Jonah Zorn

Menschlich


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anscheinend hat sie eine allergische Reaktion erlitten. Also hat er sie doch umgebracht. Möglicherweise ungewollt; deshalb das rasante Loswerden der Leiche.“

      „Du glaubst also, dass er sie deswegen so schnell loswerden wollte und sie einfach an die nächst beste Stelle geworfen hat?“

      „Ich kann mir gut vorstellen, dass ihre Gefangenhaltung eigentlich noch nicht zu Ende gewesen war und ihn das überrascht hat.“ Jonas nickte eifrig, sichtlich fieberhaft aufgrund dieser Unterhaltung. „Das klingt mir sehr nach einem Anfänger.“

      „Der Fakt, dass es keine vergleichbaren Fälle in der Vergangenheit gab, lässt darauf schließen, ja.“ Brigitte hatte sich derweil auf die Tischkante gesetzt und ihre Arme verschränkt. „Aber wegen der Todesursache ist mir noch ein anderer Gedanke gekommen.“

      „Welcher?“ Gespannt sah er auf, in ihr wie immer erfahrend, abschätzendes Gesicht, das sich dadurch auszeichnete, dass sich ihre Zornesfalten deutlicher abzeichneten.

      „Wir haben zwar noch nicht viel über das Motiv gesprochen, aber ich gehe davon aus, dass wir es mit einem Triebtäter zu tun haben. Ich weiß ich fische hier in tiefen Gewässern, aber eine Überlegung ist es wert.“

      „Fahr fort, Gitti.“

      „Okay, also, ein Triebtäter handelt nicht nach den üblichen Motiven wie Gier, Rache oder Eifersucht sondern er lässt sich von anderen Gefühlen leiten. Meistens macht ihnen das Morden Spaß und unserem Freund in diesem Fall auch das Quälen. Was ist wenn er es darauf angelegt hat, dass sein Opfer aufgibt?“

      Jonas runzelte die Stirn, er verstand nicht ganz. „Was meinst du genau?“

      „Hör zu…“ Leitete sie ein. „…, stell es dir so vor. Er findet es nicht nur absolut unterhaltsam sie leiden zu sehen, nein er will sie geradezu brechen. Ihre Seele, ihren Geist zerstören. Es geht ihm nicht direkt darum sie umzubringen, sondern er peinigt sie solange bis sie sich selbst aufgibt und genau dieses Aufgeben gibt ihm den richtigen Kick.“

      Vor Anregung war sie aufgeschreckt und war vor ihm auf und ab gegangen, jetzt blickte sie ihn auffordernd an. Er blinzelte erst ein paar Mal, um diese Vorstellung auf sich einwirken zu lassen. „Also ein Spiel mit der Psyche des Opfers?“

      „Ich verbessere, ein krankes Spiel mit der Psyche.“

      „Das ist wirklich sehr weit hergeholt, Partner.“

      Kommissarin Brigitte Köhler zuckte nur mit den Schultern.

      Kapitel 15

      Die gerade mal vierzehn Jahre alte Charlotte Langen wohnte in dem wohl edelsten Stadtviertel der Stadt. Das Haus, vor dem Jonas und Brigitte nun standen, war offensichtlich so unerschwinglich für sie, dass sie nicht einmal mit dem Gedanken spielten, jemals ein solches Haus zu besitzen. Und dieses Gefühl hatte Jonas sogar noch beim zweiten Mal.

      „Ich bin eindeutig in der falschen Familie aufgewachsen und habe den falschen Beruf gewählt.“ Sagte er dementsprechend baff, während sie den recht langen Weg zur Haustür erklommen.

      „Nein, falsch, Jonas, wir arbeiten einfach nur auf ehrliche Art und Weise.“

      „Keine Vorurteile, Köhler.“

      „Mein Gott, ihr Vater ist Banker, das sind alles falsche Schlangen.“

      „Wie gesagt, der falsche Job.“ Während er sein unverkennbares Grinsen auflegte, strafte sie ihn nur mit einem grimmigen Blick. Ohne ihn weiter zu beachten klingelte sie dann und fragte sich im Innern, weswegen das Mädchen, was augenscheinlich alles hatte, bei einem noch mickrigen Projekt wie den ‚Young Adults’ Hilfe suchte. Sie rechnete fest damit, dass die Eltern der Kleinen gefühlskalte Workaholics waren, die irgendwann auf dem Weg zu Arbeit vergessen hatten, dass sie ein Kind gezeugt haben. Dafür waren schließlich die bezahlten Gefährten zuständig, Hauspersonal, das sich um alles kümmerte. Mit dem tagtäglich, mindestens zweiundzwanzig Stunden am Tag, verdienten Geld konnte man bekanntlich alles regeln. Und wenn dann doch mal aus unbestimmten Gründen etwas Freizeit auftauchte, dann wurde das Kind nicht in den ausschweifenden Fünf-Sterne-Urlaub integriert.

      Schlichtweg musste Charlotte von Langen ein Kind sein, das einen Ersatz für die Eltern brauchte.

      Recht schnell öffnete eine klischeehaft gekleidete Hausdame die Tür, mit einem fälschlich aufgesetzten Lächeln. „Was kann ich für die Herrschaften tun?“

      Wie altmodisch, dachte sich Brigitte und zeigte der noch recht jungen Frau ihren Ausweis. „Ich bin Kommissarin Brigitte Köhler, das ist Kommissar Drewes. Kriminalpolizei. Wir würden gerne mit Charlotte sprechen.“

      Zweifelnd starrte die Angestellte auf die Uhr, was Brigitte sofort durchschaute. „Es tut uns sehr leid, dass wir so früh am Morgen erschienen sind. Dennoch ist es wichtig. Sie wissen mit Sicherheit weswegen wir hier sind?“ Leicht durcheinander sah sie zwischen den beiden Kommissaren hin und her und unternahm nichts, als sie sich beide an ihr vorbei ins Haus drängten. Stattdessen schloss sie hinter ihnen die mächtige Tür.

      „Ich gehe doch davon aus, dass Charlotte hier ist, oder?“

      Frau Bielacki, wie sie dem Namensschild entnahm, nickte verlegen. „Fräulein Langen ist zuhause. Jedoch hat sie nicht viel Zeit und muss gleich zur Schule.“

      Instinktiv kam Kommissarin Köhler eine Frage in den Sinn, die sie auch sofort aussprechen musste. „Die Langens sind doch vom guten Stande, wenn ich mich nicht irre, richtig?“

      „Natürlich.“

      „Warum schicken sie ihre einzige Tochter dann auf eine öffentliche Schule und nicht auf eine viel teurere Privatschule? Oder warum bekommt Charlotte kein Privatunterricht hier im Herrenhaus?“

      Die vielleicht gerade mal vierundzwanzig Jährige Frau Bielacki blinzelte ein paar Mal, woraus Brigitte nur zu gut erkennen konnte, dass dieses ganze obsolete Getue nur eine Schau war. „Nach meinem Wissen war es die Entscheidung von Fräulein Langen.“

      „Das müssen Sie mir genauer erklären.“

      „Herr und Frau Langen waren zwar nicht begeistert, aber nachdem ihr Töchterlein das zwölfte Lebensjahr vollendet hatte, hatte sie sich strick geweigert weiterhin von ihrem Privatlehrer Herrn Nolan unterrichtet zu werden. Es war ihr Wunsch unbedingt auf eine öffentliche Schule gehen zu dürfen. Und da Herr Langen seiner lieben Tochter kaum etwas ausschlagen kann, hat er es ihr erlaubt.“

      „Hat das Ehepaar denn keine Angst davor, dass die Bildung ihrer Tochter darunter leidet?“

      Die Angestellte zögerte nicht eine Sekunde, bemerkte danach aber direkt ihren Fehler, denn sie platzte heraus. „Die Langens sind kein Ehepaar mehr, sie sind geschieden. Sie leben nur noch zusammen.“

      Braves Plappermaul, dachte sich Brigitte innerlich schmunzelnd. „Oh, in Ordnung. Also ist es Herrn Langen nicht so wichtig, wie seine Tochter gebildet ist?“

      Anscheinend roch Frau Bielacki langsam den Braten, da sie unvermittelt die Arme verschränkte und nur noch erwiderte. „Sie finden Fräulein Langen in ihrem Zimmer im zweiten Obergeschoss. Beeilen Sie sich, der Chauffeur wird sie schon bald abholen.“

      „Im zweiten Obergeschoss, wo genau?“ Fragte Brigitte so gespielt freundlich wie sie konnte und machte sich nichts daraus, als sie die Wegbeschreibung jetzt mit einem erzürnten Hinterton zu hören bekam.

      Sie bedankten sich und machten sich auf dem Weg die edlen Treppen, allesamt mit Teppich bedeckt, die Geländer aus Holz, welches beide Kommissare wohl noch nie als einen Baum in freier Natur gesehen hatten und zudem mit hochwertigen Schnitzereien verziert, hochzusteigen zum Zimmer des Mädchens.

      „Und die hat dich hier nicht rein gelassen?“ Quetschte sie ihren Partner auf diesem doch recht langen Weg, in dieser doch recht großen Villa, aus.

      „Sie hat mich mit dem Argument abgeschmettert, dass es an einem Sonntagnachmittag, an dem adlige Familien ihre Teatime abhalten, sehr unhöflich ist nach ihrer Gesellschaft zu