Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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muss man immer halten“, ermahnte der Vater und zupfte ihr liebevoll die Erde aus dem Haar. Verlegen blickte Catalina zu Boden. „Die Kette ist etwas ganz Besonderes. Sie beschützt dich, wo immer du auch bist“, erklärte er, während er ihr das Schmuckstück wieder umlegte. „Ich war doch nur im Wald“, protestierte das Mädchen. „Ich mag die Tiere dort und muss auch nicht vor ihnen beschützt werden!“, warf Catalina trotzig ein. Loran seufzte und Gaya, die das Gespräch von ihrem Versteck aus verfolgte, lächelte. „Im Wald treibt sich manchmal Gesindel herum. Es sind die Menschen, vor denen du beschützt werden musst, nicht die Tiere. Versprich mir, dass du die Kette nie wieder abnimmst. Ganz egal was geschieht!“, forderte er ernst. Catalina sah ihren Ziehvater mit ihren großen blauen Augen unsicher an. „Ich verspreche es!“ Stürmisch gab sie ihm einen Kuss auf die kratzige Wange.

      „Nun zeig mir mal deine Eidechse“, forderte er sie versöhnt auf. Gaya lachte leise als sie sah, wie geschickt das kleine Mädchen seinen Vater um den Finger wickelte. Doch da er sich im entscheidenden Moment unbeeindruckt von Catalinas kindlichem Charme gezeigt hatte, sah Gaya keinen Grund, einzugreifen. Zufrieden verließ sie den Holzfäller und seine Tochter, zu der sich inzwischen auch Sybille gesellt hatte, denn das bunte Tier musste natürlich auch der Mutter gezeigt werden. Catalina wollte die Eidechse sehr gern behalten. Doch der Vater hatte ihr erklärt, dass sie in den Wald gehört, wo sie zu Hause ist. Sie würde dort viel glücklicher leben, als wenn sie eine Gefangene wäre. Aufmerksam hatte die Tochter den Worten des Vaters gelauscht. Er hatte ihr erklärt, dass selbst der schönste Käfig mit seiner Sicherheit vor den Gefahren, die der kleinen Eidechse im Wald drohen würden, das kleine Tier sehr traurig machen würde. Es würde sein Leben in Freiheit vermissen, seine schönen Farben verlieren und am Ende vor Kummer sterben. Die Worte des Vaters waren bei Catalina auf fruchtbaren Boden gefallen. Sie war sofort aufgesprungen und zu der Stelle gelaufen, wo sie die Eidechse gefangen hatte. Dort hatte sie sie wieder freigelassen und glücklich zugesehen, wie das kleine Tier flink hinter einem Stein verschwand. Zufrieden kehrte sie zu ihren Eltern zurück und setzte sich zu ihnen auf die Bank. Stolz strich ihr der Vater über den Kopf. Catalina fühlte sich unheimlich gut, weil sie wusste, sie hatte das Richtige getan, obwohl es das Gegenteil von dem war, was sie ursprünglich vorgehabt hatte.

      Kapitel 2

      Eric war ein hübscher Junge von zwölf Jahren mit blondem Haar und stahlblauen Augen. Der unkindliche Ernst in seinem schmalen Gesicht und die für sein Alter ungewöhnliche Körpergröße und Stärke ließen ihn jedoch deutlich älter erscheinen. Die Stärke und seine stahlblauen Augen waren ein Erbteil seines Vaters, während er die Schönheit von seiner Mutter hatte. Sein Vater war Thore, der oberste Gott und Herrscher von Amesia, der Welt der Götter. Eric hatte ihn nie kennengelernt, denn er wohnte mit seiner Mutter Linella in Trendhoak, einem kleinen Dorf in Doritan, dem Königreich im Westen Osiats. Nur etwa dreißig Bauern, ein Schankwirt und ein Schmied lebten hier mit ihren Familien. Das Dorf lag an einem schmalen Fluss, der sich träge durch die Landschaft schlängelte. Es unterschied sich nicht von den anderen Dörfern in Doritan. Ein paar geduckte Hütten, eine Schmiede, eine Schenke, Ställe für das Vieh und ein paar Scheunen drängten sich in loser Folge um den zentralen Dorfplatz.

      Am Flussufer, etwas außerhalb des Dorfes, lag der heilige Hain, der eigentlich nicht mehr als eine kleine Baumgruppe umfasste. Ein starker und sehr hoher Escalinbaum bildete das Zentrum des Heiligtums. Es war Thores Baum. Früher war es üblich gewesen, dass sich die Menschen, die sich mit einem Anliegen an den großen Gott wenden wollten, unter diesem Baum gebetet und ihre Gaben dort für ihn abgelegt hatten. Das hatte sich in den letzten Jahren geändert. Nur noch ausgewählte heilige Männer durften sich dieser heiligen Stätte nähern. Zur Sommersonnenwende wurden die schönsten Mädchen ausgewählt, um sie unter dem Escalinbaum zu Ehren Thores tanzen zu lassen. Alles, um ihn zu versöhnen, denn es hieß, der große Gott sei verärgert und würde seine Hand nicht mehr schützend über Doritan halten. Anzeichen dafür gab es genug. Nur noch selten konnten die Menschen eine ausreichende Ernte einfahren. Immer wieder überschwemmten Hochwasser die Felder oder Dürren ließen das Getreide verdorren, Feuer zerstörten Wälder und Weiden, ließen Tiere und Menschen gleichermaßen leiden. Das Leben in dem ehemals reichsten und grünsten der vier Königreiche Osiats war für die einfachen Menschen dort schwer geworden. Gemeinschaften brachen auseinander, ganze Landstriche verödeten und der Hunger klopfte immer öfter an die Türen auch vormals wohlhabender Bauern. König Dorin und sein Hofstaat zeigten sich von dem Leiden der Bewohner Doritans unbeeindruckt. Von seiner fernen Hauptstadt Stello aus erhöhte der König die Steuern und verstärkte somit die Drangsal seinen Untertanen. In ihrer Not hatten die Menschen begonnen, sich hemmungslos an dem zu bedienen, was ihnen die Natur gab. Sie fischten Seen und Flüsse leer, ganze Wälder hatten kein jagdbares Wild mehr, nachdem auch die Jungtiere geschossen worden waren, lange, bevor sie selbst für Nachwuchs hatten sorgen können. Zu spät hatten die Menschen erkannt, dass sie sich damit selbst jegliche Grundlage des Überlebens in ihrer Heimat entzogen hatten. Massenhaft waren die Menschen daraufhin aus Doritan geflohen, um in den benachbarten Reichen oder in der freien Stadt Xentalon eine Anstellung und ein neues Auskommen zu finden. Da war Dorin endlich aufgewacht. Doch anstatt die Steuern in seinem Land zu senken, hatte er die Grenzen geschlossen und es seinen Untertanen bei schwerer Strafe verboten, ihre Heimat zu verlassen. Und er hatte ihnen befohlen, alles dafür zu tun, um die Götter wieder mit Doritan zu versöhnen. Dass er es gewesen war, der Thores Zorn auf sein Land gezogen hatte, verschwieg er. Die verzweifelten Menschen folgten dem Befehl ihres Königs und für ein paar Jahre schien es, als hätte Doritan das Schlimmste überstanden. Fünf Jahre hintereinander hatte es reiche Ernten gegeben und die Menschen hatten dankbar in den heiligen Hainen getanzt, gelacht und gefeiert. Die Musik war noch nicht ganz verhallt, da kündigten die schwersten Herbststürme, die es seit Jahren in Doritan gegeben hatte, an, dass sich die Menschen zu früh gefreut hatten. Einem endlos scheinenden bitterkalten Winter war ein kurzes, kaltes und nasses Frühjahr gefolgt. Die wenige Saat, die aufgegangen war, wurde von der unbarmherzigen Sommersonne verbrannt, schon im Herbst starben die ersten Kinder und Alten des Hungers. Den Winter überstanden nur die, die den gallig bitteren Brei aus Baumrinde und Wurzeln herunterwürgen und auch im Magen behalten konnten. Allein in Trendhoak hatten vierzig Dorfbewohner diesen Winter nicht überlebt. So hatte es in dem ganzen Land ausgesehen. Das war vor fünfzehn Jahren gewesen. So schlimm war es seitdem nie wieder gewesen, doch gefeiert und gelacht wurde in den heiligen Hainen von Doritan nie wieder. Selbst der Tanz zur Sommersonnenwende wurde nicht überall und jedes Jahr aufgeführt. In geheimen Sitzungen legten die heiligen Männer fest, an welchen fünf Orten Doritans die Töchter des Dorfes in dem betreffenden Jahr für Thore tanzen durften. Auf Trendhoak war die Wahl vor dreizehn Jahren gefallen. Seit dieser Zeit war der heilige Hain des Dorfes zu einem stillen und verwunschenen Ort geworden, zu dem sich nur selten jemand wagte. Mit Ausnahme der Kinder des Dorfes. Obwohl es streng verboten war, spielten sie gern unter den Bäumen der Götter. Nur Eric kam nie hierher.

      Früher war seine Mutter Linella mit ihm regelmäßig zu dem Escalinbaum gegangen. Er hatte lange nicht verstanden, worüber sie dort sprach, bis er irgendwann begriff, dass sie Thore ihren Sohn vorstellte. Sie hatte immer die Hoffnung, dass der große Gott einmal aus seinem Baum heraustreten und sich zeigen würde. Doch als er fünf Jahre alt gewesen war, fuhr plötzlich ein eisiger Wind über sie hinweg, obwohl es ein sonniger Sommertag gewesen war. Für ihn war dies das untrügliche Zeichen, dass sein Vater nichts mit ihm zu tun haben wollte und die Hoffnung seiner Mutter vergebens war. Linella hatte dieses Erlebnis in tiefe Verzweiflung gestürzt. Als er sieben Jahre alt war, waren sie das letzte Mal dort gewesen. Danach hatte seine Mutter nicht mehr die Kraft, aufzustehen. Seit dieser Zeit kümmerte er sich so gut um sie, wie es ihm als Kind möglich war. Bis dahin hatten sie von dem beträchtlichen Vermögen, das Linellas Vater seiner Tochter trotz der schwierigen Zeiten hatte hinterlassen können, gut gelebt. Doch mit zunehmender Dauer ihrer Krankheit schwand das Geld in erschreckendem Maße. Gwyn, die Mutter seines besten Freundes Leif, unterstützte ihn so gut es ging. Sie bekochte Eric und seine Mutter. Als Frau des Schmiedes und Freundin Linellas konnte sie sich diese Mildtätigkeit leisten. Nur auf Drängen Linellas und um sie nicht zu kränken, nahm sie etwas Geld für ihre Mühe an. Doch dies hatte den zunehmenden Verfall seiner Mutter nicht aufhalten können.

      Oft war Eric voller Verzweiflung in den tiefen und dunklen Wald gelaufen, der kurz hinter der