Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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es war Morlan, der Cara und ihren Mann getötet hat. Niemand sonst hätte sie überwältigen können. Cara hat seine Anwesenheit spüren können. Deshalb ist es ihnen noch gelungen, ihr Kind zu verstecken. Zuerst hat er dann wohl Dimendes getötet, sonst wäre er nie an meine Tochter herangekommen.“ „Das war Caras Mann!“, erklärte sie ungeduldig auf Lorans fragenden Blick. „Ich bin sofort zu ihr geeilt, als ich ihre panische Angst und dann ihren Todeskampf gespürt habe. Er hat sie ganz langsam erwürgt. Wahrscheinlich hat es ihm Freude bereitet, zuzusehen, wie das Leben aus Caras Augen wich. Vielleicht hatte er auch gehofft, dass sie ihm doch noch sagen würde, wo Catalina war. Doch sie war lieber in den Tod gegangen, als ihre Tochter diesem Mann zu übergeben. Sie hat ihm nicht verraten, wo sie ihr Kind versteckt hatte. Und ich! Ich bin zu spät gekommen! Ich konnte sie nicht mehr retten“, beendete Gaya tonlos ihren Bericht. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt.

      Sybille und Loran hatten ihr atemlos zugehört. Voll Mitleid lugten sie in den Korb. Das Kind hatte blonden Flaum auf dem Köpfchen und war in ihren Augen das hübscheste Kind, das sie je gesehen hatte. Es hatte einen sehr schön geformten Mund und eine niedliche Stupsnase. Gerade rieb es sich im Schlaf mit den winzigen Fäusten die Augen, ohne sie zu öffnen, und schlief dann mit einem erleichterten Seufzer weiter. Gaya war dem Blick des Paares gefolgt. „Morlan war schon geflohen, als ich dort eintraf, aber seine Magie lag noch über dem Ort. Daher weiß ich, dass er dieses Verbrechen begangen hat. Zum Glück hat er Catalina nicht gefunden. Ich habe sie auch erst nach langer Suche finden können. Sie lag versteckt in diesem Korb in einer tiefen Felsspalte und hatte die ganze Zeit keinen Laut von sich gegeben, als hätte sie gespürt, dass sie in höchster Gefahr geschwebt hatte.“ Voll Stolz blickte sie auf das Kind, das jetzt erwacht war und sie mit ungewöhnlich dunkelblauen Augen ansah. Eine Weile herrschte Stille in dem kleinen Raum. Loran strich sich nachdenklich über das Gesicht und Sybille konnte ihren Blick nicht mehr von dem Korb wenden. Gaya musterte ihre Gastgeber, während sie ihnen Zeit gab, das Gehörte zu verarbeiten. „Warum wir? Ihr habt gesagt, dieser Morlan ist ein mächtiger Magier. Wir sind nur einfache Leute und keiner Magie mächtig, um dieses Kind schützen zu können. Wäre sie da nicht besser bei Euch aufgehoben?“, fragte Loran. Gaya nickte zufrieden. Der Holzfäller war zwar ein einfacher, aber kein dummer Mann, und er hatte gut zugehört. „Gerade deshalb habe ich euch gewählt. Catalina soll als einfaches Menschenkind ohne jegliche Magie aufwachsen. Niemand würde sie bei einem einfachen Holzfäller und dessen Frau vermuten. Das ist ihr größter Schutz. Da ihr so einsam wohnt, könnt ihr sie gut als euer leibliches Kind ausgeben, ohne dass jemand Verdacht schöpfen würde“, antwortete Gaya ruhig. Endlich wich die Anspannung aus Lorans Gesicht und seine Augen leuchteten vor Freude. „Seid ihr bereit, sie bei euch aufzunehmen?“, wiederholte Gaya ihre Frage. „Herrin, habt Dank für Euer Vertrauen! Wir werden ihr all unsere Liebe schenken und sie zu einem anständigen Menschen erziehen“, antwortete Loran ohne zu zögern und Sybille nickte eifrig. Glücklich strahlte sie ihren Mann an. Sie hatte sich schon bei ihrem ersten Blick in den Korb in das kleine Wesen verliebt und war froh, dass es ihm offensichtlich ebenso ergangen war.

      Gaya lächelte dünn. Zum ersten Mal, seit sie die Hütte betreten hatte, erschien so etwas wie ein warmes Leuchten in ihren Augen. „Ihr erweist mir einen großen Dienst“, erwiderte sie freundlich. „Als Dank für eure Freundlichkeit werdet ihr euch von jetzt an keine Sorgen mehr um euer Auskommen machen müssen. Euer Feld wird fruchtbar sein und ihr werdet nie wieder Hunger leiden. Baut einen Stall. Ihr werdet morgen eine Kuh erhalten, die euch Milch für das Kind geben wird.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und wandte sich zur Tür. „Herrin!“, rief ihr Sybille hinterher und warf einen kurzen Blick zu Loran, der ihr ermutigend zunickte. „Ihr dürft noch nicht gehen. Ihr müsst uns doch noch die Erinnerung an Catalinas Geschichte nehmen.“ Gaya verharrte und schloss für einen Moment erleichtert die Augen. Sie hatte ein letztes Mal die Rechtschaffenheit des Paares geprüft und war nicht enttäuscht worden. Hätte ihr Sybille nicht hinterher gerufen, hätte sie den beiden sämtliche Erinnerung an ihren Besuch genommen. Allerdings hätte sie dann für Catalina ein neues Zuhause suchen müssen. Das hätte sie sehr verärgert, denn sie wollte das Kind so schnell wie möglich in Sicherheit wissen. Wie das Ganze für Loran und Sybille am Ende ausgegangen wäre, ist schwer vorherzusagen, denn eine verärgerte Gaya ist unberechenbar. Doch so drehte sich die Göttin wieder zu den beiden um und trat auf sie zu. „Schließt eure Augen und habt keine Angst“, forderte sie sie auf. Gehorsam taten der Holzfäller und seine Frau, wie ihnen befohlen. Beide spürten Gayas Hand auf ihrem Gesicht und hörten, wie sie leise fremdartig klingende Worte vor sich hinmurmelte. Dann wurde es für beide Nacht.

      Sybille wachte am nächsten Morgen mit dröhnenden Kopfschmerzen auf. Loran wälzte sich im Bett unruhig neben ihr hin und her. Benommen dachte sie über den eigenartigen Traum nach, der sie auch jetzt noch atemlos machte. Sie seufzte tief und sah zu ihrem Mann. Er war ebenfalls schon wach. „Ich fühle mich, als hätte ich die ganze Nacht nicht geschlafen“, brummte er müde. Das war auch gar nicht so falsch, denn es war kaum drei Stunden her, seit sie Gaya verlassen hatte. „Muss wohl an dem ungewöhnlichen Traum liegen, den ich gehabt habe.“ Müde drehte er sich auf die Seite und nahm Sybille noch einmal in den Arm. „Was hast du denn geträumt?“, fragte sie vorsichtig. Obwohl sie mit ihrem Mann wie gewöhnlich in ihrer winzigen Schlafkammer lag, war an diesem Morgen nichts wie sonst. Sie spürte es ganz deutlich. Irgendetwas war anders, war neu. Sie konnte es aber noch nicht fassen. „Ich habe geträumt, wir haben einen Korb mit einem Kind vor unserer Tür gefunden“, antwortete Loran nach einer Weile. Er hatte mit seiner Antwort gezögert. Er wusste doch, wie sehr seine Frau unter ihrer Kinderlosigkeit litt. Sybille drehte sich auch prompt zu ihm um und sah ihn mit einem eigenartigen Blick an. Loran war wütend auf sich. Warum hatte er sich nicht einfach etwas Belangloses einfallen lassen? Jetzt hatte er sie verletzt, aber er war einfach noch zu müde. „Loran, das war kein Traum“, flüsterte sie beklommen. „Hör doch!“ Loran setzte sich sofort auf und spitzte die Ohren. Deutlich klang aus dem Nebenraum ein leises Wimmern zu ihnen herüber. „Das kann doch nicht wahr sein“, flüsterte Loran. „Es ist wahr. Ich hatte denselben Traum“, bestätigte Sybille. Er sah sie sprachlos an. Sie nickte nur, denn sie hatte einen dicken Kloß im Hals. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Leise stiegen sie aus dem Bett und schlichen auf Zehenspitzen zur Tür. Auf ihrem Tisch stand ein kostbar geflochtener Weidenkorb, aus dem das Wimmern drang. Daneben stand eine tönerne Flasche mit einem spitz zulaufenden Deckel. An der Spitze bestand er aus einem Silberblech mit winzigen Löchern. So ein Gefäß hatten sie noch nie gesehen. Leise näherten sie sich dem Korb, in dem tatsächlich ein kleines Kind lag. Als es die beiden Menschen sah, hörte es sofort auf, zu wimmern. Es war mit einer weichen Wolldecke zugedeckt, auf der eine Kette mit einem ungewöhnlichen Medaillon lag. Beide durchfuhr ein freudiger Schreck und Sybille schlug die Hand vor den Mund. Loran stürzte vor die Tür, um nach dem Besitzer des Korbs zu suchen, während Sybille erst einmal kopflos von der Feuerstelle zum Korb und wieder zurücklief. Sie hatte sofort gespürt, dass das Kind vor Hunger gewimmert hatte und dringend etwas Milch brauchte. Doch sie hatte keine Milch für das Kind und war auch sonst in keiner Weise darauf vorbereitet, ein Kind zu versorgen.

      Tausend Gedanken stürzten auf sie ein. Sie hatten keine Wiege, keine Windeln, keine Bekleidung für das Kind. Wie sollten sie es ernähren? Sie hatten auch keine Kuh, die ihnen Milch geben konnte. Verwirrt ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und zwang sich zur Ruhe. Das Kind fing wieder an zu wimmern. Das brachte sie dazu, sich zu sammeln. Zu allererst musste sie sich um das Kind kümmern. Als sie die Kette von der Decke nahm, hörte sie auf einmal eine befehlende Stimme in ihrem Kopf: „Sorgt dafür, dass Catalina diese Kette immer trägt! Sie ist von ihrer Mutter und wird sie beschützen. Sie darf sie niemals abnehmen!“ Wie im Traum nickte Sybille und wand sich dem Kind zu. „Du bist also ein Mädchen und heißt Catalina“, sagte sie leise zu dem kleinen Wesen, als sie es vorsichtig aus dem Korb hob. Sie war erstaunt, wie leicht dieses Kind war, das sie stumm mit seinen großen dunkelblauen Augen ansah. Ratlos nahm sie die ungewöhnliche Flasche in die Hand und besah sie sich von allen Seiten. Erschrocken drehte sie die Flasche wieder herum, da plötzlich Milch aus den kleinen Löchern der silbernen Spitze tropfte. „Du hast ja dein Essen gleich mitgebracht“, lachte sie leise das Kind auf ihrem Arm an. Sie begann, mit ihm zu sprechen, um sich selbst Mut zu machen und ihre Gedanken zu ordnen. „Die Milch ist kalt. Wir müssen sie aufwärmen. Feuer!“ Und schon lief sie mit dem Kind