Martin Scherbakov

Ein russisches Wintermärchen


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auch locker einen Finger durchbeißen konnte, wenn man jedoch eine Menge Erfahrung und etwas Glück hatte, bekam man als Belohnung das feinste Innere und den leckeren Käfersaft.

      Außerdem fühlte er sich nach dem tropischen Klima in Ingolstadt wie in der Antarktis. Egal, wie viele Kleidungsstücke er anzog, es war ihm immer noch zu kalt. Es war kein milder Winter. -16°C. „Sibirische Kälte“. Keiner wagte sich nach draußen. Einmal stand Nuko an einer Haltestelle, er wartete auf einen Bus und zitterte schon vor Kälte, als ihn ein Obdachloser bemerkte und sich ihm näherte.

      „Ej, Bongo-Bongo, was ist los, schon zu Tode gefroren? Schau her, so geht’s!“ Der Penner öffnete ruckartig seinen Mantel und obwohl sich Nuko schon auf das Schlimmste vorbereitet hatte, sah er dort nur Zeitungspapier, das aus der Hose, dem Pullover und den Achseln herausquoll.

      „Nimmste Zeitung und schiebst dir’s überall hinein. Nehme nur kein glänzendes, das wärmt nicht! Vollgestopft und warm is’es“ Zum Abschluss sprach er noch: „Und stinkt auch gar net!“

      „Morgen soll’s wärmer werden!“ rief Johanna.

      „Toll, dann gehen wir in den Zirkus“, freute sich Paula.

      „Irgendwie verstehe ich diese Logik nicht, aber egal“ dachte sich Nuko.

      „Gute Nacht“

      „Gute Nacht“, und alle verschwanden flott in ihren Zimmern.

      In dieser Nacht träumte Paula einen sehr bösartigen Traum. Es ging um Nuko, um den Stein und sie hatte Angst. Angst wie nie zuvor. Am frühen Morgen wachte sie schweißgebadet auf. Sie tastete gleich ihren Körper ab, um sicherzustellen, dass noch alle Körperteile intakt geblieben waren, erst dann konnte sie ausatmen. Sie ging zur Toilette und legte sich wieder hin. Als die Sonne schon hoch über dem Himmel stand, wachte sie wieder auf, weil Johanna zum Frühstück rief. Es gab Haferbrei. Nuko mochte Haferbrei, denn es erinnerte ihn stark an das Püree aus Schnecken und Grashüpfern, das er sehr mochte.

      „Wo bleibt er nur denn?“ dachte sich Paula.

      „Nuko!“

       „Nukooo!“

      „Nuko, komm jetzt zum Frühstück, du machst uns alle nervös!“

      „Dein Haferbrei wird kalt!“

      Paula rannte hoch zu seinem Zimmer.

      „Nuko, das ist nicht mehr lustig, wo bist du?“ rief Paula verzweifelt.

      Sie schaute unter dem Bett und im Schrank. Dann wollte sie das Fenster öffnen und bemerkte dabei, dass es nicht verriegelt war.

      Sie schaute angsterfüllt nach unten – dort war er jedoch auch nicht.

      Stattdessen sah sie dort Spuren im Schnee.

      „Nuko“, rief sie verzweifelt.

      Doch sie bekam keine Antwort.

      Sie meldeten sofort der Polizei, Nuko sei verschwunden. Nach einer Stunde kam die Polizei mit einem Deutschen Schäferhund zu ihnen nach Hause. Der Vierbeiner begann unter dem Fenster zu bellen, trampelte auf dem verschneiten Blumenbeet herum, schnüffelte danach bis zur Straße und blieb dort stehen. Zu ihnen trat ein Polizist ein, welcher Robert mit Fragen zu quälen begann.

      „Wann haben sie den Jungen das letzte Mal gesehen?“

      „Wissen sie, wo er hingelaufen sein könnte?“

      „Wüssten sie vielleicht…?“

      Er teilte ihnen mit, er werde sich alle Mühe geben, den Jungen bis zum heutigen Abend nach Hause zu bringen. „Wieso blieb ihr Hund eigentlich an der Straße stehen?“ fragte Paula den Polizisten neugierig und besorgt zugleich.

      Noch bevor er ihr eine Antwort geben konnte, warf Johanna ein:

      „Paula, mein Mäuschen, du musst jetzt schon wirklich los, sonst kommst du auch zur zweiten Fachstunde nicht!“

      Johanna schob ihren Sprössling, ihr dabei leicht in den Rücken drückend, vor die Tür, die sie hinter ihr auch sofort verschloss.

      „Sehr nett!“ dachte sich Paula.

      Am Abend klopfte erneut jemand an die Tür, Paula sprang vor Freude vom Stuhl, sie dachte, es sei Nuko, doch leider war es ein Polizist, der ihnen mitteilen wollte, sie hätten den Jungen noch nicht finden können, daher käme Morgen eine Spezialeinheit zu ihnen nach Hase, die sich mit solchen Vorfällen besser auskenne.

      Am nächsten Morgen, es war ein Samstag, klopfte schon um 8 Uhr morgens ein Mann mittleren Alters an die Tür. Er trug ein dunkelbraunes Hemd und eine Krawatte und stellte sich als Kommissar Schmitt vor. Er besaß eine kleine, stämmige Figur, leicht graue Haare und hellbraune Augen. Er trug einen dunkelbraunen Filzhut, sobald er ihn absetzte und vorsichtig an einen Halter hängte, konnte man auch seine breite Glatze erkennen. Bevor er in das Haus hereintrat, streifte er gefühlte hundert Mal seine braunen, leicht abgetragenen Lederschuhe auf den sowohl außen, als auch innen liegenden Fußmatten ab.

      „Guten Morgen allesamt. Manfred Schmitt mein Name, Sonderermittler des LKA. Ich würde mal sagen, ich lege gleich los!“ Schmitt lächelte zur Begrüßung alle kurz und höflich, aber auch unaufrichtig an. Paula begann ihn gleich mit zahlreichen Fragen, Nuko betreffend, zu quälen, doch er ließ sich nicht so einfach von seinem Kurs abbringen.

      „Gnädiges Fräulein! Lassen sie mich doch zuerst meine Arbeit erledigen, dann können wir in Ruhe miteinander reden!“ sprach Schmitt mit bayerischem Akzent.

      Bevor er in Nukos Zimmer eintrat, zog er sich weiße Handschuhe über und fing an, nach Hinweisen zu suchen, die ihm helfen würden, Nuko zu finden. Er inspizierte das Zimmer mit Hilfe einer Pinzette, Zentimeter für Zentimeter. Nach 5 Minuten kamen noch zwei Männer in weißen Overalls, die mit Hilfe eines Pinsels und speziellem Puder nach Fingerabdrücken suchten. Und die fanden sie auch.

      „So, so“, sagte Schmitt. „Jetzt ist die Sache schon fast erledigt! Die Übeltäter haben mit Spiritus übergewischt, doch einen Fingerabdruck vergaßen sie… Seltsam! Wahrscheinlich wurde Nuko entführt!“

      „Aber warum?“ dachte sich Paula und versuchte Schmitt noch mit allen möglichen Mitteln dazu zwingen, noch für kurze Zeit zu bleiben, dabei wies sie auch auf das versprochene Gespräch hin.

      „Je eher ich die Ergebnisse dem Untersuchungslabor übergeben werde, desto besser ist es für diesen Jungen!“

      „Dieser Junge heißt Nuko!“ sprach Paula verärgert.

      „Ach stimmt ja, Nuko. Wie heißt er eigentlich nochmal mit Nachnahmen? In dem ganzen Papierkram ist diese Einzelheit irgendwie untergegangen!“

      Die ganze Familie schaute sich Fragend gegenseitig an.

      „Also gut“, sagte Schmitt, „kein Nachnahme ist ja auch in Ordnung!“

      Sicherheitshalber sperrte Schmitt Nukos Zimmer mit einem Roten Band ab und sagte, er käme Morgen wieder.

      Während sich Paula noch die nächste Frage für Schmitt ausdachte, war er schon nach draußen gegangen und in seinem Elektroauto, einem BMW i3, davongefahren.

      Schmitt kam noch an diesem Tag zu ihnen zurück und hatte eine schlechte Nachricht für die Hofers parat:

      „Nun, meine Damen und Herren, dieser Finderabdruck, den die Übeltäter seltsamerweise vergessen haben wegzuwischen, der gehört ’nem russischen Gauner. Dies bedeutet, das Nuko in Russland sein könnte. Wir können die Sache nicht so einfach übergeben, aber…“

      „Nichts aber, ein Junge ist verschwunden und…“ entgegnete Johanna.

      „Ich wollte ja bloß sagen, verehrte Frau, dass zu ihnen am Montag Detektiv Petrov kommt, der ist in Sachen Russland Spezialist“, schloss Schmitt ab und drehte sich rasant zur Tür, um im Dunkeln zu verschwinden und sich so vor weiteren Fragen des neugierigen Fräuleins zu verbergen.

      „Aber hören Sie, wie ist es eigentlich…“, begann Johanna, „Sie können doch