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Impressum |
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Quondam - der magische Schild |
Leylen Nyel |
Copyright: © 2014 Leylen Nyel |
Verlag: epubli GmbH, Berlin |
www.epubli.de |
ISBN 978-3-8442-9246-6 |
Gestaltung/Art Direction: deluxe design |
Umschlagmotiv/Illustration: © Melanie Meier |
Prolog
Blutrot stand die Sonne am Himmel, obwohl Mittag schon vorbei war. Trübe orangefarbene und braune Schleier zogen durch die Luft. Es stank nach Pech und Schwefel. Es war so heiß, dass die Luft flirrte und alle Konturen in der Ferne im Nirgendwo zu verschwinden schienen. Wo es einmal Seen gegeben hatte, gab es nur noch große Krater im Boden. Schlammige Täler kündeten von Flüssen, die hier vor wenigen Stunden noch entlang geflossen waren. Berge, so hoch, dass ihre Gipfel den Himmel berührt hatten, waren nur noch Trümmer. Einstige sanfte Ebenen waren von tiefen Gräben durchzogen, in denen sich eine zähe braune Masse bewegte, die einmal klar werden würde, wenn sich die Unmengen von Schlamm am Boden abgesetzt haben würden, die das Wasser mit sich führte. Felsen, so groß wie Berge, verteilten sich über das ganze Land. Neue karge Gebirge waren entstanden, andere alte und bewaldete verschwunden. Nur vereinzelt reckte einer der wenigen verbliebenen Bäume seine Äste anklagend in den trüben Himmel. Ansonsten war nahezu jede Pflanze, die höher als eine Hand gewachsen war, abrasiert, unter Geröll begraben oder zerquetscht worden. Keine der ehemals vielgestaltigen und in verschiedensten Farben prangenden Blumen verströmte mehr ihren lieblichen Duft. Das Gras, einst saftig und grün, war vielerorts verbrannt und bot selbst den wenigen verbliebenen Grasfressern, die früher so zahlreich über die Ebenen gezogen waren, zu wenig Nahrung. Die Vögel fanden keine Büsche mehr, in denen sie brüten und ihre Jungen aufziehen konnten, die Fische erstickten in den schlammigen Fluten. Durch die Erschütterungen, die die auf den Boden einschlagenden Felsen verursacht hatten, waren unzählige Schlote entstanden, aus denen kochendes Wasser, heißer Schlamm oder giftige Gase entwichen. Innerhalb nur weniger Stunden war aus einer blühenden lebendigen Welt eine tote Ödnis geworden.
Nein, nicht ganz tot! Eine Frau in einem prächtigen roten Kleid, in das mit silbernen Fäden feinste Muster eingewebt waren, schritt über die Ebene auf eine Gruppe von Gestalten zu. Der Saum ihres Rockes war so lang, dass er eine kleine Staubwolke hinter ihr herzog. Sie war nicht sehr groß, schlank und hatte langes kastanienbraunes Haar, das sich in sanften Wellen über ihren schmalen Rücken ergoss. Unter sanft geschwungenen Augenbrauen hatte sie dunkle ausdrucksstarke Augen. Ihr schmales Gesicht zierte eine kleine feine Nase und sie hatte einen wohlgeformten sinnlichen Mund, der ihr etwas Jugendliches verlieh. Dabei war diese Frau älter als die Welt über deren Trümmer sie langsam auf die Gruppe zulief. Und sie war auch keine Frau, sie war eine Göttin. Gaya! Sie war die älteste und mächtigste Göttin der Welt. Der Welt, die sie einst selbst geschaffen hatte und die eigentlich aus drei Welten bestand, die übereinander lagen.
Zuoberst kam Amesia. Es lag so weit oberhalb der anderen beiden Welten, dass der Himmel zum Greifen nah erschien. Der Schatten der Götterwelt berührte niemals das unter ihr liegende Osiat, die Welt der Menschen. Ein raues, zerklüftetes und unüberwindbar scheinendes ringförmiges Gebirge, das Annorgebirge, zog sich an Amesias Grenzen entlang wie eine Stadtmauer. Viele der Berge dieses Gebirges hatten schneebedeckte Spitzen, andere waren so hoch, dass ihre Kuppeln fast immer in den Wolken lagen. Von den Hängen des Annorgebirges stürzten Wasserfälle Tausende Meter in die Tiefe und füllten die Bäche und Flüsse des eigentlichen Amesias, das innerhalb dieses Gebirgsringes lag. Hügelige sanfte Ebenen und kleinere waldreiche Gebirge lösten einander ab. Alles strebte dem Zentrum Amesias zu, wo sich ein gewaltiger Berg mit sanften Hängen über die Umgebung erhob. Dieser Berg endete nicht in einer Spitze, sondern in einem Plateau. Es war nicht sehr groß. Es einmal an seiner längsten Achse zu durchqueren, dauerte zu Fuß gerade mal einen Tag. Dieser Berg wurde Götterberg genannt, denn hier wohnten die Götter. Vom Götterberg bis zu den ersten Ausläufern der nördlichen Grenze des Annorgebirges, den Teutosbergen, brauchte ein Reiter mit einem guten Pferd zwei bis drei Wochen. Amesia war reich an Pflanzen und Tieren. Einige gab es nur hier, wie die Capinas, sanfte weiße Rehe mit blauen Augen, oder den seltenen goldenen Smaragdkatzen mit ihren grünen Streifen, die so groß waren wie ein Rind.
Andere Tiere, wie Pferde, Hirsche, Vögel, Büffel, Schweine und Rinder sowie verschiedenste Fische gab es auch in Osiat, der mittleren Welt. Sie war flächenmäßig sehr viel größer als Amesia. Am östlichen Rand von Osiat zog eine Brücke in einem gewaltigen Bogen hoch in den Himmel bis zu Amesias Ringgebirge und verband diese beiden Welten. An die südliche und westliche Grenze von Osiat brandeten die Fluten eines endlosen tosenden Meeres, des Aquanischen Meeres. Im Norden wurde diese Welt von einer Kette Feuer spuckenden Bergen begrenzt. In der Welt der Menschen gab es endlose Wüsten aus gelbem oder rotem Sand, Steinwüsten, schroffe Hochgebirge, bewaldete Mittelgebirge, sanfte hügelige Grasebenen, Moore, Flüsse, Bäche und Seen, viel Wild und eben die zweibeinigen Geschöpfe, die sehr selten und von den Göttern noch nie bemerkt worden waren, da sie sich bei deren Erscheinen immer ängstlich in ihre Höhlen verkrochen.
Die Dritte der von Gaya geschaffenen Welten war Estosia. Es war eine Welt, die Gaya in einem Felsen geschaffen hatte, der sich unterhalb von Osiat befand. Estosia wäre groß genug gewesen, ganz Osiat und Amesia in sich aufzunehmen. Es war jedoch keine schöne Welt. Nie schienen dort die Sonne, der Mond oder die Sterne. Nur von leuchtenden Steinen erhellt, fristeten dort die Lebewesen ihr Dasein, die Gaya einmal geschaffen, aber nicht für würdig erachtet hatte, sich des Sonnenlichts zu erfreuen. Es gab dort aber auch Geschöpfe, die sich für Gaya als zu gefährlich erwiesen hatten, um in Osiat oder Amesia leben zu dürfen. Oder aber Geschöpfe, die den Zorn der mächtigen Göttin auf sich gezogen hatten.
Gaya hatte die Götter inzwischen erreicht, denn nichts anderes waren die zwölf Gestalten, die staubig, verschwitzt und abgekämpft auf sie gewartet hatten. Ehrfürchtig verneigten sie sich vor Gaya. Viele waren um einiges größer als sie, doch niemand hätte es gewagt, nicht vor ihr das Knie zu beugen. Gaya konnte jedwede Gestalt annehmen. Ihre Kräfte waren größer als die aller vor ihr knienden Götter zusammen. Mit einem Fingerschnippen hätte sie jeden von ihnen ohne Mühe in den Staub verwandeln können, den der aufkommende Wind in kleinen Säulen um sie herumtanzen ließ. Die Gestalt einer zierlichen Frau in kostbaren Kleidern war ihr eben nur die liebste. Mit einer Handbewegung erlaubte sie den Göttern, sich wieder zu erheben. „Was ist hier geschehen?“, fragte sie streng. „Wir haben gespielt“, antwortete Dioran betreten, ein Gott mit einem runden freundlichen Gesicht, das ein mächtiger Vollbart umrahmte. Sein kurzes lockiges braunes Haar klebte ihm verschwitz am Schädel. Er hatte eine kurze breite Nase und kluge dunkle Augen, einen breiten kräftigen Brustkorb und baumstarke Arme und Beine, und war fast zwei Köpfe größer als Gaya. Allerdings neigte er zu einem Bauchansatz, was er mit einem weiten locker gebundenen Hemd zu verbergen suchte. Seine Hose aus grobem Stoff wies an seinem linken Hosenbein einen Riss vom Knie bis zu seinem Fuß auf, der in einer Sandalette aus festem Rindsleder steckte. Gayas Augen funkelten bedrohlich. „Ihr habt gespielt?“, vergewisserte sie sich, als habe sie sich verhört. Die Götter nickten verlegen. „Seht ihr das?“, wollte sie mit mühsam unterdrückter Wut wissen und wies mit dem Arm um sich. „Die Götter haben gespielt und die Welt liegt in Trümmern!“, rief sie so laut, dass alle Götter zusammenzuckten. „Warum habt ihr nicht in Amesia gespielt? Gab es dort nicht genug Raum für Euer Spiel oder wolltet ihr nicht, dass eure Paläste hinterher so aussehen?“, fauchte sie, deutlich leiser, aber nicht minder bedrohlich. „Das ging nicht, Herrin. Fraya bekommt gerade ihren zweiten Sohn und Thore und Yuron sind bei ihr. Wir wollten sie nicht stören“, erklärte kleinlaut Xyntina, eine dralle vollbusige Göttin mit einem langen roten Zopf und grünen Augen.
„Wann haben sie sich zurückgezogen?“, verlangte Gaya zu wissen. „Vor vier Tagen“, gab Witan zur Antwort, ein Gott mit langem blauschwarzem Haar, Augen so dunkel wie Kohlen und elfenbeinfarbener Haut. Er war von schlanker Statur, seine feingliedrigen Hände waren schmutzig. „Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“,