du Faulpelz, jetzt geht die Sache erst so richtig los. Meine Kollegin hat eine frische Spur entdeckt.“
Auf dem Thermometer stand -10°C, recht warm für einen Februar in Moskau. Petrov fuhr ein Auto aus der Garage, welches man in Deutschland selbst auf einem Platz für Gebrauchtwägen nicht kaufen würde. In Russland galt es als „Rarität“.
Paula schaute Petrov mit einem Blick an, als gebe er ihr ein Stück verschimmelten Käse, in dem schon die Maden herumwühlten. Petrov sah dabei Paula an und meinte:
„Du verstehst gar nichts in Autos!“
Danach fuhren sie los. Sie stoppten bei einem Polizeigebäude, gingen in ein kleines Zimmerchen mit einem Blick auf die Moskauer Skyline. Paula stürzte sich auf ein Sofa und schaute mit auf den Bildschirm, wo verschiedene Fotos zu sehen waren.
„Ist Nuko dort?“ fragte Paula erwartungsvoll.
„Ne, ne das sind die Fotos vom Thailandurlaub 2013, hat mit Nuko nichts zu tun“, antwortete Petrov.
„Und Nuko ist vielleicht in Irkutsk, dort wurde einer aus der Bande, die womöglich Nuko entführte, wegen Rangelei verhaftet. Doch bis jetzt sind auf dem Konto dieser Gruppierung nur ein kleiner Diebstahl und Verkauf von Haschisch, also interessieren sie hier keinen!“
„Und wir brechen nach Irkutsk auf?“ fragte Paula dabei vom Sofa aufspringend.
„Hör mal her, Paula! Es kann gut sein, dass du dir vor lauter angeschauten Hollywood-Filmen eingebildet hast, wie richtige Detektivarbeit funktioniert. Sozusagen immer auf der heißen Spur zu sein, immer dem Täter hinterher, bis man den Übeltäter am Ende festnimmt! So geht das vielleicht auf der Leinwand oder in Deutschland, wo du in einer Stunde von Nord nach Süd das ganze Land durchqueren kannst. Aber gute Ermittlerarbeit ist es dabei natürlich noch längst nicht. Du kannst nicht einfach jedem hinterherrennen, bei dem du nur eine Vermutung hast. Allein 11 Zeitzonen gibt es in Russland, elf Mal wird Neujahr gefeiert, das muss du dir erstmal klarmachen! Der Beruf des Kriminalisten ist geordnet, strukturiert. Strategie spielt dabei eine wesentliche Rolle! Also setzt dich wieder, du machst mich hier noch nervös!“
Mit schon leicht feuchten Augen begann Paula sich wieder ganz langsam auf das etwas abgetragene schwarze Sofa zu setzten, ohne dabei nur ein Wort zu sagen. Sie legte ihr Gesicht auf ihre warmen Handflächen und versank ganz in sich, leicht schluchzend.
Bei der Fahrt zu Petrovs Wohnstätte munterte der Detektiv sie etwas wieder auf:
„Das Morgen mit dieser Frau Wolf…“ begann Petrov.
„Ja?“ antwortete Paula neugierig und etwas besorgt zugleich.
„Das habe ich ausfallen lassen!“
„Wie jetzt, ausfallen?“
„Ganz einfach! Ich habe vor kurzem deiner Mutter mitgeteilt, dass wir zu meinen Kollegen in die nördliche Hauptstadt fahren müssten, deshalb können wir uns nicht mit Frau Wolf treffen!“
„Wirklich?“
„Ja, natürlich! Sie war sogar einverstanden!“
„Das ist super!“ Paula wurde etwas rötlich im Gesicht.
Beim Betreten des grauen Palastes, so taufte Paula das Gebäude, wo sich Petrovs Wohnung befand, eine Art zweiter Wohnsitz, kam ihre schlechte Laune rasant zurück. Sie schaute sich nochmal das Einstein-Foto an. Sie blieb wieder für eine kurze Zeit vor dem Fotodruck stehen und betrachtete es:
„Wirklich der passendste Ort hier!“.
Der Ort war tatsächlich sehr passend: im Eingangsbereich roch es scharf nach Urin, die Wände waren dreckig und abgetragen. Dem Stuck an der Decke schien es dort einfach nicht zu gefallen. Auch einige Kaugummis konnte Paula an den Wänden im Treppenhaus nachzählen. Ebenso trugen die vielen, an die Wände geschmierten Sätze und Wörter zum authentischen Design des Treppenwerks bei. Paula glaubte sogar, irgendwo ein Hakenkreuz gesehen zu haben, dies konnte sie jedoch nicht genau wissen, da auch die Lampen im Treppenhaus ihr eigenes Spiel trieben. Es gab auch einen Aufzug, Paula und Petrov nahmen jedoch immer die Stufen. Der Aufzug war defekt. Anscheinend schon seit längerem…
Zum Mittag gab es Fischeier auf Butterbroten. Normalerweise sagte man Kaviar dazu, doch Paula sah in diesen roten, für sie total eklig schmeckenden Kügelchen nur kleine Fischeier. Petrov holte ein Flasche Stolichnaja heraus und Paula schenkte er Wasser ein. Sie prosteten sich, Petrov kommentierte:
„Auf einen gemeinsamen Erfolg!“
Zu Wodka und Wasser gab es Gurken aus einem echten Holzfass à la russe und Pferdesalami.
„Ich esse keine Pferde!“ sagte Paula mit einem strengen Unterton.
„Warum denn das?“
„Weil ich früher einmal dabei war, Reiten zu lernen!“
„Ja und?“
„Und mein Pferd hieß Sandra!“
„Und was wurde aus ihr?“
„Gar nichts!“
„Und wieso isst du jetzt nochmal keine Pferdesalami? Ich versteh irgendwie den Sinn nicht!“
„Ja, weil ich halt einfach keine Pferde essen will!“
„Das war keine Antwort! Komm, probier’ ein Stücken! Außerdem hast du schon bestimmt mal Pferd gegessen! In Lasagne zum Beispiel!“ Petrov grinste.
„Das ist nicht lustig!“
Paula blieb hart und nahm sich kein einziges Stückchen von der unglaublich aromatischen, fettigen Pferdesalami. Dazu holte sie aus ihrem Koffer eine Packung Peitschen, eine Art lange, schmale und luftgetrocknete Würste, heraus und begann diese die Eine nach der Anderen zu verschlingen. Die Frage bleibt jedoch offen, ob sich in diesen Peitschen nicht womöglich auch etwas Pferdefleisch befand.
Den ganzen Nachmittag saß Petrov an seinem Laptop und entwarf eine „Strategie“. Paula dagegen machte einen kleinen Kiezrundgang. Sie fragte an diesem Tag auf Englisch einen Mann über Vierzig beim Vorbeigehen:
„Entschuldigung, wissen Sie, wo ich hier ein Mini-Market vorfinden könnte?“
Zur Antwort hörte sie nur:
„Russian People are tse best!“
Als sie doch den Weg zum Mini-Market fand, wollte sie auf einmal ein Eis im Becher kaufen, es war ihr in dem Moment egal, dass es draußen -14°C hatte. Sie fragte vorsichtig die Verkäuferin:
„Skol’ko stoit?“ (Was kostet?)
Die muntere Kassiererin antwortete ohne groß nachzudenken:
„Sto!“ (Hundert)
Paula begann im Kopf nachzurechnen.
„100 Rubel geteilt durch 50 … 2 Euro.“
Sie wunderte sich erstmal etwas, dass das Eis hier genauso viel kostete, wie in Deutschland, gab der Verkäuferin jedoch bewusst einen 100-Rubel Schein. Die Frau lächelte kurz und sagte dann:
„Da poschutila ja!“ (Das war ein Witz!) und gab Paula 80 Rubel zurück. Sie war etwas verblüfft, wieso das Eis plötzlich nur noch 30 Cent kostete, nahm aber das Wechselgeld mit einem irritierten Blick an.
Später dachte sie über diese seltsamen Vorfälle nach und entschied, sie sollte mal endlich einen Deutsch-Russischen Sprachführer kaufen, denn die die Englischkenntnisse vieler Russen entsprachen der Null und mit auswendiggelernten Gedichten von Puschkin und Lermontow kam sie auf der Straße auch nicht sonderlich weiter. Als sie am Abend wieder mit Petrov an einem Tisch saß, erzählte Paula von ihrem ersten Tag in Moskau und Petrov über seine Strategie: