Jonah Zorn

Menschlich


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Natürlich tat sie das, genauso wie jeder andere. Trotzdem, selbst wenn die Kinder einer Mutter bereits erwachsen waren, konnte sie eine Mutter noch bis zur Weißglut treiben. Besonders wenn es um die Jüngste, den Schützling, ging. Da war keine Gnade geweiht. Keineswegs.

      „Ruby, du bist zu spät.“

      „Ich weiß, es tut mir leid.“ Sie bemerkte es jetzt schon, der Kugelhagel ihrer strenggläubigen Mutter würde nunmehr sie allein mit voller Wucht treffen. Gott sie hätte nach Hause fahren sollen und anstatt sich eine Auge um Auge Diskussion zu liefern nur die Standpauke am Telefon ertragen sollen. Was ein beschissener Tag.

      „Welche Erklärung hast du dafür?“ Sie küsste ihrer Mutter, die sie in den Flur hinein gelassen hatte, zur Begrüßung auf die Wange und richtete sich dann seufzend auf. „Darf ich erst mal meine Geschwister begrüßen und mich hinsetzen?“ Ihre Mutter brummte nur etwas Unverständliches und schloss die Tür hinter ihr.

      Das gleiche Begrüßungsritual vollführte sie bei ihren drei Brüdern und bei ihrer Schwester, neben die sie sich auf den noch freien Stuhl fallen ließ, der mit der Lehne zum Fenster hinzeigte, das eine frische Brise hinein ließ. Diese Brise wirbelte ebenfalls den Geruch der selbstgemachten Pizza auf, von der jedoch nur noch Krümel übrig waren.

      „Ihr habt mir nicht ein Stück übrig gelassen, wie fies.“

      „Du bist schon fett genug.“ Kam es von ihrem ältesten Bruder, der grinsend rechts am Tisch saß und rülpste. „Ja genau, sagt der Richtige.“

      „Christopher benimm dich!“ „Tut mir leid, Mutter. Ich bin so pappsatt, irgendwo mussten die Gase von dem leckeren Essen hin.“ Ruby formte die Lippen zu einem „Idiot“ und goss sich danach ein Glas Wein ein. Sollte er sie doch auf die Schüppe nehmen, zumindest den Alkohol würde sie sich jetzt noch gönnen.

      „Sie hat aber ihr Versprechen gehalten und ist noch gekommen.“ Meinte Lukas, der am weitesten von ihr entfernt saß. „Das ist doch schon was wert.“

      „Sehe ich genauso, das ist keine Selbstverständlichkeit.“ Ergänzte ihre Schwester grinsend, die ihr einen freundschaftlichen Schubs gegen die Schulter gab. „Es muss eine Selbstverständlichkeit sein! Es ist ihre Pflicht.“ Knurrte Rubys Mutter, die sich ihr gegenüber hingesetzt hatte und sie böse anfunkelte. „Das war jetzt schon das dritte Mal nacheinander. Meine Geduld hat irgendwann ein Ende, Ruby.“

      „Es wird nicht wieder vorkommen.“

      „Das hast du letzten Freitag auch gesagt. Ich glaube ich muss wieder andere Seiten aufziehen.“

      „Ich bin erwachsen, Mutter.“

      „Nein bist du nicht. Du bist erst dreiundzwanzig.“

      „Erwachsen.“

      „Untersteh dich mir zu widersprechen.“

      „Lexie ist auch nur vier Jahre älter als ich.“

      „Hey, zieh mich nicht mit rein.“ Funkte Alexandra hinein, die alle nur Lexie nannten. „Du solltest mir helfen - und so etwas nennt sich Schwester.“ Brummelte Ruby und verschränkte die Arme. „Deine Schwester bringt zumindest regelmäßig ihren Freund mit hierher, mit dem sie nun bereits zwei Jahre zusammen ist.“

      „Haste gehört, Ruby, nicht wahr?“ Meinte David lachend, der der Mittlere der Cavillo Geschwister war. „Sei leise.“ Fuhr sie ihn an und nippte langsam etwas quengelig an ihrem Weinglas. „Mutter, du weißt ganz genau, dass ich keinen Mann heiraten will, den du dir zusammengereimt hast.“

      „Wenn du dich, Gott sei mir gnädig, doch nur endlich mit den Männern treffen würdest, die ich mit dir bekannt gemacht habe, das würde mir schon reichen. Du sollst ja nicht gleich einen von ihnen heiraten.“

      „Nein, Mutter, nein, niemals, wie komme ich nur darauf. Ach ja, ich höre es jedes Mal wieder. Ruby wie kannst du nur, Ruby warum kannst du nicht einfach, Ruby dies, das und jenes – ich bin nicht mehr von dir abhängig, Mutter.“ Das letzte Wort betonte sie extra stark, doch als ob ihre Mutter es nicht mitbekommen hatte sprach sie einfach weiter drauf los.

      „Es ist ja nicht nur der Wunsch, dass du sesshaft wirst – du wirst ja schließlich nicht jünger und schöner - …“ „Mutter!“ Protestierte Ruby lauthals und starrte sie empört an. Danach glotzte sie ihre drei Brüder an, die allesamt versuchten sich ein Lachen zu verkneifen.

      „Du musst dem ins Auge sehen, Schätzchen.“ „Halt endlich deine Fresse, David.“ Fauchte sie nun immer wütender über ihre Familie und vor allem immer wütender über ihre Entscheidung hergekommen zu sein.

      „Dein Bruder hat Recht. Deswegen habe ich dem ganzen auch etwas auf die Sprünge geholfen.“

      „Was hast du getan?“ Rubys Hände zitterten unter dem Tisch und sie ließen es erst, als ihre Schwester sie festhielt. „Mutter, Ruby ist wunderschön und das wissen wir alle.“ Versuchte Lexie zu beschwichtigen, mit ihrer ruhigen Art und Weise.

      „Du bist jetzt mal leise, Alexandra. Sie kann froh sein, wenn sie einen halbwegs erfolgreichen Mann bekommt. Also, ich habe letztens im Supermarkt eine alte Bekannte getroffen. Sie heißt mit Beinamen glaube ich Sola und sie hat einen Sohn, der ein paar Jährchen älter ist als du.“ Ruby konnte sich denken, was ihre Mutter ihr gerade beichten wollte und das einzige was sie zurückhielt ihr an die Gurgel zu springen, war der Druck von Lexies Hand.

      „Er ist Lehrer an dem Gymnasium an dem du ehrenamtlich arbeitest. Zufall? Bestimmt nicht. Das muss ein Zeichen von Gott sein, darum habe ich ihr auch deine Nummer gegeben und sie darum gebeten ihm von dir zu erzählen. Vielleicht habt ihr euch schon mal gesehen und nicht bemerkt, dass ihr füreinander bestimmt seid.“

      „Das hast du nicht wirklich, oder?“ Jetzt hatten es die drei Männer aufgegeben sich das Lachen zu verkneifen und alle drei prusteten los.

      „Nutze diese Chance; er ist ein netter Kerl.“ Freilich hatte sie eine Erinnerung an einen Mann, den sie mal als Joshua Sola kurz im Gang gesehen hatte, doch das war es auch schon. Allein die Vorstellung, dass ihre Mutter… nein, niemals. Das würde sie sich nicht bieten lassen. Doch anstatt weiter zu rebellieren, biss sie die Zähne zusammen und appellierte an sich selber einfach ruhig zu bleiben. Irgendwann würde ihre Mutter – und diese drei, sich vor Lachen in die Hose machenden, Volltrottel – die Klappe halten.

      Es war sowieso sinnlos, es war ihr vorbestimmt für immer und ewig das schwarze Schaf in dieser Familie zu sein. Während Christopher ein erfolgreicher Staatsanwalt geworden war und damit in die Fußstapfen ihres Vaters getreten war – der leider schon verstorben war -, Lukas ihre Mutter damit glücklich gemacht hatte ihr mit seiner Frau einen Enkelsohn geschenkt zu haben, David ein anerkannter Schriftsteller war und somit die Lieblingsbeschäftigung der Mutter zur Perfektion gebracht hatte und Lexie damit gestraft war leider keine Kinder bekommen zu können, sich aber als Kinderärztin sehr für Kinder einsetzte, blieb für sie eben nur der Status der Aufmüpfigen, die nichts zu bieten hatte.

      „Komm einfach zur Vernunft, Kind.“ Ruby atmete tief ein und aus und trank danach mit einem Schluck ihren Wein aus.

      „Werde ich. Aber bevor du jetzt noch meinen Job kritisiert, werde ich besser gehen.“ Sie stand ohne Erlaubnis auf, nachdem sie sich aus Lexies Griff lösen konnte. „Du bist doch gerade erst gekommen.“ Die Jungs waren wieder ruhig geworden, alle schwiegen jetzt, nur die beiden Kontrahenten starrten sich an. Ruby wusste, dass sie nicht gehen durfte, das allerdings war ihr schnuppe noch länger hielt sie es hier nicht mehr aus. Ihre Mutter hatte die Grenzen überschritten, sie brauchte mehr Abstand als nur zwei Meter eines hölzernen Tisches.

      „Ja aber mir reicht es für heute.“

      „Ich bestimme wann du gehst, hast du das verstanden?“ Jetzt war auch ihre Mutter aufgestanden, der Größenunterschied schien ihr dabei nicht viel auszumachen.

      „Mutter, bitte. Ich bin todmüde und ich bin wirklich nicht in der Stimmung mir so etwas noch weiter anzutun.“ „Was, mit deiner Familie einen netten Abend zu genießen?“ Sie runzelte die Stirn. „Ja genau das.“

      „Bitte