Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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endlich ging, damit er die Tochter genießen konnte. Doch das belauschte Gespräch hatte ihn erzürnt. Linellas stolze Worte hatten ihn herausgefordert. Und sie hatte den Jäger in ihm geweckt. Lautlos hatte er sich zurückgezogen.

      Bereits drei Tage später ging Linella wieder zum Fluss. Thore hatte alle Wolken über Trendhoak aufgelöst und die Sonne hatte unbarmherzig auf das Dorf gebrannt. Die Menschen hatten unter der Hitze gestöhnt. Voller Angst hatten sie in den Himmel geblickt, denn sie fürchteten, dass eine erneute Dürre die Früchte ihrer Felder kurz vor der Ernte zerstören würde. Selbst in den Nächten hatte sich die aufgeheizte Luft kaum abgekühlt. Linella hatte das Bad in dem kühlen Nass an diesem heißen Tag besonders genossen. Lange hatte Thore darauf warten müssen, bis sie aus dem Wasser stieg. Sie hatte sich noch nicht wieder angezogen, da hatte er sich ihr gezeigt. Erschrocken hatte sie versucht, ihre Blöße mit ihren vorgehaltenen Kleidern zu bedecken. Doch diese hilflose Geste hatte ihren schönen schlanken Körper eher noch betont als verhüllt. Genüsslich hatte der große Gott sie gemustert. Sie hatte sofort erkannt, wer das so plötzlich vor ihr stand. Thore war groß, sehr groß. Er überragte selbst die größten Menschen um mindestens einen Kopf. Er hatte starke breite Schultern und einen muskulösen Körper. Sein dichtes blondes Haar wurde von einem goldenen Stirnreif gehalten. Seine stahlblauen Augen hatten spöttisch gefunkelt, während er sie betrachtet hatte. Sie hatte sich keinen Illusionen hingegeben. Sie hatte gewusst, was sie erwartete. An Flucht oder Rufen um Hilfe war nicht zu denken. So hatte sie sich vor ihm ergeben verneigt, zu Boden geblickt und auf das Unvermeidliche gewartet. „Jetzt gehörst du mir!“, hatte er ihr lakonisch mitgeteilt. Doch sie hatte bestimmt den Kopf geschüttelt. „Herr, Ihr werdet mich besitzen, aber ich gehöre Euch nicht“, hatte sie leise geantwortet. Ein fernes Donnergrollen und plötzlich aufkommender stürmischer Wind hatten ihr gezeigt, dass sie den großen Gott zornig gemacht hatte. Dicke schwarze Wolkenberge hatten sich über Trendhoak aufgetürmt und begonnen, sich in einem Sturzregen über dem Dorf zu entleeren, während am Fluss über Thore und Linella kein einziger Tropfen niederging. Diese Fluten hätten innerhalb kürzester Zeit die ganze Ernte vernichtet. Entsetzt war sie vor ihm auf die Knie gefallen. Die Menschen wussten, dass solche plötzlichen Unwetter, die nur über einer kleinen Region oder einem Dorf herniedergingen, oft genug auf Thores Zorn zurückzuführen waren. „Herr, ich werde tun, was Ihr von mir verlangt. Bitte verschont unser Dorf“, hatte sie ihn angefleht. Wütend hatte er sie am Kinn genommen und in ihre schönen braunen Augen gesehen. In ihrer Seele las er, dass es nicht hochfahrender Stolz war, der sie ihre Worte hatte sagen lassen. Sie hatte den festen Glauben, dass es im Leben einer Frau nur einen Mann geben könnte, den sie wirklich lieben würde. Dem würde sie mit Leib und Seele gehören. Sie würde sich Thore hingeben, um ihr Dorf zu retten, aber ihr Herz würde ihm verschlossen bleiben. Das hatte seinen Jagdeifer noch weiter entfacht. Er wollte derjenige sein, dem sie gehören wollte. Dazu würde er all seine Verführungskünste einsetzen. Thore war gespannt gewesen, wie lange sie ihm widerstehen könnte. Er hatte sich auf dieses ganz neuartige Spiel gefreut, denn für ihn war es nicht mehr als das gewesen. Und er fing sofort damit an. So plötzlich, wie der Gewitterguss eingesetzt hatte, hörte er auf, die Wolken verzogen sich und die Sonne schien wieder von einem klaren blauen Himmel. „Du brauchst keine Angst um dein Dorf zu haben, Linella“, hatte er sie sanft beruhigt und zugleich damit überrascht, dass er ihren Namen kannte. „Ich werde dir nichts tun. Ich werde warten, bis es dein Wunsch ist, mir zu gehören.“ Galant hatte er ihr die Hand geküsst und war verschwunden. Sprachlos hatte sie auf die Stelle gestarrt, an der er noch vor einem Augenblick gestanden hatte. Obwohl er für sie nicht mehr sichtbar war, so war er doch ganz nahe bei ihr gewesen. Neugierig hatte er darauf gewartet, wie sie auf seinen ersten Zug in diesem Spiel reagieren würde und sie hatte ihn nicht enttäuscht. Linella war vollkommen durcheinander gewesen und hatte sich beim Anziehen mehrfach in den Bändern ihrer Kleider verheddert. Wie ein gehetztes Tier nach einem Verfolger hatte sie immer wieder scheu nach ihm Ausschau gehalten. Ihr Atem war schnell gegangen und er hatte spüren können, wie ihr Herz raste. Verwirrt war sie so schnell nach Hause gelaufen, wie sie konnte.

      Schon am nächsten Tag hatte sie ihn wiedergesehen. Fröhlich mit ihrem Vater plaudernd saß er am Küchentisch. Vor Schreck war ihr fast der Korb aus der Hand gefallen. Sie hatte mit den anderen Frauen am Fluss Wäsche gewaschen und sie hinter dem Haus zum Trocknen aufgehängt. „Sieh nur, mein Kind! Mein alter Freund Timo aus Hansung ist zu Besuch gekommen“, hatte der Vater seine Tochter freudig begrüßt. „Aber Vater …“, wollte sie widersprechen. Timo war bereits vor zwei Jahren gestorben und Peer hatte den Verlust des alten Freundes sehr bedauert. Doch Thore hatte ihrem Vater den Geist umnebelt, sodass der wirklich glaubte, sein alter Freund säße bei ihm. Ein drohender Blick des großen Gottes hatte ihr den Mund verschlossen. Entsetzt hatte sie gesehen, dass Thore seine bisher ruhig auf der Tischplatte liegende Hand langsam zu einer Faust ballte. Peer hatte im selben Augenblick angefangen, zu keuchen und zu husten. Sie hatte die Warnung des großen Gottes sofort verstanden und sich beeilt, ihn mit „Guten Tag, Timo“ zu begrüßen. Sofort öffnete sich Thores Hand wieder. Mit einem erleichterten Seufzen hatte Peer tief Luft geholt. „Verzeih Timo, ich weiß gar nicht, wo dieser Husten plötzlich herkam“, hatte er sich bei seinem Gast entschuldigt und sich verlegen über das Gesicht gewischt. Die jähe Luftnot hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben. „Ist schon gut, alter Freund. In unserem Alter kann so etwas schon einmal passieren“, hatte Thore Peer beruhigt und ihm freundschaftlich auf den Rücken geklopft. Linella wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, als ihr Vater auf diese Worte mit einem albernen Kichern antwortete. „Ach, was bin ich doch für ein schlechter Gastgeber!“, schalt sich Peer. „Linella, mein Kind. Biete doch Timo eine Erfrischung an“, bat er. „Nimm etwas von unserem besten Met! Das haben wir uns verdient.“ Dabei hatte er Thore verschmitzt zugezwinkert und ihm freundschaftlich auf den Arm geklopft. Nur mit Mühe hatte der große Gott diese unangemessene Vertraulichkeit über sich ergehen lassen. Schließlich war er es selbst, der seinem Gastgeber vorgaukelte, ein alter Freund zu sein. Unterdessen füllte Linella vorsichtig etwas von dem besten Met ihres Vaters in einen Krug. Thore hatte sie dabei nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte deutlich seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken gespürt. Ihre Hand hatte gezittert, als sie das kostbare Getränk auf den Tisch stellte. Rasch huschte sie davon, um noch zwei Becher zu holen. Als sie Thore und ihrem Vater einschenkte, hatte der große Gott wie zufällig ihre Hand berührt. Sie war darüber so erschrocken, dass ihr der Becher aus der Hand fiel. Das kostbare Nass ergoss sich über den Tisch und tropfte auf Thores Kleider. „Verzeiht, Herr!“, hatte sie gestammelt. Schnell hatte sie ein Tuch geholt, um seine Kleidung zu reinigen. Vor Verlegenheit hatten ihre Wangen geglüht, was sie für Thore noch anziehender machte. „Aber Kind! Du musst zu Timo doch nicht Herr sagen!“, hatte Peer, überrascht über Linellas Verwirrung, kopfschüttelnd zu ihr gesagt. Ängstlich hatte sie Thore angesehen. „Das ist nicht so schlimm, Kind“, hatte der sich des väterlichen Tons bedient und Linella vielsagend angelächelt. Panisch war sie aus der Küche gerannt. Peer hatte das ungewöhnliche Verhalten seiner Tochter falsch gedeutet. „Du darfst ihr nicht böse sein“, entschuldigte er sich bei seinem vermeintlichen Freund. „Sie ist ein braves Mädchen.“ Thore hingegen hatte genau gewusst, weshalb Linella so aufgelöst war. „Und sehr hübsch“, hatte der große Gott ergänzt. „Nicht wahr!“ Peers Augen hatten vor Stolz geleuchtet. „Sie ist eine wahre Augenweide. Weit und breit gibt es keine, die ihr vergleichbar ist. Ihre Schönheit und ihre Reinheit sind nur eines Königs wert“, prahlte er. Thore hatte ihm nur zustimmend zugeprostet. Köstlich amüsierte er sich über Peers naiven Vaterstolz. Sein Lächeln verbarg er geschickt dadurch, dass er seinen Becher vor seinen Mund hielt, und tat, als würde er trinken. Doch er trank nicht. Er war immer wieder erstaunt darüber, was für, in seinen Augen, scheußliche Gebräue die Menschen Osiats voll Genuss in sich hineinschütteten. So etwas würden sie in Amesia nicht einmal an die Schweine verfüttern. Peers Met machte da keine Ausnahme. Linellas Vater hatte seinen Gedanken über seine Tochter nachgehangen. Plötzlich umwölkte sich seine Stirn und er hatte Thore zu sich herangewinkt. Neugierig hatte sich der große Gott zu ihm gebeugt. „Sie ist so schön, dass sie sogar dem großen Gott Thore gefallen könnte“, hatte ihm Peer leise ins Ohr geraunt. „Wenn ich nur wüsste, wie ich verhindern kann, dass sie ihm in die Hände fällt.“ Verschwörerisch hatte er den Finger über den Mund gelegt und sich ängstlich nach allen Seiten umgesehen. „Ich kann dir helfen, sie zu beschützen“, bot sich Thore an. „Das