Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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ließ, musste es ganz schlimm gewesen sein. In dieser Stimmung war er bestimmt nicht zu irgendwelchen Späßen aufgelegt und würde sicher nur trübsinnig ins Wasser starren. Es war genauso, wie Leif befürchtet hatte. Weitab von den anderen Kindern des Dorfes ließ sich Eric an einer Böschung zu Boden sinken. Stumm setzte sich Leif neben ihn. Sehnsüchtig blickte er in die Richtung, aus der das Lachen und Juchzen der anderen zu ihnen drang. „Du kannst ruhig zu ihnen gehen. Ich bin heute keine gute Gesellschaft“ sagte Eric zu Leif. Auch er kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass der sich seinen Tag ganz anders vorgestellt hatte. „Ich bleibe!“, sagte Leif knapp und sah Eric fest an. „Gib mir noch etwas Zeit. Dann komme ich mit dir mit“ bat Eric. Leif nickte. So war ihre Freundschaft. Keiner von ihnen dachte nur an sich. Sie suchten und fanden meist einen Weg, der für sie beide gangbar war. Sie legten sich in das warme Gras und blickten in den Himmel. Leif spürte, wie Eric mit seinem Kummer rang und versuchte, sich von ihm nicht überwältigen zu lassen. Gern hätte er ihn dabei in irgendeiner Weise unterstützt, aber im Moment war er ratlos. Da kam ihm sein jüngerer Bruder Thorben überraschend zu Hilfe. Sanft stupste er Eric an. „Er ist wieder da“, flüsterte er und grinste Eric schelmisch an. Eric wurde sofort hellhörig. „Thorben?“, fragte er ebenso leise zurück. Leif nickte nur ganz leicht. Thorbens liebstes Spiel war es, seinem großen Bruder und dessen Freund zu folgen und sie bei ihren Unternehmungen zu beobachten. Er war fünf Jahre jünger als die beiden und mächtig stolz, einen Bruder wie Leif zu haben. Eric war sein großer Held. So stolz und mutig wie er wollte Thorben auch einmal werden. Was dem Kleinen verborgen blieb, sein Bruder und Eric wussten, dass sie beobachtet wurden. Sie machten sich nur allzu gern einen Spaß daraus, plötzlich zu verschwinden und dann ihrerseits Thorben zuzusehen, wie er sie suchte. Er war ihnen zum Fluss gefolgt und hatte sich gewundert, dass sie nicht bei den anderen Dorfkindern waren. Er durfte mit seinen sieben Jahren noch gar nicht hier sein. Zu groß war die Gefahr, ins Wasser zu fallen und zu ertrinken. Erst mit zehn Jahren durften die Kinder allein an den Fluss. Leif zeigte Eric einen kleinen Stock, den er im Gras gefunden hatte und jetzt in der Hand hielt. Dann wies er mit dem Kopf zur Böschung. Eric grinste und nickte. Er hatte sofort verstanden, was sein Freund vorhatte. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf Leif den Stock zur Seite. Im nächsten Augenblick ließen sich die Freunde die Böschung hinunterkullern.

      Leifs Plan war aufgegangen. Von dem Aufprall des Stocks einen Moment abgelenkt, hatte Thorben nicht mitbekommen, wohin sein Bruder und Eric verschwunden waren. Thorben ärgerte es, dass es den beiden schon wieder einmal gelungen war, ihn zu überlisten. Missmutig sah er sich um. Weit konnten sie nicht gekommen sein. Hier gab es nur Gras. Kein Busch und kein Baum gaben ihnen Deckung. Ein freudiges Strahlen lief über sein kleines Gesicht, als er erkannte, dass er sich auf einer Böschung befand. Vorsichtig schlich er auf allen Vieren an den Rand. Drauf hatten die beiden Freunde nur gewartet. Deutlich konnten sie Thorbens aufgeregtes Atmen hören. Auf ein Zeichen von Leif hin sprangen sie beide mit einem tierischen Gebrüll aus der Deckung. Thorben prallte zurück und plumpste vor Schreck auf den Hosenboden. Dabei machte er ein so verdutztes Gesicht, dass Leif in prustendes Lachen ausbrach, in das Eric sogleich einstimmte. Sie hatten sich Schlamm ins Gesicht geschmiert und sahen zum Fürchten aus. „Leif, du bist gemein! Wie kannst du mich immer so erschrecken!“, rief er erbost. „Das werde ich Vater sagen!“ „Das tust du nicht. Denn dann werde ich ihm sagen, dass du uns zum Fluss gefolgt bist. Dann gibt es bestimmt eine Kopfnuss!“, erwiderte Leif, völlig unbeeindruckt von der Drohung seines kleinen Bruders. Lars, der Vater der Brüder, lehnte Prügel ab. Nur wenn es seine Jungen einmal zu wild trieben, gab es diese Form der Züchtigung. Das kam jedoch ganz selten vor. Dennoch hatten seine Söhne erheblichen Respekt davor. „Na und!“, rief Thorben trotzig. „Du bekommst dann aber auch eine, weil … weil …“ „Weil was?“, wollte Leif triumphierend wissen. „Weil du immer so gemein zu mir bist!“, fiel Thorben gerade noch ein. Leif lachte laut auf und das trieb seinem kleinen Bruder Tränen der Wut in die Augen. Dass er jetzt auch noch ausgelacht wurde, machte ihn rasend. Mit seinen kleinen Fäusten ging er auf seinen Bruder los. „Eric, hilf mir!“, rief Leif in komischer Verzweiflung und suchte hinter ihm Schutz. Dabei wollte es ihn angesichts der hilflosen Wut seines kleinen Bruders schier vor Lachen zerreißen. Eric hatte mit Thorben ein Einsehen, doch er hatte Mühe, den kleinen Trotzkopf zu bändigen. „Na komm schon. So schlimm war es doch auch wieder nicht!“, beruhigte er den Kleinen und wischte ihm die Tränen von den Wangen. „Du wirst uns doch nicht verpetzen, oder? Du bist doch kein Mädchen!“ Thorben schniefte und schüttelte den Kopf. Für ein Mädchen wollte er nicht gehalten werden, schon gar nicht von Eric. „Du siehst komisch aus“, sagte er und griente Eric in sein schlammbeschmiertes Gesicht. Es war erstaunlich, wie schnell bei Thorben die Stimmung umschlug. „Pass bloß auf! Wenn wir dich in den Schlamm werfen, siehst du gleich genauso aus“, drohte Eric scherzhaft. Thorben sah ihn mit großen Augen an und nahm dann so schnell ihn seine Beine trugen, erschrocken Reißaus. Leif, begeistert vom Vorschlag seines Freundes, war bereits einen Schritt auf seinen kleinen Bruder zugetreten. Aus sicherer Entfernung drehte Thorben seinem Bruder eine Nase und rannte dann ins Dorf zurück. Lachend sahen ihm die beiden Freunde hinterher. Dieses Lachen bewirkte, dass Erics Verzweiflung in grenzenlose Ausgelassenheit umschlug. Jetzt war er es, der Leif zum Wettlauf herausforderte.

      Er kam als erster am schrägen Baum an. Noch im Laufen hatte er sein Hemd ausgezogen und kletterte flink wie ein Äffchen den Stamm hoch. Ohne zu stocken, lief er auf einen der oberen Äste und sprang ins Wasser. Prustend kam er wieder an die Oberfläche und winkte Leif, ihm zu folgen. Der ließ sich nicht lange bitten. Er stand bereits auf einem Ast und hatte nur darauf gewartet, dass Eric wieder aufgetauchte. Mit einem großen Platschen landete er dicht neben seinem Freund. Das Wasser spritzte Eric nur so ins Gesicht. Der revanchierte sich bei Leif, indem er ihn untertauchte, kaum dass der Luft geholt hatte. Ihrem ausgelassenen Treiben schlossen sich nach und nach auch die anderen Kinder an. Da standen sie wieder Seite an Seite und es fanden sich sogar ein paar Jungen aus dem Dorf, die sich zu Eric und Leif gesellten. Schließlich lieferten sich die Jungen eine ausgelassene Wasserschlacht. Die Mädchen sahen diesem turbulenten Treiben kichernd zu. Schnell ergriffen sie für die eine oder andere Gruppe Partei, wobei deutlich mehr von ihnen der Gruppe um Eric und Leif die Daumen drückten. Viele Mädchen warfen Eric verstohlene Blicke zu. Doch der interessierte sich, anders als Leif, überhaupt nicht für sie. Auch Jorid gehörte insgeheim zu denen, die Leif den Sieg wünschte, obwohl sie nach außen hin die Nase über das kindische Verhalten der Jungen rümpfte. Nach einer Weile einigten sich die erschöpften Kämpfer auf ein Unentschieden. Zufrieden ließen sie sich in den warmen Sand sinken und von der Sonne trocknen. Es wurde ein vergnüglicher Nachmittag und Eric hatte seit Langem wieder einmal ein paar unbeschwerte Augenblicke genießen können. Als sich die Sonne soweit gesenkt hatte, dass sie die Baumwipfel küsste, machten sich die Kinder munter schwatzend auf den Weg zurück ins Dorf. Dort wurde die Gruppe immer kleiner. Einer nach dem anderen bog auf dem Weg zu seinem Heim ab.

      Eric und Leif hatten den weitesten Weg. Die Schmiede und Erics Zuhause lagen am Rand des Dorfes. Eric erstarrte, als sie an dem letzten Haus vorbeiliefen, das den Blick zum Dorfrand verstellte. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er die Menschentraube vor ihrer kleinen Hütte stehen sah. „Mutter!“, rief er und lief los. Mühsam bahnte er sich seinen Weg durch die Menschen, die ihm den Weg in die Hütte versperren wollten. „Lasst mich durch! Ich muss zu ihr! Mutter!“, schrie er verzweifelt. „Lasst ihn durch!“, befahl eine volle tiefe Männerstimme. Sie gehörte Lars, dem Schmied. Endlich bildeten die Menschen eine Gasse und Eric konnte eintreten. Still lag seine Mutter mit geschlossenen Augen im Bett. Es sah aus als würde sie schlafen. Ihr Gesicht war friedlich und sie schien zu lächeln. „Mutter?“, rief Eric leise. Doch sie rührt sich nicht. Am Boden stand der Teller mit der kalten Suppe und Gwyn stand weinend neben dem Bett. Da wusste er, seine Mutter war tot. „Thore hat ihr das Herz gebrochen“, und „Jetzt hat sie es endlich überstanden“, hörte er jemanden hinter sich sagen. Vor Schmerz betäubt fiel er vor dem Bett auf die Knie und umarmte ihren kalten Leib. Er schämte sich nicht der Tränen, die ihm über das Gesicht liefen. Immer mehr Dorfbewohner drängten in die kleine Kammer, um einen letzten Blick auf Linella zu werfen. Wieder war es Lars, der Eric half. „Geht hinaus. Lasst Eric in Ruhe von seiner Mutter Abschied nehmen.“

      Sanft, aber bestimmt bugsierte er die Menschen aus dem Raum und schloss die Tür. Allein mit seiner toten Mutter weinte Eric hemmungslos und legte sein Gesicht auf