Jonah Zorn

Menschlich


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sie hat Fragen gestellt. Zwar nur ein paar, aber er wusste, es würde sie nicht loslassen.

      Sie hatte Potenzial.

      Scheiße, brummte er sich selber an und ermahnte sich aufzuhören über diese Frau nachzudenken. Sie war eine von Wenigen aber sicher nicht die Einzige. Jeder der einigermaßen intelligent war, fing irgendwann an Fragen zu stellen.

      Er konnte nur hoffen, dass sie seine letzte ihm herausgerutschte Warnung nicht durchschaute.

      Vor sich hin murmelnd ging er zu seinem und dem Schreibtisch seiner Partnerin herüber, die bereits dort war. „Was Spannendes rausbekommen?“ Fragte sie direkt, ohne vom Computer aufzuschauen.

      „Nicht wirklich. Mia-Sophie, eine ganz normale, nette Frau ohne Feinde, mit beiden Beinen im Leben. Keine Auffälligkeiten. Einige glauben sogar sie noch gestern gesehen zu haben. Das Projekt völlig sozial; es ist geradezu anmaßend nach Schwächen zu fragen.“

      „Genau wie bei mir. Ein ‚Young Adult’…“ sie betonte diese Bezeichnung extra stark, „…hat mir sogar gedroht, weil ich es gewagt habe die Justiz zu verteidigen in den Fällen der armen, seelenlosen Kinder.“ Er verzog die Lippen ein wenig, weil er an die Worte von Ruby dachte, die ihm noch im Kopf schwirrten. Vielleicht, weil er sie als letztes vernommen hatte, vielleicht aber auch, weil sie die meiste Wirkung auf ihn gehabt hatte.

      „Damit sind wir auch nicht weitergekommen.“

      „Nicht ganz. Was mir aufgefallen ist, ist, dass keiner ohne eine direkte Verweisung auf Charlotte über sie gesprochen hat.“

      „Das ist wunderlich.“

      „Wir sollten mal in geraumer Zeit mit der Kleinen reden.“

      „Ist wohl das Beste, sie war die längste Zeit mit ihr zusammen, wer sollte sonst etwas wissen.“ Ihr Handy klingelte und sie nahm ab. „Köhler.“ Meldete sie sich, gab noch ein kurzes Ja ab und legte dann wieder auf.

      „Wir sollen zur Spurensicherung kommen, unser lieber Freund William hat sich die Mühe gemacht und unsere Leiche genauer untersucht. Vielleicht kriegen wir da mehr Ansätze.“

      „Ich hoffe es doch, ich will den kranken Mörder dieser Mia-Sophie.“

      „Wer will das nicht.“

      Kapitel 10

      Sie schreckte auf, als sie unvermittelt den schrillen Piepston ihres Handy vernahm, das neben ihr auf dem Schreibtisch rebellierte. Es war knapp nach Elf Uhr, wie sie ihrer Armbanduhr entnahm, worauf sie sich fragte wer das wohl sein mochte.

      „Ruby Cavillo.“

      Ihr noch nicht ganz waches Gehirn vernahm keine Stimme am anderen Ende des Telefons; es stutzte trotzdem. Also fragte sie noch einmal. „Wer ist denn da?“ Es klackte in der Leitung und sie war tot. Fragend blickte sie das Display an, was nur Unbekannt anzeigte.

      Müde rieb sie sich die Augen und bemerkte erst jetzt, dass sie bei der Arbeit eingeschlafen war. Diesmal jedoch war sie so schlau gewesen den Laptop am Ladekabel angeschlossen zu lassen. Dennoch klappte sie ihn jetzt einfach zu und stand wankend auf. Nach der Begegnung mit dem Kommissar konnte sie das Brot wegschmeißen, weil es verkohlt war. Obwohl sie im Zimmer daneben gesessen hatte, hatte sie es nicht bemerkt. Es war eben hart und ungenießbar. Schade drum, aber nach diesem Unglück hatten sie die Kekse erst einmal über die Runde gebracht. Pure Nervennahrung, die sie nach diesem Schock gebraucht hatte. Doch das dankte ihr, ihr Körper jetzt mit noch viel mehr Hunger.

      Wie auch immer sie hatte viel darüber nachgedacht, über die Informationen, die sie bekommen hatte; es waren nicht viele, eigentlich war es gar nichts. Im Angesicht der Tatsache, dass sie im Grunde nichts damit zu tun hatte war es schließlich auch egal. Wie aufrichtig dieser ach so charmante Mann doch war, dachte sie sich ging zum Fenster.

      Die Sonne war bereits untergegangen nur noch eine schmale Linie Abendrot zeichneten den schwarzen Himmel vom Horizont ab. Es war ein wunderschönes Motiv, vor allem weil die Luft dieses Sommertages so klar war, dass man Kilometer weit schauen konnte.

      Automatisch griff sie sich eine der Kameras, die sie feinsäuberlich, in dem einzig aufgeräumten Zimmer, ihrem Atelier, auf einem Regal aufgestellt hatte, um diesen Moment festzuhalten. Das tat sie noch mehrmals in verschiedenen Perspektiven, alle Fotos gleich atemberaubend.

      Fotografieren war wohl die einzige Fähigkeit, die sie als eine Gabe bezeichnen konnte. Das meiste konnte sie nur halb, oder ansatzweise gut, nichts hatte sie jemals so perfektioniert wie die Fotografie. Und das hatte sie alles allein geschafft.

      Damals, als sie den Wunsch nach einer eigenen Kamera geäußert hatte, wurde sie nur von ihren Eltern abgeschmettert. Viel zu teuer, es war sowieso nur eine Phase, sie würde es ganz schnell wieder fallenlassen. Somit hatte sie ohne Unterstützung etwas aufgebaut und das machte sie stolz. Es hatte mit einem Ferienjob angefangen um das nötige Geld für ihre erste Kamera zu verdienen, ging weiter mit Extras, einer zweiten, viel teureren Kamera, den ersten Aufträgen, mit den verbundenen ersten Erfolgen, bis hin in die Gegenwart in der manche Leute der Stadt ihre Bilder als eine Art innerliches Abbild der Vierbeiner bezeichneten.

      Ihr wurde nachgesagt, dass sie mit ihren Fotos die wahren Gefühle der Tiere wiederspiegelte, ob die Besitzer es nun wollten oder nicht, wie eine Künstlerin. Am Anfang hatte sie das sehr berührt, sie war verlegen deswegen, doch allmählich gefiel ihr dieser Ruf, auch wenn er noch klein war. Möglicherweise konnte sie mehr aus dieser Geschichte machen. Während sie so über die Zukunft nachdachte, wie es später mal sein könnte, von dem großen Erfolg träumte, war nun auch das letzte Licht der Sonne verschwunden. Der Augenblick war vergangen, sie jedoch hatte ihn für alle Ewigkeiten festgehalten.

      Unwillkürlich musste sie lächeln; sie konnte sich freilich glücklich schätzen, dass sie diese Gabe von Gott erhalten hatte, auch wenn sie dadurch einen völlig anderen Weg als den ihrer Geschwister gegangen war.

      Gerade, als sie sich umdrehen wollte um die Fotokamera wieder sicher auf ihren Platz zu platzieren, bemerkte sie einen Schatten an der Front ihres Hauses. Ihr Atelier lag ganz oben, es war das einzige Zimmer im dritten Stock des Hauses und hatte ein Fenster zur Ostseite sowie zur Westseite. Sie stand gerade am Fenster nach Westen hin, das somit oberhalb der Haustür lag.

      Noch einmal huschte eine Gestalt unter ihr umher. Sie presste sich mehr an das Fenster, jedoch so vorsichtig, dass es nicht knarren konnte. Ein Einbrecher? Etwas mulmig zumute war ihr doch, denn sie konnte nichts erkennen aufgrund der schlagartigen Dunkelheit und der Tatsache, dass die Lampen draußen noch nicht ans Stromnetz angeschlossen waren. Dabei hatte sie es in Angriff nehmen wollten. Jetzt verfluchte sie sich leise und versuchte noch einmal mit dem Rest Tageslicht die Gestalt zu erhaschen. Aber sie war weg. Keine Bewegung mehr. Vielleicht war er hinten?

      Sie schluckte. Sollte sie die Polizei rufen? Feige sein? Oh nein, sie war noch nie feige. Solange sie im Haus blieb würde nichts passieren. Obwohl, wer weiß sie hatte geschlafen, nichts mitbekommen. Komm schon Ruby, sagte sie sich in Gedanken, du bildest es dir bestimmt nur ein, wegen der jüngsten Ereignisse, schau nach und überzeug dich selbst.

      Sie lugte abermals aus dem Fenster, sah wieder nichts und ging dann die Stufen in die zweite Etage herunter. Vorher machte sie jegliche Lichter aus, die sie oben noch anhatte. Das Haus erfüllte sich in Dunkelheit. So wurde sie ziemlich unsichtbar, sie allerdings konnte besser draußen alles sehen.

      Trotz gewisser Vorsicht siegte die Neugier über sie, sodass sie die schwere Taschenlampe unter ihrem Bett hervorholte. Sie hatte sie immer dort, wenn es nötig war, fungierte sie sehr gut als Knüppel. David hatte sie ihr irgendwann einmal gegeben. Zum Selbstschutz.

      Wie praktisch.

      Sie schlich die Treppe lautlos aber doch recht schnell herunter und kam im Wohnzimmer an. Etwas lächerlich kam sie sich doch vor, während sie sich hinter den hochgestapelten Kartons versteckte. Doch das Geräusch von Schritten draußen auf der Terrasse ließen dieses Gefühl verschwinden. Es war wahrhaftig jemand in ihrem Garten.

      Atemlos beobachtete sie die Gestalt: Sie war