Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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kantiges Gesicht wies edle Züge auf. Seine starken Augenbrauen verliehen ihm einen strengen, machtgewohnten Ausdruck. Unruhig tänzelte der Schimmelhengst, als ihm etwas Rauch von dem brennenden Scheiterhaufen in die Nüstern fuhr. Unter dem gekonnten Diktat seines Herrn beruhigte er sich jedoch schnell wieder. „Bist du Linellas Sohn?“, wandte er sich wieder an Eric. Diese Frage war eigentlich überflüssig, wie er selbst feststellte, als er dem Jungen ins Gesicht sah. Der sah seiner Mutter sehr ähnlich, hatte ihre schmalen schönen Gesichtszüge und seine Augen waren, als hätte Thore in einen Spiegel gesehen. „Verschwinde! Du hast sie umgebracht!“, schrie ihn Eric wütend an und die Dörfler hielten vor Schreck den Atem an. Thore gab ein gefährlich klingendes Knurren von sich, packte seinen Sohn am Kragen und hob ihn mühelos auf sein Pferd. Ohne ein weiteres Wort sprengte er davon. Leif war der Erste, der sich von dem Schrecken erholte. Laut den Namen seines Freundes rufend lief er hinter dem Pferd her. Doch es war hoffnungslos. So schnell lief der Hengst, dass er nur noch als weißer Punkt in der Ferne zu sehen war, der auf den letzten Strahlen in die untergehende Sonne zu reiten schien. Leif rannte, bis ihn seine Kräfte verließen und er entmutigt aufgeben musste. Verzweifelt sank er auf die Knie und fragte sich, ob er seinen Freund je wiedersehen würde.

      Kapitel 3

      Thore ritt wie der Wind. Eric lag wie ein Mehlsack quer über dem Rücken des riesigen Hengstes, gehalten von dem eisernen Griff seines Vaters. All sein Schreien und Wehren war vergebens. Er konnte sich weder aus dieser unbequemen Lage befreien noch sich durch Flucht seiner Verschleppung entziehen. Die Sonne war längst schon untergegangen, doch Pferd und Reiter fanden auch in der Dunkelheit mühelos ihren Weg. Erstaunt bemerkte Eric, dass von dem Schimmel ein leichtes Leuchten ausging. Es war nicht sehr hell, reichte jedoch aus, um das direkt vor ihnen liegende Stück des Weges soweit zu bescheinen, dass sich das Pferd sicher bewegen konnte. So ritten sie Stunde um Stunde durch die Nacht. Eric hatte keine Kraft mehr, sich zu sträuben. Sein Bauch und seine Rippen taten von der ungewohnten Lage auf dem Pferderücken weh. Sein Atem ging keuchend und ihm wurde langsam schwarz vor Augen. Thore hatte ein Einsehen. In vollem Galopp hob er den Jungen so schnell an und setzte ihn vor sich im Sattel wieder ab, dass ihm ganz schwindlig wurde. „Mach ja keine Schwierigkeiten!“, drohte der große Gott. Es war das erste Mal, dass er etwas gesagt hatte, seit sie Trendhoak verlassen hatten. Eric war viel zu durcheinander, um zu antworten. Die Geschehnisse der letzten Tage verwirrten ihn. Tausend Gefühle stürzten auf ihn ein. Eben noch hatte er mit Leif und den anderen Kindern des Dorfes im Fluss gebadet. Dann hatte er erfahren, dass seine Mutter gestorben war. Noch bevor er richtig von ihr Abschied nehmen konnte, hatte er ihre Seele durch das Feuer befreien müssen. Seine unendliche Trauer über ihren Tod hatte sich in Wut gegen seinen Vater gewandelt. Doch schien dies alles bereits in weiter Ferne zu liegen. Wehmütig dachte er an Leif, Lars, Gwyn und Thorben, die seine neue Familie sein wollten. Er hatte keine Ahnung, warum ihn sein Vater aus seiner vertrauten Umgebung gerissen hatte, noch wohin Thore ihn brachte.

      Plötzlich änderte sich der Schritt des Pferdes. Das dumpfe Hämmern der Hufe auf dem weichen erdigen Boden Osiats wich einem vernehmlichen Klappern, das auf eine Steinstraße schließen ließ. Eric war erschüttert. Das musste die Brücke sein, die Osiat mit Amesia verband. Wie die meisten Menschen hatte er sie noch nie gesehen. Von Erzählungen wusste er, dass sie aus Stein gebaut war. Sie war sehr lang, sehr steil und der einzige Zugang von der Welt der Menschen zur Welt der Götter. An ihrem Ende verwehrte ein magischer Nebel jedem Wagemutigen, der sich bis hierher getraut hatte, den Zutritt nach Amesia. Es hieß, kein Mensch käme lebend durch diesen Nebel. Allerdings hieß es auch, dass die Kinder der Götter zu ihren Vätern nach Amesia geschickt würden, sobald sie ein bestimmtes Alter erreicht hätten. Nun verließ Eric unfreiwillig über diese, ihm endlos lang erscheinende Brücke Osiat. Er bezweifelte, dass ihm die Seele seiner Mutter durch diesen magischen Nebel würde folgen können. Tränen liefen ihm über das Gesicht, als er daran dachte. Jetzt fühlte er sich endgültig allein und der Verlust seiner Mutter wog doppelt schwer. Thore zuckte merklich zusammen, als eine von Erics Tränen auf seine Hand fiel. Entschlossen wischte sich Eric über das Gesicht. Er wollte nicht, dass ihn sein Vater weinen sah. In dem schwachen Licht, das von dem Hengst auszugehen schien, erkannte Eric wie sie sich dem Nebel näherten. Erst wurde es deutlich kühler und dann so kalt, dass er furchtbar zu frieren anfing. Mit dem Nebel kroch die Kälte unter sein dünnes Hemd und eine Gänsehaut überzog seinen ganzen Körper. Er fing an zu zittern, obwohl er sich größte Mühe gab, vor seinem Vater zu verbergen, wie entsetzlich kalt ihm war.

      Thore verlangsamte den Lauf seines Pferdes und warf Eric wortlos einen Mantel über. Er war viel zu groß für den Jungen und hing an den Seiten weit herunter. Eric hatte Mühe, den schweren Mantel mit seinen klammen Fingern zu halten. Thore gab seinem Schimmel wieder die Sporen. Endlich waren sie durch den Nebel hindurch und auf der anderen Seite der Brücke angelangt. Das Klappern der Hufe hörte auf. Für Eric war es, als wäre das Band zu seiner Kindheit mit dem ersten dumpfen Schritt des Pferdes auf dem ihm unbekannten Land durchtrennt worden. Die Liebe und Wärme seiner Mutter hatte er für immer hinter sich gelassen. Jetzt wollte er nur noch so schnell wie möglich zu einem Mann werden. Nie wieder würde er sich eine Schwäche erlauben und in Tränen ausbrechen. Er nahm sich vor, stark und hart zu werden, um sich niemals wieder so verletzlich zu fühlen. Von seinem Vater erwartete er keine Herzlichkeit. Seit Stunden hielt ihn Thore sicher auf dem dahin galoppierenden Pferd fest. Doch Thores eisenharter Griff hatte nichts Väterliches an sich. Genauso hätte er wahrscheinlich eine unbeseelte Last umklammert, die während eines raschen Ritts nicht vom Pferd rutschen sollte. Die Unnahbarkeit des großen Gottes hatte für Eric auch ihr Gutes. Sie half ihm, seine Trauer und Verzweiflung zu überwinden und beinahe gelassen dem entgegen zu sehen, was kommen würde.

      Kurz nach Sonnenaufgang erreichten sie Oskan. Die Stadt schmiegte sich an die sanften Hänge eines Berges, der mitten in Amesia lag. Auf seiner Kuppe standen Paläste aus weißem Stein, die das Morgenrot rosa überhauchte. Der größte und schönste Palast bestand aus drei Flügeln. Eric hatte noch nie ein so großes Gebäude gesehen. An einen riesigen Mittelbau, der von einem prächtigen Giebel bekrönt wurde und in den alle Häuser Trendhoaks hineingepasst hätten, schlossen sich noch zwei Anbauten im rechten Winkel dazu an. Eine aus der Ferne zierlich wirkende Mauer, aus welcher mehrere runde Türme ragten, trennte die Wohnstatt der Götter von der Oberstadt, in der die Kinder der Götter mit ihren Familien in großen schönen Holzhäusern lebten. Pracht und Größe dieser Häuser nahmen ab, je weiter entlegen sie sich von den Palästen befanden. Am Fuß des Götterberges wohnten die entfernten Nachkommen der Götter in der Unterstadt. Eng an eng drängten sich dort die zum Teil sehr einfachen Häuser. Umgeben war Oskan von einer mächtigen Mauer, die nur von den stark bewachten Stadttoren unterbrochen war.

      In unvermindertem Galopp sprengte Thore durch die Straßen Oskans immer weiter hin zum Götterberg. Der Hof vor Thores Palast war das Ziel ihres Rittes. Dort war trotz der frühen Stunde schon viel Leben. Dutzende Soldaten und Wachen konnte Eric ausmachen. Auch andere Gestalten liefen dort schon, beladen mit unterschiedlichsten Werkzeugen, Lasten oder Schreibrollen, geschäftig hin und her. Sie alle verneigten sich tief, als Thore von seinem Schimmel stieg. Unsanft zog er Eric vom Pferd. Einem jungen Burschen in ihrer Nähe warf der große Gott die Zügel zu. „Kümmere dich gut um ihn. Er hat einen langen Ritt hinter sich“, befahl er mit strenger Stimme. „Ja, Herr!“, antwortete der Stallknecht ehrfürchtig. Mit Befremden sah Eric, wie Thore dem Schimmel zärtlich den verschwitzten Hals tätschelte. So sanft hatte ihn sein Vater bisher noch nicht behandelt. Der fing auch jetzt nicht damit an. Im Gegenteil. Grob packte er Eric am Arm und stieß ihn zu den Treppen, die zum Palasteingang führten. Das aufkommende Wispern im Hof verstummte sofort unter Thores drohendem Blick. Doch kaum war der große Gott mit dem Jungen im Palast verschwunden, begann die Gerüchteküche zu brodeln, wen Thore da in den Palast gebracht hatte. Einige meinten Thores Augen in dem Gesicht des Jungen gesehen zu haben, hielten sich aber vorsichtshalber mit ihrer Beobachtung zurück. Sie wollten nicht durch das Streuen von Mutmaßungen in Ungnade fallen.

      Thore zerrte Eric wortlos mit sich fort. Der Junge hatte Mühe, dem schnellen Schritt des großen Gottes zu folgen. Auf den langen Fluren kamen ihnen viele Diener und Bedienstete entgegen, die sich ehrfürchtig vor Thore verneigten und ihren Blick gesenkt hielten, bis die beiden an ihnen vorüber waren. In Eric machte sich stille Bewunderung für seinen Vater breit. Als sie an einem