Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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doch es war bereits viel zu spät, um zu dieser Zeit nur für einen Freundschaftsbesuch durch den jetzt finsteren Wald zu laufen. Ratlos zuckte Loran mit den Schultern und beeilte sich, die Tür zu öffnen.

      Verwundert sah er auf die Frau, die vor dem Haus stand. Sie war zierlich, hatte dunkle ausdrucksstarke Augen und ein schönes Gesicht mit einem wohlgeformten sinnlichen Mund. Sie schien etwas älter als Sybille zu sein. Das kostbare Kleid, das unter ihrem einfachen Umhang aus edlem Tuch hervorschaute, ließ darauf schließen, dass sie von hohem Rang sein musste. Sie trug am Arm einen großen kunstvoll geflochtenen Korb, in dem ein wenige Tage altes Kind schlief. Es war von einer weißen Decke aus feinster Wolle bedeckt. Prüfend musterte sie Loran von Kopf bis Fuß, der sich ehrfürchtig vor ihr verneigte und sie ins Haus bat. Wortlos betrat die Frau die Hütte und sah sich Sybille, die sich ebenfalls erhoben hatte, genauso aufmerksam an, wie sie vorher Loran betrachtet hatte. Sie schien zufrieden und setzte sich wie selbstverständlich an den Tisch. „Ihr habt keine Kinder?“, fragte sie, ohne sich selbst vorzustellen. „Dieses Glück war uns leider nicht vergönnt“ antwortete Loran verlegen. Die Traurigkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören. Sybille schlug beschämt die Augen nieder. Sie gab sich die Schuld dafür, dass ihre Ehe kinderlos geblieben war. „Das ist Catalina. Sie braucht ein Zuhause. Wäret ihr bereit, sie an Kindes statt anzunehmen und wie eure eigene Tochter großzuziehen?“, wurden die zwei von ihrer ungewöhnlichen Besucherin gefragt. Sprachlos vor Überraschung ließ sich Sybille zurück auf ihren Stuhl fallen. Hilfe suchend blickte sie zu ihrem Mann. Der sah sie traurig an und schüttelte unmerklich den Kopf. Sybille traten vor Enttäuschung Tränen in die Augen. Aber Loran hatte recht. Es wäre einfach zu schön gewesen, wenn sich zumindest auf diese Weise ihr lang gehegter Wunsch nach einem Kind erfüllt hätte. Dem kostbaren Korb und der vornehmen Kleidung ihrer Besucherin nach zu urteilen, musste dieses Kind etwas Besonderes sein. Es gab bestimmt jemanden, der nach ihm suchen würde und ihnen nicht glauben würde, dass eine ihnen unbekannte Frau ihnen dieses Mädchen geschenkt hatte. Loran sah die Enttäuschung auf Sybilles Gesicht, die auch die Seine war. Auch er hätte sich nur zu gern dieses kleinen Geschöpfes angenommen. „Herrin, das geht nicht! Was ist, wenn ihre Eltern oder ihre Familie sie zurückhaben wollen?“ erklärte er vorsichtig. Er wollte die edle Besucherin nicht kränken.

      „Ihre Eltern sind tot. Sie hat niemanden auf der Welt, der sich um sie kümmern kann“, war die prompte Antwort. Sybille warf ihrem Mann einen hoffnungsvollen Blick zu. Auch in Loran regte sich Hoffnung, aber seine Bedenken waren noch nicht zerstreut. „Herrin, wie sollen wir den Nachbarn erklären, dass wir plötzlich ein Kind haben?“, wand er ein. „Ihr habt keine Nachbarn!“, antwortete die Frau und ihre Augen funkelten spöttisch. „Deine Frau war seit einem Jahr nicht mehr in eurem Dorf. Wie heißt es gleich? Maintabur?“, fuhr sie fort, als hätte sie Lorans nächsten Einwand vorausgesehen. „Herrin, wer seid Ihr, dass Ihr all dies über uns wisst?“, fragte er verblüfft. Die Frau blickte ihn eindringlich an, bevor sie antwortete. „Es ist besser für euch und das Kind, wenn ihr nicht wisst, wer ich bin!“, erklärte sie streng. Sybille und Loran erschraken gleichermaßen bei dieser Antwort. Sie wollten in nichts Unrechtes hineingezogen werden. Die Frau spürte die Furcht ihrer Gastgeber und überlegte. Sie hatte die Beiden bewusst als Pflegeeltern für Catalina ausgewählt, weil sie weitab von anderen Menschen ein einfaches Leben führten und sie ihr ehrlich und anständig erschienen. Und sie wusste, wie sehr sie sich ein Kind wünschten. Dass das Ehepaar trotzdem zögerte, das Kind ohne weitere Erklärungen anzunehmen, überzeugte sie einmal mehr, die richtige Wahl getroffen zu haben. Loran und Sybille sollten alles über Catalina und ihre Herkunft erfahren, was sie wissen mussten, um sich zu entscheiden.

      „Setz dich!“, forderte sie Loran auf, der noch immer mitten im Raum stand. Zögernd setzte er sich zu den Frauen und sah seine Besucherin gespannt an. „Ich werde euch Catalinas Geschichte erzählen“, sagte sie und blickte ernst, erst zu Sybille und dann zu Loran. „Ihr werdet auch erfahren, wer ich bin.“ Unsicher blickten sich der Holzfäller und seine Frau an. „Herrin, Ihr hattet doch gesagt, es sei besser für uns, wenn wir das nicht wüssten!“, fragte Sybille schüchtern nach. Es war das erste Mal, dass sie das Wort ergriff. Ihre Besucherin lächelte mild. „Das ist richtig!“, bekräftigte sie. „Doch ich bin mit einer großen Bitte an euch herangetreten und ihr habt ein Recht, den Grund hierfür zu erfahren. Mit dem Wissen, das ich euch gebe, könnt ihr dann eure Entscheidung treffen. Ich werde euch jedoch die Erinnerung an das, was ihr von mir erfahren habt, anschließend wieder nehmen. Ihr werdet morgen früh erwachen und ein Kind haben, das in einem Korb vor eurer Tür stand …“ Sie machte eine Pause und warf ihren Gastgebern einen prüfenden Blick zu. „… oder ihr werdet vergessen haben, dass ich euch heute Abend besucht habe. Seid ihr dazu bereit?“ Nachdenklich kratzte sich Loran am Kopf. Sybille hatte sich bereits entschieden und sah ihren Mann flehentlich an. Um ihrer stummen Bitte Nachdruck zu verleihen, griff sie sie nach seiner Hand. Zärtlich nahm er ihre Hand und blinzelte seine Besucherin wissend an. „Wir haben doch keine Wahl. Wenn wir jetzt Nein sagen, nehmt Ihr uns doch auch die Erinnerung an euren Besuch, nicht wahr Herrin?“ Die lachte hell auf. Es war ein fast fröhliches Lachen, doch ihre Augen blickten hart. „Loran, du bist ein kluger Bursche“, erkannte sie an. Der lächelte verlegen und rückte ein Stück näher an seiner Frau heran. „Herrin, bitte erzählt uns die Geschichte“, bat er und drückte ermutigend Sybilles Hand. Seine Frau erwiderte seinen Händedruck. So machten sie sich gegenseitig Mut für das, was jetzt kommen würde. Sie hatten das ungute Gefühl, dass es sich bei Catalinas Geschichte nicht um eine fröhliche Erzählung handeln würde.

      „Ich bin Gaya und Catalina ist das Kind meiner Tochter Cara“, begann die Besucherin des Paares gleich mit einem Paukenschlag. Erschrocken wollten Loran und Sybille aufspringen und sich tief vor Gaya verneigen. „Bleibt sitzen!“, befahl sie herrisch. Gehorsam blieben die beiden sitzen und senkten den Blick, wie es Menschen vorgeschrieben war, wenn sie einem Gott gegenüberstanden. „Seht mich an, wenn ich mit euch rede. Ich will eure Augen sehen!“, herrschte Gaya ihre Gastgeber an. Schüchtern hoben Sybille und Loran den Blick. Gaya zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, das seine Wirkung nicht verfehlte. Die Eheleute hielten sich zwar immer noch an den Händen, doch sie sahen Gaya gespannt und nicht mehr ganz so ängstlich an. Was Gaya ihnen nun erzählte, zog sie sie ganz in ihren Bann.

      Catalinas Mutter war eine Tochter Gayas gewesen. Sie war ihrer Mutter Gehorsam schuldig und hätte dankbar in dem goldenen Käfig leben müssen, in den Gaya ihre Töchter sperrte, zu deren eigenem Schutz, wie sie sagte. So empfanden das zumindest Loran und Sybille, als sie hörten, welch strengen Regeln und Geboten Cara bei ihrer Mutter unterlegen gewesen war. Gaya übte uneingeschränkte Kontrolle über einfach jeden Lebensbereich der Tochter aus. Doch Cara hatte sich aus Liebe zu einem Mann gegen ihre Mutter aufgelehnt und beschlossen, mit ihm und ihrem Kind in Osiat ihr eigenes Leben zu leben. „Sie hat sich gegen mich und für einen Mann entschieden! Das ist einfach unvorstellbar!“, rief Gaya empört. Sie war aufgesprungen und lief aufgeregt in der engen Hütte hin und her. Es war überdeutlich, dass sie noch immer über diese Entscheidung ihrer Tochter aufgebracht war. Sybille sah Gaya verstört an. Auch sie hatte sich gegen den Rat ihrer Eltern für Loran entschieden. Doch sie hatte das nie als Abkehr von ihren Eltern empfunden. Im Gegenteil, ihre Mutter und ihr Vater hatten ihren festen Platz in ihrem Herzen. Loran war einfach nur noch dazugekommen. Sybille hatte auch nie den Eindruck, dass ihre Eltern die Liebe ihrer Tochter zu einem Mann als Zurückweisung empfanden. Fragend sah sie zu ihrem Mann, der nachdenklich die Augenbrauen zusammengezogen hatte. Gayas heftige Reaktion war auch ihm ein Rätsel. Ratlos zuckte er mit den Schultern. Gaya hatte sich inzwischen wieder soweit beruhigt, dass sie mit ihrer Erzählung fortfahren konnte. „Ich war so wütend auf Cara, dass ich ihr den magischen Schutz verweigert habe, mit dem ich sonst für die Sicherheit meiner Tochter gesorgt habe. Wenn sie sich aus Liebe in Gefahr begeben wollte, so sollte sie das ruhig tun. Ich wollte, dass sie einsieht, dass ich recht habe und mich um Verzeihung bittet. Ich habe die Gefahr, in der sie schwebte, unterschätzt und sie war einfach zu stolz, mich um Hilfe zu bitten.“ Gaya lächelte bitter. Die Gefahr, in die sich Cara begeben hatte, kam jedoch nicht von dem Mann, den sie liebte.

      Morlan, ein mächtiger Magier aus Estosia, hatte sich in Cara verliebt und offiziell bei Gaya um die Hand ihrer Tochter angehalten. Empört hatte ihn Cara abgewiesen. Niemals würde sie sich mit einem Mann vermählen, der ein Meister der Schwarzen Magie ist und von