Jonah Zorn

Menschlich


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Gefühl Vertrauen zu schenken, dann würde sie es auch diesmal tun: Gottverdammt diese Leiche gefiel ihr ganz und gar nicht.

      „Ich erwarte deinen Bericht so schnell wie möglich auf meinem Schreibtisch, verstanden Aumann?“ Der Gerichtsmediziner William Aumann sah nur ganz kurz von seiner Arbeit auf und brummte nur als Bestätigung. William Aumann war wohl mit der einzige Mann im Kommissariats – ausgeschlossen ihres Schützling natürlich – den sie leiden konnte, angesichts seiner Art nur das Nötigste zu sagen. Die meisten anderen waren aufgeblasene Arschlöcher, die zu jeder Zeit damit prahlten wie toll sie doch waren. Und da sie sich regelmäßig darüber aufregte war nun mal die alte Hexe im Kommissariat. Die gute alte Zeit war dahin, die Schönheit der Jugend verpufft und übrig geblieben war eine Frau, die ihren Alltag damit schmückte sich so etwas ansehen zu müssen.

      Die beiden Kommissare hatten sich ein wenig von dem Getümmel entfernt, sodass Brigitte sich entfernt genug fühlte um einer ihrer Routinefragen zu stellen.

      „Was hältst du hiervon?“

      „Die Wunden scheinen mir unterschiedlich alt zu sein, einige waren schon dabei zu heilen. Ich denke, dass sie die ganze Zeit über, die sie verschwunden war, gefoltert wurde.“

      Brigitte überlegte kurz; sie konnte sich selbstverständlich vorstellen, dass es diesem Kerl nur darum ging eine Frau leiden zu sehen, aber normalerweise waren solche Mörder vorsichtiger; sie gingen sorgenvoller mit ihren Objekten um. Das war es ein Objekt!

      „Wie ein Experiment.“ Sprach sie stur geradeaus und blinzelte ein paar Mal, als sie bemerkte, dass Jonas sie verdutzt ansah.

      „Sieh mich nicht wie eine verschreckte Katze an. Diese Theorie ist zwar auch weit ausgeholt aber mein Gott, was soll’s.“

      „Experiment?“ Fragte er nur, diesmal mit seinem typischen Pokerface, was sie gar nicht ausstehen konnte.

      „Vergiss es, Kumpel. Machen wir unsere Arbeit und stellen keine irrsinnigen Theorien mehr auf.“

      Jonas wartete kurz, dann lief er ihr hinterher und meinte beiläufig zu seiner Partnerin. „Wenn etwas schief geht, dann werden die Versuchsobjekte gerne einfach auf den Müll geworfen.“

      Kapitel 8

      Völlig gelangweilt starrte sie auf den flimmernden Bildschirm des Laptops, der vor ihrer Nase stand. Seit ungefähr fünf Minuten hatte sie die Maus nicht mehr bewegt, keine der Tasten der Tastatur auch nur ansatzweise berührt, noch die Warnung bemerkt, dass der Akku nur noch fünf Prozent hatte. Den ganzen Vormittag über bis hin jetzt zum späten Nachmittag hatte sie damit zugebracht die geschossenen Fotos zuerst zu sortieren, sie auf den Computer zu spielen, sie zu bearbeiten, sie wieder den unterschiedlichen Namen zuzuordnen und bereits einige fertige Bilder auszudrucken. Insgesamt hatte dieses Prozedere mit Sicherheit fünf Stunden gedauert. Fünf Stunden in denen sie weder etwas gegessen noch getrunken hatte, sondern nur das Rauschen des Laptops gehört hatte und ihre Augen nichts anderes als Bilder von Hunden, Katzen, Meerschweinchen, Ratten und Gott weiß was sonst noch gesehen hatten. Heißt: Ihre Laune stand kurz vor dem Tiefpunkt. Sie war genervt, halb verhungert, ausgetrocknet und wollte nur noch Schlaf. Da war gar nicht daran zu denken, diese Stimmung auch nur im Geringsten zu verbergen.

      Doch wie das grausame Schicksal es wollte, sollten ihre Nerven noch weiter gespannt werden – wenn sie in diesem Moment nicht sogar rissen -, denn plötzlich war der ganze Bildschirm nur noch schwarz. Vor Schreck rutschte ihr Kinn von ihrer Hand herunter, was sie so sehr überraschte, dass sie nicht rechtzeitig reagieren konnte und sie eben mit jenem Kinn auf die Tischkante schlug.

      „Gottverdammte Scheiße.“ Fluchte sie, während sie sich das schmerzende Kinn rieb und versuchte mit der Maus den Laptop wieder zum Leben zu erwecken. Es war jedoch nicht, wie sie dachte nur der Bildschirmschoner, sondern die Tatsache, dass der Laptop aufgrund von Akkumangel ausgegangen war, leblos, ohne Energie. Als ihr dies bewusst wurde, wurde ihr noch eine ganze andere Sache klar: Da sie so dösig war alle Projekte, die sie bearbeitet hatte, offen zu lassen und nicht direkt nach der Bearbeitung abzuspeichern, hat sich ihre restlose Arbeit gerade zur Hälfte in Luft aufgelöst.

      „Nein, tu mir das nicht an, bitte.“ Flehte sie das wie tote Gerät an, aber es geschah natürlich nichts. „Nein, nein, nein! Mist! Ich hasse es, ich hasse es!“ Verdammte sie sich selber, wegen ihrer permanenten Schusseligkeit.

      Mit Wucht klappte sie die Klappe herunter, rutschte mit dem Schreibtischstuhl zum anderen Ende des Ateliers, welches nur einen kleinen Raum im ausgebauten Dachgeschoss des Hauses darstellte, um in ihren Terminkalender…in ihre Terminkalender zu schauen. Freilich sie hatte insgesamt vier Organizer. Zwei hier oben, wo sie den größten Teil ihrer Arbeit ausübte, einen in ihrer Handtasche und einen im Auto. Im Auto, weil sie ihre Handtasche gerne vergaß, zwei hier oben, weil sie einen immer gerne verlegte. Alle waren vollkommen identisch, das war ja der Witz an der Sache.

      Nun jedenfalls hatte sie keine Termine mehr, die sie heute noch einhalten musste, dann würde sie die Mühen wohl oder übel noch mal über sich ergehen lassen müssen.

      „So eine Zeitverschwendung.“ Stöhnte sie auf und rutschte wieder zurück, um den Laptop jetzt ans Stromnetz zu verbinden. Aber anstatt ihn darauf wieder anzustellen, stand sie auf und streckte sich. „Die Grundbedürfnisse eines Menschen gehen vor.“

      Innerlich brodelte sie noch immer, der Gedanken allerdings an ein leckeres Focacciabrot, ein ligurisches Fladenbrot aus Hefeteig belegt mit Olivenöl, Salz und Oregano, lenkte sie davon ab. Ihr großer Bruder Christopher hatte sie ihr die letzten Tage vorbeigebracht, als verspätetes Einzugsgeschenk. Komischer Weise schenkte er zu jedem Anlass etwas zu Essen, war wohl irgendein Tick. Aber in diesem Fall war es sogar ein Treffer ins Schwarze gewesen. Ruby war keine begnadete Köchin. Nicht einmal diese Fähigkeit, die ihre Mutter wirklich perfekt beherrschte, hatte sie vererbt bekommen. Anscheinend hatte sie nur das Schlechte von ihren Eltern geerbt. Vielleicht hatte ihr Bruder David doch recht, mit dem was er früher immer gesagt hatte; dass sie adoptiert wurde. Sie hatte es ihm nie geglaubt, weil sie genauso wie alle anderen Cavillo-Kinder die dunklen Haare, den dunklen Teint und die Größe des Vaters hatte, aber bezogen auf den Charakter schien sie freilich anders zu sein. Ihrer Meinung nach im negativen Falle, was auch immer jeder ihrer Familienmitglieder meinte. Sie war und blieb eben das schwarze Schaf. Damit hatte sie sich abgefunden.

      Sie drehte die beiden Knöpfe des Ofens, der glücklicherweise bereits angeschlossen war, sodass die Umluft aktiviert wurde und der Ofen auf zweihundert Grad erhitzt wurde. Jetzt musste sie nur noch sechs Minuten warten, bis sie in das schmackhafte, speichelanregende, saftige, mit einem unverkennbaren Geschmack bestücktes Brot beißen - ihr Magen begann laut zu knurren, wie ein halbverhungerter Bär. Wehmütig setzte sie sich im Schneidersitz vor den Ofen, um zu warten. Sich den wohligen Geschmack bereits vorstellen zu können, zu widerstehen irgendetwas anderes aus dem Kühlschrank zu nehmen und es willenlos in sich hineinzustopfen. Dabei konnte sie es sich sogar leisten zu schlemmen, aber diese Figur hatte sie auch nur aufgrund eiserner Disziplin, Stress und Sport. Bei ihrem Glück hatte sie die Anlagen ihrer Mutter geerbt, die sehr gerne aß, und zwar Deftiges, somit auch den dafür bekannten Körperumfang hatte. Wenn ein Cavillofamilienmitglied, vor allem die Frauen nicht aufpassten, quellten sie auf wie ein Hefepilz.

      „Schneller…“ Maulte sie wurde jedoch gestört, denn ihre Haustürklingel ertönte. Im ersten Moment nahm sie das Geräusch erst gar nicht wahr, da sie ihre neue Türklingel erst zum zweiten oder dritten Mal gehört hatte. Das eine Mal, als sie die Einweihungsparty gegeben hatte, das andere Mal, als ihre Schwester zu Besuch gekommen war. Vielleicht war es einer ihrer Brüder, aber um diese Uhrzeit? Vor allem aus welchem Grund?

      Obwohl es ihr etwas komisch vorkam, sprang sie mit einem Satz aus dem Schneidersitz auf, um die Tür zu öffnen. Mit ihrer für sie typischen Durcheinanderheit dachte sie nicht eine Sekunde daran aus dem Küchenfenster zu schauen, von dem aus sie die Einfahrt und dadurch das Besucherauto hätte sehen können. Sie war vielmehr damit beschäftigt sich einen Weg durch die immer noch verstreuten Kartons zu bahnen. Sie dachte darüber nach, dass, wenn es einer ihrer arschkriechenden Brüder war, er ihr direkt beim Aufräumen helfen konnte. Das Erstbeste