Leylen Nyel

Quondam ... Der magische Schild


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sie genommen und behutsam daran gerochen. „Das ist eine Sapinie. Sie ist sehr selten und schwer zu finden“, hatte Thore erklärt, der urplötzlich in ihrer Kammer gestanden hatte. Das war glatt gelogen. Diese Blumen wuchsen in einigen geschützten Tälern des Annorgebirges, des Ringgebirges von Amesia, wie Unkraut vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein. Ihr Duft verbreitete sich das ganze Jahr über in diesen Tälern. Doch Thore wusste, dass Frauen gern hörten, dass man besondere Mühen auf sich nimmt, um ihnen eine Freude zu bereiten.

      Erschrocken hatte sich Linella zu ihm umgedreht. Er hatte hinter der Tür gestanden und gespannt auf ihre Reaktion auf die Blume auf ihrem Bett gewartet. Sprachlos hatte sie ihn mit ihren schönen braunen Augen angeblickt. Und er hatte sehen können, dass sie kurz davor stand, sich geschlagen zu geben. Ein letztes Mal hatte sie versucht, aus der Schlinge, die der große Gott ausgelegt und in der sie sich hoffnungslos verfangen hatte, zu entkommen. Sie war vor ihm auf die Knie gefallen und hielt den Blick gesenkt. „Herr, wieso wollt Ihr mich zerstören?“, hatte sie leise um Gnade gebeten. Thore hatte sie sanft am Kinn genommen und zu sich gezogen. „Ich will dich nicht zerstören! Ich will dich lieben!“, hatte er lächelnd geantwortet. „Ihr liebt mich?“, hatte sie ungläubig gefragt. Das hatte er nicht gesagt. Doch er hatte es unterlassen, die Sache richtigzustellen. Linella hatte lichterloh gebrannt, als er zärtlich ihren schönen Mund geküsst hatte. Widerstandslos hatte sie sich von ihm in ihr Bett tragen lassen und er hatte seinen Sieg in vollen Zügen ausgekostet. Und doch hatte er dabei auch ein gewisses Bedauern empfunden. Er hatte sich wie ein Jäger gefühlt, vor dem am Ende einer herausfordernden und spannenden Jagd die lang ersehnte Beute lag.

      Linella war dem großen Gott hoffnungslos verfallen. Ungeduldig hatte sie jeden Abend auf sein Erscheinen gewartet, obwohl er von da ab nur noch unregelmäßig zu ihr kam. Meist war er direkt in ihre Schlafkammer gekommen und hatte sie ohne große Worte genommen. Noch seltener hatte er sich Linellas Vater gezeigt. Nur ihr zuliebe hatte er Peer noch nicht von seinem Zauber befreit. Als Timo hatte er ihm schließlich erklärt, dass er wegen dringender Geschäfte nicht mehr so häufig nach Trendhoak kommen könnte. Linellas Vater hatte zwar wortreich sein Bedauern darüber geäußert, aber Verständnis gezeigt. Thore war froh gewesen, dass er den alten Mann nicht mehr brauchte. Dessen Vertraulichkeiten hatten seine Geduld über die Zeit mehr als beansprucht. Mittlerweile kündigten erste laue Winde den nahenden Frühling an. Linellas bedingungslose Liebe hatte begonnen, den großen Gott zu langweilen. Schon mehrfach hatte er darüber nachgedacht, nicht mehr zu ihr zu gehen, doch noch konnte er nicht von ihr lassen. Ungewollt hatte ihm Linella eines Tages geholfen, dieser ihm inzwischen lästig gewordenen Angelegenheit ein Ende zu bereiten. Wie immer hatte sie ungeduldig auf ihn gewartet. Auf ihrem Gesicht hatte ein neuartiges Leuchten gelegen, als er zu ihr gekommen war. Sie hatte offensichtlich darauf gebrannt, dass er ihr erlaubte, zu reden. Auch wenn sie seine Geliebte war, so war sie doch ein Mensch. Und Menschen durften nur mit dem großen Gott sprechen, wenn er das Wort an sie richtete. Doch er hatte erst einmal anderes im Sinn. Danach wollte er entscheiden, ob sie ihm erzählen dürfte, was sie bewegte. Still hatte sie mit geschlossenen Augen neben ihm gelegen, nachdem er ihre Liebe genossen hatte. Das hatte sie sich angewöhnt, denn es war ihr ja auch nicht erlaubt, Thore ohne Erlaubnis anzusehen. Er hatte es gemocht, wie sie sich auf ihre ganz eigene unauffällige Art an die strengen Regeln im Umgang mit ihm hielt. So hatte er sie immer ungestört betrachten können, ohne selbst gemustert zu werden. Oft hatte er sie nur mit den Augen gestreichelt und es hatte seiner Eitelkeit geschmeichelt, dass sie nach wie vor unter seinem Blick erschauerte, den sie genauso deutlich spürte, als wenn er sie berührt hätte.

      Diesmal war er mit seiner Reise über ihren zarten Körper nicht weit gekommen. Schon in ihrem Gesicht war er hängen geblieben. Sie lächelte leicht und eine Träne quoll unter ihren geschlossenen Lidern hervor. „Tränen?“, hatte er gefragt. „Verzeiht, Herr! Es ist wegen des wunderbaren Geschenks, das Ihr mir gemacht habt“, hatte sie flüsternd geantwortet. „Ein Geschenk?“ Thore hatte überrascht die Augenbrauen gehoben. Das einzige Geschenk, das er ihr je gemacht hatte, war die Blume aus Amesia gewesen. „Ein Sohn, Herr!“ Jetzt hatte sie doch ungefragt die Augen geöffnet und ihn angestrahlt. „Ich bin mir sicher, es wird ein Sohn. Durch dieses Kind werden wir für immer aneinander gebunden sein.“ „Schweig, du Närrin!“, hatte er sie ungehalten angefahren und von sich weggestoßen. „Hast du wirklich geglaubt, du kannst Thore so an dich binden?“ „Aber Herr! Freut Ihr Euch denn nicht?“, hatte Linella entgeistert gefragt. Thores heftige Reaktion kam für sie völlig unerwartet. „Freuen? Worüber soll ich mich freuen? Dieses Kind bedeutet mir genauso wenig wie du!“, war er aufgebraust. „Aber Herr! Ich dachte, Ihr liebt mich!“ „Liebe!“, hatte er spöttisch gerufen. „Ich habe dich nie geliebt! Thore liebt keine Menschen. Sie sind nur dazu da, dass ich meinen Spaß habe.“ Schonungslos hatte er ihr erzählt, dass sie für ihn nie mehr als eine lohnende Beute gewesen war. Er hatte nur mit ihr gespielt. Böse hatte er gelacht, als er ihr erklärte, dass es für ihn das Größte gewesen war, ihren naiven Vater für seine Zwecke einzuspannen. Er hatte Linella angesehen, wie sehr sie seine Worte trafen. Trotz ihrer tiefen und ehrlichen Liebe und ihres sonstigen Wohlverhaltens hatte er ihr nie ihre Respektlosigkeit, die sie in dem belauschten Gespräch mit ihrem Vater gezeigt hatte, verziehen. Seine Worte schlugen tiefe Wunden in ihre Seele. Wunden, die nie heilten und an denen sie letztendlich zugrunde gegangen war.

      Wütend war er aus ihrer Kammer gestürmt. Peer hatte den Lärm gehört und stand im Flur. Im Vorbeigehen nahm Thore seinen Zauber von Linellas Vater und es geschah, was die Bewohner von Trendhoak vorhergesehen hatte. Als Peer entsetzt erkannte, wer da aus der Schlafkammer seiner Tochter gekommen war und er Linella weinen hörte, fasste er sich mit einem Schmerzensschrei an die Brust und brach ohnmächtig zusammen. Zwei Tage später starb er, ohne vorher noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben. So hatte Linella innerhalb kürzester Zeit die beiden Männer verloren, die sie liebte. Ihren Vater und den großen Gott.

      Thore war nicht auf direktem Weg in seinen Palast zurückgekehrt. Er hatte sich erst einmal beruhigen müssen. Fraya war bereits misstrauisch geworden. Zu lange und zu intensiv hatte er diesmal in Osiat gewildert. Sein langes Werben um Linella war auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen. Er hatte sie näher kennengelernt als alle anderen seiner menschlichen Gespielinnen. Um sie in das von ihm um sie herum aufgebaute Netz treiben zu können, hatte er sich mit ihr, ihrem Denken und Fühlen beschäftigen müssen. Dadurch hatte sie ihm am Ende mehr bedeutet als es je eine andere seiner Geliebten tat. Als sie ihm freudestrahlend eröffnet hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartet, hatte er gespürt, dass ihm dieses Kind sehr viel bedeuten würde. Das hatte er wegen Fraya nicht zulassen dürfen. Die große Göttin hatte ihm seine Seitensprünge immer wieder verziehen, weil sie um die Oberflächlichkeit seiner Gefühle für die Menschen wusste. Wenn sie ihn jetzt so aufgebracht erlebt hätte, hätte sie gewusst, dass es diesmal anders gewesen war. Das hätte für Thore ernste Folgen haben können. So hatte es eine ganze Zeit gedauert, bis er seine Gemächer betreten hatte. Fraya hatte dort bereits auf ihn gewartet. Ganz ruhig hatte sie im Dunkeln in einem Sessel gesessen. Sie hatte ihn und seine Gefühlslage deutlich eher gesehen als er sie. Zum Glück für Thore hatte er zu diesem Zeitpunkt seine Tür bereits mit zwar ernster aber unbeteiligter Miene öffnen können. So war Fraya sein wirklicher Gemütszustand verborgen geblieben. „Wenn du noch einmal zu ihr gehst, verlasse ich dich!“, hatte sie ruhig zu ihm gesagt. Doch diese Ruhe in ihrer Stimme war trügerisch. Sie kannten sich lange genug, sodass Thore genau wusste, dass sie vor Wut kochte und ihre Worte bitterernst meinte. „Ich werde sie nie wiedersehen!“, hatte er ebenso ruhig antworten können. Ohne ein weiteres Wort hatte Fraya seine Gemächer verlassen. Leise schloss sich hinter ihr die Tür. Die große Göttin konnte noch so wütend sein, sie schlug nie mit den Türen. Es hatte Monate gedauert, bis er wieder ihre Gemächer betreten durfte.

      Thore erwachte in dem Pferdestall aus seiner Erstarrung, als sich Eric in dem Stroh von einer Seite auf die andere wälzte. Mit einer Handbewegung sorgte der große Gott dafür, dass der Junge nicht aus seinem Schlaf erwachte. Er hatte das Wort, das er Fraya gegeben hatte, gehalten. Er war nie wieder nach Trendhoak zurückgekehrt. Erst Erics Fackel an seinem heiligen Baum hatte seine Aufmerksamkeit nach zwölf Jahren wieder auf diesen Ort gerichtet. Mit einem Blick hatte er die Situation erkannt, gewusst, wer dort dem Feuer übergeben wird. Ohne darüber nachzudenken, hatte er sich dazu entschlossen, seinen Sohn nach Oskan zu holen. Erst