Ole R. Börgdahl

Die Schlangentrommel


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      »Kurz nach vier.« Hanna hielt ihm ein eingepacktes Sandwich hin. »Wollen Sie etwas essen?«

      Rin Mura schüttelte den Kopf. »Nein danke, vielleicht später.« Er räusperte sich. »Wir haben vier Stunden für zweihundert Kilometer gebraucht?«

      »Das ist kein Problem. Wir haben die Zeit«, antwortete Hanna und legte das Sandwich ins Handschuhfach zurück.

      »Wie lange fahren wir noch?«

      »Etwa zwei Stunden, wenn wir Malmö umfahren.«

      Rin Mura nickte. »Wo sind ihre Kollegen?«

      »Die kommen gleich wieder. Wenn sie dann auch gehen wollen, wird einer der beiden sie begleiten.«

      Rin Mura nickte. Er drehte den Verschluss der Wasserflasche auf und trank einen Schluck. »Machen wir später noch einen Stopp?«

      »Nach Möglichkeit nicht. Jetzt beginnt die kritische Phase, darum meiden wir auch die Stadt.«

      »Eigenartig, ich war noch nie in Malmö«, sagte Rin Mura nachdenklich.

      Hanna lächelte. »Vielleicht ein anderes Mal.«

      Rin Mura schüttelte langsam dem Kopf, erwiderte aber nichts. Hanna wandte sich kurz ab und sah durch die Windschutzscheibe. Rin Mura folgte ihrem Blick. Die beiden Männer kehrten zurück. Sie gingen getrennt. Gunnar war zehn, fünfzehn Meter hinter Erik. Er drehte sich immer wieder unauffällig zur Seite, beobachtete einen vorbeifahrenden Wagen. Es war das erste Fahrzeug, das ihnen seit ihrem Stopp begegnet war. Gunnar blieb stehen, sah dem Wagen noch immer hinterher. Am Ende entschied er, dass es nichts weiter war. In einer Stunde würde der Verkehr ohnehin zunehmen, wenn sie das Umland von Malmö erreichten. Frühschichtbeginn in den Fabriken und auch der Berufsverkehr über den Öresund nach Kopenhagen. Die Brücke gab es erst seit etwas mehr als einem Jahr.

      Erik setzte sich jetzt ans Steuer. Ein leichter Tabakgeruch umwehte ihn, als er einstieg. Rin Mura dachte kurz ans Rauchen. Er würde wegen dieser Sache nicht wieder damit anfangen. Chenda mochte es nicht. Es waren eigenartige Gedanken, die er hatte.

      »Sie können jetzt gehen«, sagte Hanna und sie gab Gunnar ein Zeichen.

      Die Fondtür wurde geöffnet, Rin Mura stieg aus dem Wagen und folgte Gunnar zu dem kleinen Gebäude. Die Tankstelle hatte nicht geöffnet, das Toilettenhäuschen war aber unverschlossen, wie es auf dem Lande üblich war. Fünf Minuten später kehrten sie zurück. Erik startete den Wagen und sie fuhren weiter.

      »Ich hätte jetzt doch gerne mein Sandwisch«, sagte Rin Mura und Hanna holte es aus dem Handschuhfach und gab es ihm nach hinten.

      *

      Bruckner schenkte sich ein und leerte sein Kännchen. Er blickte auf die Kuchentafel. »Wir sollten noch einmal bestellen«, schlug er vor. »Obwohl, Sie haben ja kaum etwas gegessen.«

      »Ich rede ja auch die ganze Zeit«, sagte ich.

      »Und das ist auch gut so«, meinte Bruckner grinsend. »Jetzt muss ich aber mal nachfragen. Dieser Rin Mura plant wohl etwas Großes, aber die Agency hat ihn bereits im Visier. Die ganzen Leute, die gehören aber zu diesem Herrn?«

      »Er hatte einen Stab Leibwächter engagiert«, erklärte ich. »Im Wesentlichen gab es zwei Gruppen, die beiden Männer und die Frau, die ihn direkt schützten und ...«

      »Hanna, Gunnar und Erik«, unterbrach mich Bruckner. »Entschuldigung, Sie werfen aber auch eine Menge Namen in die Geschichte.«

      »Es waren ja auch einige Beteiligte, die alle ihre Rollen gespielt haben. Bei den Leibwächtern war Martin Grenholm quasi der Einsatzleiter. Er war auch bei dem Vorauskommando in Berlin.«

      »Also, ich fasse mal zusammen«, sagte Bruckner. »Rin Mura flüchtet mithilfe seiner Leibwächter vor der Agency. Aber warum haut er ab?«

      »Geduld, Geduld«, sagte ich lachend. »Und außerdem ist noch jemand anderes hinter Rin Mura her.«

      *

      Sie standen auf dem schmalen Parkplatz ganz außen, unter einem Laubbaum, der seine Äste tief zum Boden geneigt hatte. Ein leichter Sprühregen hatte sich über die Windschutzscheibe gelegt. Nhean sah auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es war Viertel vor zwei.

      »Wir müssen noch ein paar Minuten warten«, sagte er zu Arun, der vorgebeugt saß und das Lenkrad fest umklammert hatte.

      Arun schwieg. Nhean wandte sich um und griff auf der Rückbank nach dem Baumwollsack, der dort lag, und holte ihn zu sich nach vorne. Er ließ die Trommel in ihrer Hülle, klopfte aber durch den Stoff auf das Trommelfell, das einen gedämpften Ton von sich gab. Er sah immer wieder auf die Uhr im Armaturenbrett und er spielte die Trommel und versuchte sich an all das zu erinnern, was ihn mit diesem Instrument verband. Er hatte die Trommel selbst angefertigt, auch dies verlieh ihrem Ritual das Besondere. Beim Aushöhlen des Holzes hatte er sich geschnitten, eine tiefe Wunde. Er hatte das Blut trocknen lassen und es war noch heute in der Maserung zu erkennen. Blut für Blut hatte Arun damals gesagt und sich selbst eine Wunde zugefügt, um auch von seinem Blut zu geben und die Trommel zu weihen.

      Nhean atmete tief durch und löste sich aus seinen Gedanken. »Es wird Zeit«, sagte er.

      Arun nickte. Sie stiegen aus dem Wagen. Arun zog sich an der Fahrertür hoch. Sie hielten sofort auf die Bäume zu. Arun folgte Nhean, der zielstrebig durch den Wald ging. Sie erreichten den Zaun. Nhean überlegte kurz, hielt sich rechts und fand einige Meter weiter die unscheinbare Gittertür, die auf das Gelände führte. Ein Schild informierte, dass sich der Eingang Barnstorfer Ring des Rostocker Zoos dreihundert Meter weiter links befand. Nhean hatte das Türschloss bereits bei einem Erkundungsgang vor einer halben Stunde geknackt, nachdem die beiden Nachtwächter vorbeigekommen waren. Dabei hatte er sich seinen Dietrich abgebrochen, aber die Tür war wenigstens offen.

      Den Westteil des Zoos würden die Wachen erst wieder in zwei Stunden kontrollieren. Arun und Nhean blieben mehr als genug Zeit. Gleich hinter der Gittertür gab es einen offenen Schuppen, in dem Aufsitzmäher, kleine Traktoren und mehrere Anhänger standen. Auf dem Platz davor lagerten Haufen mit Muttererde und Kies. Der Betriebshof war von einem Holzzaun umgeben. Das Tor, das zum öffentlichen Bereich des Zoos führte, ließ sich von innen entriegeln. Sie schlüpften hindurch und befanden sich auf einem asphaltierten Weg. Nhean blockierte die Tür, damit sie den Zoo später wieder auf demselben Weg verlassen konnten, ohne über den Holzzaun klettern zu müssen. Arun orientierte sich. Er hatte den bunten Plan des Zoos entfaltet und hielt ihn in das schwache Mondlicht.

      »D-a-r-w-i-n-e-u-m«, entzifferte er den Text. Er hatte immer noch Schwierigkeiten mit den lateinischen Buchstaben.

      Nhean brauchte den Plan nicht. Er schlug gleich die ausgewiesene Richtung ein. Arun faltete das Papier zusammen und folgte ihm. Der asphaltierte Weg schlängelte sich durch das baumbewachsene Gelände. Die Gehege auf der linken Seite waren verlassen, die Tiere in ihren Ställen und Unterständen. Es regte sich nichts. Erst als mehrere Nachtvögel schrien, blieben Arun und Nhean für einen Moment stehen. Das Geräusch war harmlos, kein Warnruf, der die Nachtwächter auf den Plan gerufen hätte. Dennoch sah Arun Nhean fragend an.

      Nhean schüttelte den Kopf. »Die sind jetzt im Ostteil. Da liegt eine Straße zwischen und es gibt nur einen Durchgang.«

      Sie gingen weiter. Vor ihnen tauchten Gebäude auf. Sie verließen den Weg, überstiegen einen niedrigen Zaun und befanden sich hinter der großen Tropen-Halle. Nhean entfernte sich ein Stück von der Halle, um das flache Dach zu überblicken. Er kam zu Arun zurück.

      »Eines der Oberlichter steht offen«, erklärte er. »Ich gehe hoch und mache dir dann unten auf.«

      Arun nickte. Nhean sah sich um, ging zu einer Regenrinne, über die er auf ein Vordach gelangte. Arun beobachtet, wie er sich an dem vorstehenden Hallendach hochzog. Nhean konnte auf dem flachen Dach laufen, erreichte das Oberlicht und öffnete die Abdeckung gerade soweit, dass er sich zwischen den Spalt zwängen konnte. Arun wartete und nach zwei Minuten hörte er, wie an der Tür, neben der er stand, ein Riegel verschoben wurde.