz offen ins Gesicht, dass ich dich liebe. Seitdem wiederhole ich es ihm täglich beim Aufstehen und beim Schlafengehen. Du hast allen Grund, sage ich, eifersüchtig auf den lieben Jungen zu sein; ich habe ihn wirklich von Herzen gern, und weder dein noch mein Verdienst ist es, wenn ich mich nicht gegen meine Pflichten versündige, sondern es liegt nur an ihm selber, dass ich dir so unerschütterlich treu bleibe.«

      In diesem Augenblick wurde mir klar, warum mich ihr Mann bei all seiner Liebenswürdigkeit manchmal, wenn er sich von mir nicht beobachtet glaubte, mit einem so eigentümlich mitleidig verächtlichen Lächeln ansah.

      »Und glaubst du wirklich, dass dieses Mittel seine Wirksamkeit auf die Dauer behält?« fragte ich befangen.

      »Es ist unfehlbar«, entgegnete sie mit der Zuversicht eines Astronomen.

      Trotzdem setzte ich noch großen Zweifel in die Unverbrüchlichkeit ihrer psychologischen Berechnungen, bis mich eines Tages folgendes Ereignis in Staunen erregender Weise eines Besseren belehrte.

      Ich bewohnte damals inmitten der Stadt in einer engen Gasse ein kleines möbliertes Zimmer im vierten Stock eines hohen Miethauses und hatte die Gewohnheit, bis in den hellen Tag hinein zu schlafen. – An einem sonnigen Morgen um neun Uhr etwa geht die Türe auf, und sie tritt ein. Was nun folgt, würde ich niemals erzählen, böte es nicht den Beweis für eine der überraschendsten und trotzdem begreiflichsten Verblendungen, die im Geistesleben des Menschen möglich sind. – Sie entledigt sich auch der letzten Hülle und gesellt sich zu mir. Weiter habt ihr, lieben Freunde, nichts Verfängliches, Anzügliches von meiner Erzählung zu gewärtigen. Ich muss immer wieder betonen, dass es mir nicht darum zu tun ist, euch mit Unschicklichkeiten zu unterhalten. – Kaum hat die Decke die Reize ihres Körpers verhüllt, als Schritte vor der Türe laut werden; es klopft, und ich habe eben noch Zeit, durch rasches Emporziehen der Decke ihren Kopf zu verbergen, als ihr Mann eintritt, schweißtriefend und pustend infolge der Anstrengung, mit der er die hundertundzwanzig Stufen zu mir heraufgestiegen war, aber mit glückstrahlendem, freudig erregtem Gesicht.

      »Ich wollte dich fragen, ob du mit Röbel, Schletter und mir einen Ausflug machst. Wir fahren per Bahn nach Ebenhausen und von dort mit dem Rad nach Ammerland. Eigentlich wollte ich heute zu Hause arbeiten; nun ist meine Frau aber schon früh zu Brüchmanns gegangen, um zu sehen, was deren Jüngstes macht, und da fand ich bei dem herrlichen Wetter keine rechte Sammlung mehr zu Hause. Im Café Luitpold traf ich Röbel und Schletter, und da haben wir die Partie verabredet. Um zehn Uhr siebenundfünfzig fährt unser Zug.«

      Derweil hatte ich etwas Zeit