verraten, dachte Nhean. Er blickte sich ein letztes Mal um. Arun war schon vorausgegangen, wartete am Ausgang der Tropen-Halle.
Sie gelangten auf den asphaltierten Weg. Arun hielt seine Uhr in das Mondlicht. Sie hatten achtundvierzig Minuten gebraucht. Sie eilten über den Weg bis zum Tor des Betriebshofes. Sie schlüpften durch das Tor. Nhean ließ das Schloss wieder einrasten. Zehn Minuten später saßen sie im Wagen, verließen den Parkplatz und fuhren auf dem Barnstorfer Ring Richtung Bundesstraße 103.
Sonntag, 26. August 2001, 7:00 Uhr
Sie hatten den Wagen in einem Wohngebiet in der Nähe des Fährhafens von Trelleborg geparkt. Sie hielten sich dort seit gut einer Stunde auf. Erik kehrte jetzt aus dem Hafen zurück. Das Schiff hatte gerade die Hafeneinfahrt passiert. Es warteten bereits einige Passagiere mit ihren Fahrzeugen an der Rampe. Sie hatten vereinbart, dass Rin Mura nicht mit dem Wagen an Bord fahren sollte. Er sollte mit Gunnar in einem Café warten und erst ganz zum Schluss auf das Schiff gehen. Hanna und Erik spielten diesmal das Ehepaar. Sie fuhren mit der Limousine die Travemündeallén entlang und erreichten die kleine Autoschlange. Die Fahrzeuge standen in zwei Reihen vor der Rampe. Das Schiff hatte inzwischen festgemacht. Im Gegenverkehr verließen vor allem LKWs und Busse die Fähre.
Rin Mura saß vor einem Tee, den er kaum angerührt hatte. Gunnar steckte sich eine Tüte mit Gebäck in die Jackentasche. Er ging zum Fenster und sah, dass jetzt auch das Beladen des Schiffes begonnen hatte. Die TT-Line setzte von Trelleborg aus die SAGA STAR ein. Gunnar kehrte zum Tisch zurück, an dem Rin Mura saß und vor sich hin grübelte.
»Glauben Sie, dass es Unglück bringt, wenn man den Namen eines Schiffes ändert?«, fragte er unvermittelt.
Rin Mura blickte auf. »Ich bin nicht abergläubisch«, antwortete er schroff.
»Die SAGA STAR hieß früher GIROLATA«, erklärte Gunnar.
»Was wollen Sie damit andeuten?« Rin Mura schob die volle Teetasse von sich weg.
»Nichts, ich meine nur, es wäre eine gute Finte, wenn wir unseren Plan ändern und Sie nach Sassnitz übersetzen.«
»Und was ist mit dem Wagen?«, fragte Rin Mura.
»Ich habe das mit meinen Kollegen schon durchgesprochen. Wir haben immer einen Alternativplan, erst recht, nachdem man uns heute Nacht beinahe ... Also, wir rechnen natürlich mit so etwas. Ein anderer Wagen würde uns in Sassnitz wieder aufnehmen. Es gebe höchstens eine Verzögerung von zwei Stunden. Es würde nichts ausmachen.« Gunnar überlegte. »Zeitlich haben wir so viel Luft, dass wir auch in Deutschland die Route noch einmal ändern könnten. Ein bisschen Sightseeing, um möglichen Verfolgern unser Ziel nicht gleich zu verraten.«
Rin Mura überlegte. »Was sagt Herr Grenholm dazu?«
Gunnar zuckte mit den Schultern. »Er wird nichts dazu sagen. Wir haben bei solchen Dingen eine gewisse Handlungsfreiheit. Das muss sein, weil wir ja auch auf bedrohliche Situationen selbstständig reagieren müssen.«
»Und so eine Situation ist jetzt gegeben?«, fragte Rin Mura.
Gunnar schüttelte den Kopf. »Nein, nicht unbedingt.«
»Dann entscheide ich, dass wir nichts ändern. Wie gesagt, ich bin nicht abergläubisch. Wenn die Rederei das Schiff einsetzt, dann wird es die Überfahrt wohl schaffen, ohne dass ein Unglück geschieht.«
Gunnar nickte. »Dann trinken Sie bitte ihren Tee aus, wir müssen an Bord.«
Rin Mura trank seinen Tee nicht aus. Sie verließen das Café. Unten im Hafen fuhren die letzten PKWs über die Rampe auf das Parkdeck der SAGA STAR. Kurz bevor sie den Kartenkontrolleur passierten und an Bord gingen, drückte Gunnar Rin Mura das Fährticket in die Hand. Sie fanden sich draußen auf dem Oberdeck ein, stellten sich zu den anderen Passagieren an die Reling unterhalb der Rettungsboote.
Zwanzig Minuten nachdem die Fähre abgelegt hatte, erschien Erik und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte beim Zahlmeister nachträglich eine Kabine gelöst. Er nannte ihnen die Kabinennummer und Gunnar verließ mit Rin Mura das Oberdeck. Sie mussten ins Innere des Schiffes. Gunnar brauchte nicht lange zu suchen. Auf dem schmalen Gang ließen sie eine vierköpfige Familie vorbeigehen, dann klopfte Gunnar an die Kabinentür. Das Klopfen wurde von innen erwidert und Gunnar gab das vereinbarte Zeichen zurück. Erst dann öffnete Hanna die Tür. Die Kabine war klein und fensterlos. Es gab ein Doppelbett. Hanna verließ die Kabine, die von Rin Mura und Gunnar bezogen wurde. Rin Mura blieben jetzt knapp fünf Stunden, um sich frisch zu machen und etwas Schlaf zu finden.
*
Sie hatten Louk Bourey nach Göteborg gebracht, ins staatliche Untersuchungsgefängnis. Vor den Polizeibehörden hatten sie eine Anzeige durchgebracht und dafür gesorgt, dass er vorläufig festgehalten wurde. Die Nacht hatte Bourey in einer Einzelzelle verbracht. Seit mehr als einer Stunde verlangte er von den Wärtern seines Zellentrakts, telefonieren zu dürfen. Es war Punkt 8:00 Uhr, als ein schwerer Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Der Riegel wurde ausgerastet und die Tür öffnete sich. Bourey konnte die Zelle verlassen. Zwei Beamte begleiteten ihn über den Gang in ein Vernehmungszimmer. Die beiden Wachmänner blieben im Raum, als Louk Bourey den Hörer des Wandtelefons nahm und eine Nummer in das Tastenfeld eintippte. Er presste die Hörermuschel ans Ohr. Nach dem Freizeichen klingelte es dreimal, bis wortlos abgenommen wurde.
»Hallo, ich bin es.« Bourey drehte sich zu den Beamten um, die Männer hatten sich abgewandt.
»Ich höre!«, war Grenholms knappe Antwort.
»Ich brauche einen Anwalt«, erklärte Bourey mit ruhigen Worten. »Ich befinde mich seit gestern Nacht im Häktet Göteborg. Die Adresse lautet Ullevigatan 11 in 401 23 Göteborg.«
»Verstehe«, sagte Grenholm, ohne zu zögern. »Sie sind also nicht nach London geflogen? Warum melden Sie sich erst jetzt?«
»Ich durfte nicht telefonieren«, erklärte Bourey.
»Wissen die, wer Sie sind?«
»Das kann ich nicht sagen, aber sie werden es wohl schnell herausbekommen.« Bourey zögerte. »Ich wurde von der Polizei verhaftet, aber da gab es noch andere Männer, im Hintergrund.«
»Dann wissen sie es«, stellte Grenholm fest. Er überlegte. »Ihre Wohnung ist nicht mehr sicher.«
»Das fürchte ich auch«, sagte Bourey. »Was ist mit dem …?«
»Mit dem Stadion? Ich weiß nicht, ob Berlin überhaupt noch infrage kommt. Verdammt!« rief Grenholm in den Hörer. »Sie hätten sich schon gestern melden müssen.«
»Ich konnte nicht.« Boureys Stimme klang gedrückt.
»Vergessen Sie es«, erwiderte Grenholm. »Sie werden von sich aus nichts sagen. Man wird Sie verhören ...« Er stutzte. »Oder wurden Sie schon verhört?«
»Ja, aber nur von der Polizei«, sagte Bourey.
»Was wollten die von Ihnen, was hat man Ihnen vorgeworfen?«
»Das weiß ich nicht, irgendetwas war mit meinem Pass nicht in Ordnung.« Bourey schluckte. »Ich kann mir das nicht erklären, die können nicht wiss …«
»War noch jemand außer der Polizei bei dem Verhör dabei?« Grenholm drängte.
»Ich weiß nicht, ja, zwei Polizisten in Zivil.« Bourey versuchte sich die Ereignisse der Nacht ins Gedächtnis zu rufen. »Ich hatte es schwer, mich unter Kontrolle zu halten.«
»Aber jetzt geht es Ihnen besser?«, fragte Grenholm.
»Ja, es geht mir besser, ich habe geschlafen, mir geht es wirklich besser, ich habe die Situation im Griff.«
»Das ist gut.« Grenholm machte eine Pause. »Sie wissen selbst, dass Sie standhaft bleiben müssen, dass Sie solange es geht, seine Identität wahren. Schaffen Sie das?«
»Selbstverständlich werde ich das schaffen. Was ist nun mit dem Stadion?« Bourey flüsterte das letzte Wort.
»Wir