Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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Gaya. „Sorge nur dafür, dass es nie wieder so schlimm wie heute wird! … Thore, sie haben ganz Osiat in nur vier Stunden zerstört“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen. Fraya und Thore schwiegen betroffen. Tränen hatten sie bei Gaya noch nie gesehen. Sie waren sich der großen Ehre bewusst, die ihnen Gaya gewährte. Sie offen hatte sie sich und ihre Gefühle noch keinem ihrer Kinder gegenüber gezeigt. Aber Gaya war noch nicht fertig. „Meine Insel heißt Konh Ka Bin und liegt im Penquanischen Meer. Das liegt noch hinter dem Aquanischen Meer, das an Osiats Grenzen schlägt. Diese Insel ist mein großes Geheimnis … und jetzt eures. Dort könnt ihr mich finden, wenn ihr mich braucht.“

      Kapitel 1

      Ein Spinnennetz, groß wie ein Wagenrad, spannte sich zwischen einer Hütte und dem dahinter stehenden Baum. In der Abendsonne glänzte es, als wäre es aus feinsten Silberfäden gewoben worden. In seiner Mitte saß eine dicke bernsteingelbe Spinne, die ruhig auf einen unachtsamen Falter wartete. Sie brauchte sich nicht lange zu warten. Am Waldrand, der mit vielen Wildblumen gesäumten war, flogen viele Schmetterlinge von Blüte zu Blüte und labten sich an dem süßen Nektar. Das geschäftige Treiben der tagaktiven Insekten wich langsam der vorabendlichen Ruhe und die ersten Fledermäuse begannen sich scharf gegen den rosa gefärbten Abendhimmel abzuzeichnen. Ein verspäteter Falter gaukelte träge durch die von Düften schwere Luft, als er durch das für ihn unsichtbare Netz der Räuberin gestoppt wurde. Verzweifelt zappelte er um sein Leben, doch die Spinne war im Nu bei ihm und sicherte sich ihre nächste Mahlzeit durch einen blitzschnellen giftigen Biss. In aller Seelenruhe spann sie ihr Opfer ein und hängte es dann zu den übrigen Insekten, die sie bereits im Laufe des langen Tages gefangen hatte.

      Nur wenige Schritte hinter der Hütte begann ein Wald, in dem schnell wachsende Nadelbäume und verschiedenste Laubbäume wild durcheinander wuchsen. Am häufigsten gab es hier den Farusbaum. Er hatte eine silberne glatte Rinde. Seine lichte Krone ermöglichte es vielen Pflanzen, unter ihm zu gedeihen, da sie genug Licht bekamen. Hier wuchsen kleine geduckte Sträucher so dicht, dass sie sich wie ein grüner Teppich zwischen den Stämmen ausbreiteten. Sie trugen im Herbst wohlschmeckende blaue Beeren, die sowohl die Tiere des Waldes als auch die Menschen wegen ihrer Süße schätzten. Der kleinere und ebenfalls nicht seltene Acenisbaum sorgte mit seinem prächtigen Herbstlaub für Farbtupfer in Gold, Orange und Rot, die dieser Jahreszeit immer einen ganz besonderen Zauber verliehen. Sein Holz war besser zu verarbeiten als das des Farusbaumes, weshalb er vor allem für die Herstellung von Möbeln aller Art geschlagen wurde. Das Holz der verschiedenen Nadelbäume fand als Feuerholz und als Bauholz Verwendung. Es stand auch eine Kostbarkeit in diesem Wald. Mitten auf einer Lichtung befand sich ein mehrere Hundert Jahre alter und fast bis in den Himmel reichender Escalinbaum. Sein eisenhartes Holz trotzte jedem Sturm, die dicke borkige Rinde schützte ihn von allen Unbilden des Wetters. Wie er hierhergekommen war, wusste niemand. Dieser Baum war Thore, dem obersten Gott, geweiht und bildete den Mittelpunkt des heiligen Hains, der nahe jeder menschlichen Siedlung lag. Hier, in diesem stillen dichten Wald hatte es jedoch nie eine Siedlung gegeben. Seit Menschengedenken gab es immer nur zwei Holzfäller, die in einfachen Hütten an gegenüberliegenden Enden dieses großen Waldstücks wohnten. Es befand sich ganz im Süden von Farusan, dem südlichen der vier Königreiche, in das sich Osiat aufteilte. Regiert wurde das Waldland, wie Farusan auch von den Menschen der anderen Länder genannt wurde, von Narus, dem Weisen. Seinen Untertanen war es erlaubt, in den schier endlosen Wäldern und in den karstigen Gebirgen auf die Jagd zu gehen. Die kleinen Felder hinter den Hütten und Häusern der Menschen, die mühsam gerodet worden waren und noch mühsamer von dem wieder zurückdrängenden Wald frei gehalten werden mussten, reichten nicht aus, um sie ausreichend zu ernähren. Schon nach wenigen Jahren war der Boden ausgelaugt und das kleine Stück Freifläche wurde dem Wald zurückgegeben. An anderer Stelle wurde dann ein neues Stück gerodet, um etwas Getreide und Gemüse anzubauen. So kam es, dass Menschen, Tiere und Häuser stets auf Wanderschaft schienen. Von Farusan eine Karte anzufertigen oder Straßen zu bauen, hätte keinen Sinn gemacht. Es konnte vorkommen, dass eine menschliche Siedlung innerhalb nur weniger Jahre an einem Ort entstand, wuchs und wieder verschwunden war. Ganz im Norden von Farusan gab es ein breites fruchtbares Tal, in dem die Königsstadt Elphos an den Ufern des Lekaros lag. Diese Stadt und die einfachen Hütten der Holzfäller in den Wäldern waren die einzigen Horte menschlichen Lebens in Farusan, deren Lage sich nicht veränderte. Elphos wurde über den Fluss mit allem versorgt, was seine Bewohner zum Leben brauchten, die Holzfäller und ihr Familien begnügten sich mit dem, was ihnen der Wald schenkte.

      Aus dem Schornstein der Holzfällerhütte stieg eine kleine weiße Rauchsäule fast senkrecht in den Abendhimmel, bevor der Wind in Höhe der Baumspitzen bizarre Kringel zauberte, die sich rasch auflösten. Vor der Hütte stand eine Bank, unter der sorgfältig etwas Feuerholz gestapelt lag. Etwas abseits befand sich ein kleiner Backofen mit einem Holzgestell zum Abkühlen der Brote. Ein kleiner Gemüsegarten, durch einen einfachen Holzzaun vor Verbiss durch die Waldtiere geschützt und ein kleines Feld, auf dem etwas Getreide wuchs, sowie ein Brunnen vervollständigten das kleine Anwesen. In der Hütte gab es nur einen einfachen Wohnraum mit einer Feuerstelle, über der die Hausherrin Sybille die einfache Gerstensuppe für das Abendbrot kochte. In der winzigen Schlafkammer stand ein selbst gezimmertes Bett, gerade groß genug für sie und ihren Mann Loran. Eine Holztruhe enthielt die wenige Wäsche, die das Paar besaß. Alle Möbel, das Geschirr und das Besteck hatte Loran selbst aus dem Holz des Acenisbaumes gefertigt. Ein einfacher Tisch, vier Holzstühle, ein kleiner Schemel und an der Wand ein kleines Regal, in dem ein paar Tontöpfe mit eingelegten Beeren und getrockneten Pilzen standen, mehr Einrichtung gab es in dem Wohnraum nicht. Ihr größter Schatz waren ein kleines Fässchen mit ausgelassenem Schweineschmalz und ein kleines Döschen mit Salz. Nur an besonderen Tagen gönnten sie sich eine Scheibe Brot, die sie dick mit Schmalz bestrichen und anschließend genüsslich mit ein paar Salzkörnern verfeinerten.

      Heute war ein so besonderer Tag. Sie hatten vor zehn Jahren geheiratet. Obwohl überall bekannt war, dass Loran ein armer Bursche ist, hatte sich Sybille als junges Mädchen sofort in den gut aussehenden Naturburschen mit den sanften braunen Augen verliebt, als er das erste Mal in ihr Dorf gekommen war, um etwas Holz zu verkaufen. Auch ihm war das sommersprossige rothaarige Mädchen aufgefallen, das ihn keck mit ihren grünen Augen gemustert hatte. Sie hatten fünf lange Jahre warten müssen, bis Sybilles Eltern ihre Einwilligung in die Ehe erteilten. Sie hatten sich einen anderen Schwiegersohn und ein leichteres Leben für ihre Tochter gewünscht. Außerdem war der Dunkle Wald, an dem Loran wohnte, den Menschen in Maintabur nicht geheuer. Sybille hatte jedoch treu zu ihm gestanden und so hatte vor zehn Jahren die einfache Hochzeit stattgefunden. Sie hatte ihre Entscheidung nie bereut, auch wenn das Leben am Wald einsam und einfach war. Es gab nur einen Punkt, der sie sehr betrübte. Obwohl sie sich sehr zugetan waren, hatten sie keine Kinder und so langsam gaben sie die Hoffnung auf, dieses Glück noch erfahren zu dürfen.

      „Das Essen ist fertig!“ rief Sybille in der Tür stehend in den Wald. Es gab hier in der Einsamkeit nur Loran und sie, er würde es hören. Es dauerte auch nicht lange, da betrat er das Haus. Sybille hatte zur Feier des Tages ein paar Blumen gepflückt und in einem Holzbecher auf den Tisch gestellt. Zufrieden sah sich Loran in seinem blitzsauberen Haus um. Auch wenn sie einfach lebten, Sauberkeit war in ihrem Heim oberstes Gebot. Verlegen reichte Loran seiner Frau eine Pflanze mit spitzen schwarz-grünen Blättern und einem Blütenstand an dem sich Hunderte winziger rot-gelber Blüten ausgebildet hatten. Er hatte sie in der Nähe des Escalinbaumes gefunden. Sorgsam hatte er darauf geachtet, dass er die Wurzeln des heiligen Baumes nicht verletzte, als er sie für seine Frau ausgegraben hatte. „Für die beste Ehefrau, die sich ein Mann wünschen kann.“ „Oh, eine Waldorchidee!“, rief sie erfreut und gab ihrem Mann dankbar einen Kuss. „Du kannst sie in die Nähe vom Haus pflanzen. Dann hast du sie immer im Blick und kannst dich noch lange daran freuen“, erklärte er bescheiden. Es war ihm wichtig, ihr eine kleine Freude zu bereiten und ihr zu zeigen, dass er sie immer noch wie zu ihrer Hochzeit liebte. Große Geschenke konnte er ihr nicht machen. Umso mehr freute es ihn, dass sie dankbar für jede Art von Aufmerksamkeit seinerseits war. Ihr Geschenk an ihn war der für ihre Verhältnisse festlich gedeckte Tisch mit den Schmalzbroten und der Gerstensuppe, in die sie diesmal sogar ein Stück Speck hineingeschnitten hatte. Vergnügt nahmen sie ihr Mahl ein, als plötzlich herrisch an die Tür geklopft wurde. Fragend sahen sie einander an. Sie