Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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einer von Thores besten Hengsten“, erklärte ihm Delano. Eric überlegte. „Wie wäre es mit Diomed?“, fragte er. „Diomed?“ Mehrfach murmelte der Stallknecht den Namen vor sich hin. Es war, als würde ein Weinkenner einen Schluck des edlen Getränks im Mund hin und her wenden, um seine Qualität zu prüfen. „Ein guter Name“, befand er endlich. „Willkommen im Leben, Diomed“, begrüßte er den kleinen Hengst, der aufmerksam mit seinen Ohren spielte. Die anderen Stallknechte riefen Delano zu, dass sie mit ihrer Arbeit fertig seien. „Bleibst du heute Nacht hier?“, fragte der, als er sah, dass Eric keine Anstalten machte, die Box zu verlassen. „Ich darf bei ihm bleiben“, antwortete der Junge und zeigte auf das Fohlen. „Na, dann schlaf gut!“, brummte Delano zum Abschied und zuckte gleichmütig mit den Schultern. Er drehte sich noch einmal um. „Ich bin übrigens Delano. Und wer bist du?“ „Ich heiße Eric.“ „Gute Nacht, Eric“, rief Delano noch einmal und war dann verschwunden. Eric kuschelte sich in das Stroh, auch sein kleiner Freund hatte sich mit zunehmender Ruhe im Stall wieder niedergelassen. „Diomed“, flüsterte Eric glücklich und war bald darauf eingeschlafen.

      Kapitel 4

      Thore wandelte grübelnd mitten in der Nacht durch den stillen Palast. Wie alle Götter brauchte er nur sehr wenig Schlaf. Doch in dieser Nacht konnte er keine Ruhe finden. Wie wütend Fraya auf ihn war, hatte sie ihm gezeigt, indem sie ihm den Zutritt zu ihren Gemächern verwehrt hatte. Die große Göttin griff nur äußerst selten zu dieser drastischen Maßnahme, um Thore ihren Zorn spüren zu lassen. Zum letzten Mal war das vor fünfundzwanzig Jahren vorgekommen. Doch damals hatte Fraya Thore Unrecht getan. Er war nicht einem seiner flüchtigen Abenteuer mit einem schönen Menschenkind gefolgt, sondern einem schändlichen Betrug aufgesessen. Doritan, das reiche und grüne Königreich in Osiat, war von der weißen Pest heimgesucht worden. Rasend schnell hatte sich die Seuche ausgebreitet und innerhalb nur eines Monats ganze Dörfer und Städte entvölkert. In ihrer Not hatten sich die Menschen an die große Göttin gewandt und sie um ihre Hilfe angefleht. Fraya hatte ihre Gebete erhört. Und sie schickte nicht nur ihre heilkundigen Zofen nach Doritan, sondern begab sich persönlich dorthin, um dem Leiden der Menschen schnell ein Ende zu bereiten. Thore war erstaunt gewesen, dass sie bereits nach zwei Tagen wieder zurück in Amesia war. Noch mehr hatte er sich jedoch darüber gewundert, welchen Hunger nach Liebe Fraya aus Osiat mitgebracht hatte. Nächte voll stürmischer Leidenschaft waren gefolgt. Thore war so gefesselt von ihrem veränderten Wesen gewesen, dass er sich nicht daran störte, dass sie ihre Gemächer nicht mehr verließ und er der Einzige war, dem sie den Zutritt zu ihren Räumen gestattete. Nicht einmal ihre Söhne ließ sie zu sich. Nach zweitausend Jahren sollten Yuron und Eyrin wohl in der Lage sein, auch einmal einige Zeit ohne ihre Mutter auszukommen, war ihre wenig liebevolle Begründung gewesen. Außerdem müsse sie sich von den Anstrengungen in Doritan erholen und sei der Ruhe bedürftig. Da war in dem großen Gott der Verdacht gekeimt, dass etwas mit Fraya in Osiat geschehen sein musste. Und zwar nichts Gutes! Nie hätte die Göttin, der sein Herz gehört, ihre gemeinsamen Söhne mit solch einer Kälte behandelt. Zwei Monate war sie bereits wieder in Oskan und doch hatte sie niemand außer Thore zu Gesicht bekommen.

      Wie jetzt, war er auch damals ziellos durch den Palast gestreift, als Fraya plötzlich vor ihm gestanden hatte. Ihr Kleid war staubig und sie war sichtlich erschöpft. Aus ihren sonst so sorgfältig geflochtenen Zöpfen hatten sich ein paar Strähnen gelöst und hingen ihr unordentlich ins Gesicht. Nur ihre Augen hatten vor Freude gestrahlt, als sie ihn ansah. „Wo kommst du denn auf einmal her?“, hatte er sie reichlich verwirrt gefragt. „Na, aus Doritan!“, hatte sie genauso verwirrt geantwortet. „Thore, was ist denn los mit dir? Hast du das etwa schon vergessen?“ Besorgt hatte sie Thore an die heiße Stirn gegriffen. Da war es Thore gewesen, als wäre er aus einem beklemmenden Traum erwacht. Frayas Berührung hatte ihn von dem Zauber befreit, unter dem er die ganze Zeit über gestanden hatte. Im nächsten Augenblick stand er vor Frayas Bett, in dem die Frau gelegen hatte, die er in den letzten zwei Monaten für Fraya gehalten hatte. „Wer bist du?“, hatte er sie wütend angefahren. Erschrocken war die Frau aus dem Schlaf hochgefahren und hatte ihn angsterfüllt aus ihren grünen Augen angesehen. Es war Rixane, eine Magierin aus Estosia. Ihr rotgoldenes Haar hing ihr wild um ihre nackten Schultern und bedeckte nur sparsam ihre schön geformten Brüste. „Was hat das zu bedeuten? Was macht diese Hure in meinem Bett?“ Fraya war Thore gefolgt und stand in der Tür zu ihrem Schlafgemach. Vor Zorn klang ihre Stimme gepresst und war doch so scharf wie ein Dolch aus Ainarstahl. Rixane hatte sich wieder gefangen. „Hure?“, hatte sie spöttisch erwidert. Sie hatte sich ein Gewand aus feinstem Leinen übergeworfen, durch den ihr wohlgeformter schlanker Körper hindurch schimmerte. „Thore, sag deiner Gemahlin, dass ich deine Nebenfrau bin. Die Frau, die dir nach zweitausend Jahren endlich wieder einen Sohn schenken wird.“ Lächelnd hatte sie sich über ihren Bauch gestrichen. „Niemals! Nie wirst du meine Nebenfrau! Und dieses Balg, nimm es mit dir! Es ist nicht mein Sohn! Verlasse Amesia und kehre nie wieder hierher zurück!“ Nur mit Mühe war es Thore gelungen, nicht zu brüllen. Das gerade erwachende Oskan sollte nichts von dem üblen Betrug erfahren, auf den ihr Herrscher hereingefallen war. „Dein Gemahl weiß offensichtlich nicht, wen er sich zum Feind machen möchte“, wandte sich Rixane an Fraya. „Ich bin Rixane und die mächtigste Magierin der drei Welten. Hat dir nicht einst Gaya prophezeit, dass es von deiner Stärke abhängen wird, ob ein Sohn Thores, den nicht du gebären wirst, Fluch oder Segen über Amesia bringen wird? Nun, wirst du damit leben können, dass die Mutter eines weiteren Sohns Thores in Oskan lebt?“ „Woher weißt du, was Gaya einst gesagt hat? Nur die Götter wissen davon!“, hatte Fraya, sofort misstrauisch geworden, wissen wollen. „Rixane! Du bist Hatos Geliebte!“, hatte Thore zornig ausgerufen. „Er hat dich hierher geschickt, damit du die goldene Krone für ihn stiehlst. Auf diesen Verrat steht der Tod!“ Drohend war er auf Rixane zugetreten. Blitzschnell hatte die Magierin Frayas Hand genommen und auf ihren Leib gedrückt. „Herrin, Ihr könnt es fühlen. Ich erwarte ein Kind! Ihr dürft nicht zulassen, dass mir Euer Gemahl etwas antut!“ Deutlich hatte Fraya den schnellen kräftigen Herzschlag des ungeborenen Kindes spüren können. „Es ist wahr, Thore! Du darfst sie nicht töten!“, Frayas Stimme hatte ruhig geklungen, aber auf ihrem Gesicht hatte Thore den Schmerz sehen können, den diese Worte der großen Göttin bereiteten. „Als ob ich je einer Frau etwas antun würde!“, hatte er geknurrt und Rixane am Arm genommen. Im nächsten Augenblick waren beide verschwunden. Der große Gott hatte die Magierin eigenhändig zu einem Übergang von Osiat nach Estosia gebracht. Unsanft hatte er sie in den dunklen Schacht gestoßen und sie für ewig aus Amesia und Osiat verbannt. Rixane hatte geschrien, gedroht und getobt, doch geholfen hatte es ihr nicht.

      Als er in seinem Palast zurück war, hatte er Frayas Gemächer vor ihm verschlossen vorgefunden. Durch die geschlossene Tür hatte die große Göttin nur paar Worte für ihn gehabt. „Wie konntest du nur auf ihren Schwindel hereinfallen! Ich habe an der Schulter kein Muttermal!“ Zehn lange Jahre lang hatte Thore warten müssen, bis sich Frayas Türen wieder für ihn geöffnet hatten. Er war in dieser Zeit nicht untätig gewesen. Rixane hatte ein ungutes Feuer in ihm entfacht. Und so hatte er sich bei den Menschen geholt, was ihm seine Gemahlin verwehrt hatte. Nie war er jedoch mit dem Herzen dabei gewesen. Nur ein einziges Mal hatte es ihn länger bei einer seiner menschlichen Geliebten gehalten. Als sie ihm gestanden hatte, dass sie ein Kind erwartet, hatte er mit ihr gebrochen. Er hatte sie nie wiedergesehen. Von seinem Sohn hatte er bis zu dem Vorfall im heiligen Hain von Trendhoak nur den Namen gekannt, gesehen hatte er ihn noch nie. Beeindruckt von der Kraft und dem Mut des Jungen hatte er ihn, ohne groß zu überlegen, mit nach Oskan genommen. Und auch, wenn er Frayas Zorn dadurch wieder einmal auf sich gezogen hatte, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass es dieser Sohn war, auf den sich Gayas Worte von einst bezogen hatten. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen würde er diesem Jungen nicht als Vater gegenüberstehen. Er hoffte sehr, dessen Anwesenheit in Oskan damit für Fraya erträglich zu machen und diesmal nicht wieder jahrelang darauf warten zu müssen, dass sie ihn ihren Gemächern empfing.

      Unvermittelt stand er vor der Kammer, in die er Eric gesperrt hatte. Er hatte seinen Schritt nicht bewusst hierher gelenkt. Ärgerlich runzelte er die Stirn, als er sah, dass die Tür nur halb geschlossen war. Suchend blickte er den Gang entlang. Von seiner Leibwache, der er seinen Sohn anvertraut hatte, fehlte jede Spur. Aus dem Inneren des Raumes drang ein vernehmliches Schnarchen zu ihm.