Jonah Zorn

Menschlich


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ihrer Brüder. Vor Vorfreude drückte sie die Klinke herunter und riss die Tür auf. „Heeeey Brüderchen!“ Rief sie dabei aus, bemerkte aber dass es keiner ihrer Brüder war, als das Peinlichkeitsgefühl ihre Wangen bereits errötete.

      Dennoch, obwohl der Spion zugeklebt war, hatte sie Recht behalten, dass ein gutaussehender, junger Mann vor ihrer Tür stand.

      „Für wen auch immer Sie mich halten, ich möchte mich dennoch vorstellen. Ich bin Kommissar Jonas Drewes von der Kriminalpolizei und möchte mich hiermit für meinen späten Besuch entschuldigen.“

      Sie starrte seinen Ausweis, den er demonstrativ in die Höhe hielt, konfus an. „Oh.“ Bekam sie schließlich einen Laut zustande, während sie den Blick vom dem Stück Papier noch in sein Gesicht wandern ließ. „Kriminalpolizei?“ Obwohl ihr Mund noch offen stand um etwas zu sagen, brachte sie kein weiteres Wort mehr heraus. Sie war von seinem Lächeln, das er an den Tag legte, wie gelähmt. „Richtig ich hätte einige Fragen an Sie, Frau Cavillo. Darf ich reinkommen?“

      Ihr völlig verwirrter Kopf schaltete nur in kleinen Etappen. Da war Gedanke Nummer Eins: Warum? Gefolgt von Überlegung Nummer Zwei: Das Verschwinden von Mia-Sophie! Die dritte Eingebung - völlig fehl am Platze – war das Begehren: Dieser Mann zog sie bereits beim bloßen Anblick an, was absolut ungewöhnlich und selten war. Und zuletzt der vierte und letzte Geistesblitz: Sie konnte diesen Kommissar doch nicht in diese Unordnung einladen. Vollkommen überfordert mit der Situation, bemerkte sie nicht ansatzweise, dass er sich vorbei an ihr ins Haus gedrängt hatte. Erst als er meinte. „Sie scheinen ja gerade erst umgezogen zu sein.“, erwachte sie aus ihrer Trance und dackelte ihm mit hochrotem Kopf hinterher ins ‚Wohnzimmer’.

      „Ja vor drei Wochen.“

      „Drei Wochen?“ Es schwang etwas Verwunderung in seiner Stimme mit, aber er war so nett es vor ihr zu verbergen.

      „Es ist noch etwas unaufgeräumt, ich hatte in geraumer Zeit nicht mit Besuch gerechnet.“

      „Wenigstens ehrlich, aber sehen Sie mich nicht als Besuch an.“ Im Wohnzimmer hatte sich Jonas an die Fensterfront gestellt, die zum Garten hinausführte. Ruby stand einige Meter von ihm entfernt im Türrahmen zur Küche, die Hände unruhig hinter dem Rücken verschränkt.

      “Ich hatte noch keine Zeit aufzuräumen, weil…“

      „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen…“ Er wandte sich um, sah genau wie sie schnell ihren Blick von seiner Schusswaffe erhob. „…Sie haben es wunderschön hier, im Gegensatz zu meiner mickrigen Beamtenwohnung.“

      Er grinste frech, ein freches Grinsen, weder zynisch noch anmaßend, eher jungenhaft und anziehend, welches ihr einen heißkalten Schauer über den Rücken jagte. Aus diesem Grund antwortete sie auch nichts auf seinen Einwand. Es entstand eine Pause. Eine von ihm gewollte Pause. Weil er wusste, dass sie diese Pause nicht wollte, da sie sie nicht ertrug.

      „Was wollen Sie mich über Mia-Sophie fragen?“

      „Wer ist Mia-Sophie?“ Jonas sah sie gespielt erstaunt an, was sie zum hektischen Zurückweichen brachte. „Ja, ich dachte Sie, dass Sie…dass Sie wegen dem Verschwinden von ihr zu mir gekommen sind.“

      „Verschwinden?“

      Ihr Stottern endete schließlich in einem verwirrten Schweigen, während sie nun mit verschränkten Armen dastand. Der Kommissar, der es außerordentlich gut verstand seine Gesten zu beherrschen, erhob eine Augenbraue und verschränkte ebenfalls die Arme.

      „Ich weiß wirklich nicht wovon Sie sprechen.“ Er schüttelte den Kopf, gefolgt von einem vielsagenden Schulterzucken. Doch trotz seiner sehr bewussten Gesten fand Ruby letztlich doch ihre Fassung sowie große Klappe wieder.

      „Gut, Herr Kommissar Drewes, was hat Sie dann hierher getrieben? Meine Wenigkeit, vielleicht?“ Er schmunzelte flüchtig.

      „Nun Frau Cavillo, ich muss mich korrigieren, hierbei geht es um Mia-Sophie Seidel.“ Abrupt wurde er ernst. „Sie kannten sie?“ Fragte er und hatte auch ebenso geschwind einen Notizblock gezückt. Ruby schluckte und setzte sich vorsichtshalber auf einen der vier Esszimmerstühle, die vorerst noch aufgereiht an der Wand standen.

      „Ja ich kenne sie.“

      „Woher?“ Sie fixierte ihn mit ihrem Blick, mit einem Mal hatte sich seine ganze Körperhaltung verändert. Das zunächst lockere Verhalten war spurlos verschwunden, was sie selber dazu brachte alles aufmerksamer zu erfassen. Dennoch erfasste sie eben jene kalte Angst, die ihr den Rücken herunter lief, von gestern Abend.

      „Wir haben uns bei dem Projekt ‚Young Adults’ kennengelernt. Wir hatten damals gemeinsam dort begonnen und uns dann ab und zu untereinander ausgetauscht.“

      „Was hat es mit diesem Projekt auf sich?“

      „Es ist ein Projekt das vor drei Jahren von einer Direktorin namens Greta Bolzmann ins Leben gerufen wurde. Sie war die Direktorin an der J.L. Gymnasium, die damit die erste Schule war, die dieses Projekt angewandt hatte. Da es sich auf bestimmte Art und Weise bewährt hat, haben einige anderen Schulen es auch übernommen. Nach meinem Kenntnisstand sind es jetzt um die fünf. Ich weiß nicht genau welche.“

      „Sind die verschiedenen Schulen miteinander verbunden? Kooperieren sie sozusagen miteinander?“ Sie überlegte kurz. Hier und jetzt kam es ihr zugute, dass sie sich immerzu mit den Dingen beschäftigte, die sie anging. „Nein, jede Schule kann selber entscheiden wie die Gruppe aufgebaut und strukturiert wird, wer mitmachen darf, wie weit alles ausgebaut wird, welche Mittel zur Verfügung stehen und so weiter. Die unterschiedlichen Schulen arbeiten bei diesen Projekten nicht zusammen.“

      „Warum?“ Sie wusste, dass er das fragen würde. Sie selbst hatte es sich schließlich auch schon gefragt. „Das habe ich auch noch nicht wirklich verstanden. Möglicherweise zu viele verschiedene Ansichten, wie mit diesem Problem umgegangen werden sollte.“

      „Hat Ihre Schule bestimmte Anforderungen an die jungen Erwachsenen?“

      „Ja ziemlich Strenge sogar, also meiner Meinung nach: Keinerlei Vorstrafen, nicht einmal ein Strafzettel wegen zu schnellem Fahren, einen klaren Schulabschluss, einen festen Wohnsitz, Angehörige, was bedeutet, dass man nicht vollkommen allein ist und man muss ebenfalls noch einen kleinen, nenne ich ihn mal ‚Einstellungstest’, bestehen.“

      „Klingt sicher.“ Sein Hinterton war nicht zu überhören. „Und bei Mia-Sophie gab es dabei keine Probleme?“

      „Sonst hätte sie niemals die Zulassung bekommen.“ Plötzlich kroch Ruby ein strenger, verbrannter Geruch in die Nase. Sofort kam es ihr in den Sinn woher. Ihr Essen! Ohne weiter auf den Kommissar zu achten, sprang sie von ihrem Stuhl auf und hastete in die Küche. Er hörte sie nur husten, aufgrund des scharfen Geruches, als er ihr in die Küche folgte und sie mit der Hand herumfächeln sah. Ruby fluchte ununterbrochen, ob er nun dastand oder nicht, sowohl auf Spanisch als auch auf Deutsch. Am Ende landete das vertrocknete, verkohlte Fladenbrot mit pfefferndem Wurf im Mülleimer.

      „Ich hasse mein Leben!“ Motzte sie und setzte sich wie ein schmollendes Kind auf die Küchentheke. Zum Glück kam ihr in diesem Moment keiner mit den Worten: ‚Und du hast dein Leben auf der Reihe?’.

      „Spanierin, hm?“ Sie nickte einzig und allein. „Halbspanierin, oder volles, temperamentvolles, spanisches Blut?“ Infolge ihres Schmollens – nennen wir es besser Selbstmitleid – bemerkte sie seinen wiederholten Umschwung nicht.

      „Halbspanierin. Meine Mutter hatte damals einen Deutschen geheiratet, obwohl sie sehr fromm in solchen Sachen ist. Meine Eltern haben sich in Spanien kennengelernt und haben auch dort geheiratet und sind dann zusammen nach Deutschland gezogen. Es war die wahre Liebe.“

      „Ach, dennoch dieses aufbrausende Naturell.“ Der Kommissar beobachtete sie mit wachen Augen, als sie, immer noch auf der Theke sitzend, mit geschmeidigen Bewegungen aus einem der Schränke eine Schachtel Kekse herausfischte. „Auch welche?“ Bot sie ihn mit vollem Mund an. Er verneinte dankend, verweisend auf seine Fitness, worauf sie nur die Schultern zuckte.

      Nach