Jonah Zorn

Menschlich


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letzten Moment, als sie gerade um die Ecke bog, dass ihre Suche ein Ende hatte. Ganz schnell huschte sie hinter die Kante zurück um sich zu verstecken. Denn, als sie einen zweiten vorsichtigen Blick wagte, wollte sie kaum fassen, wen sie da zusammen mit Lauren stehen sah.

      Sie hielt sogar instinktiv die Luft an, während sie versuchte zu lauschen was Lauren mit Charlotte, die mit gleicher Größe und Statur neben ihr stand, und der Person, die sie nicht direkt erkannte, weil die Kinder sie verdeckten, zu besprechen hatten. Leider verstand sie nichts, dafür war sie zu weit entfernt. Doch an der Körpersprache und der Tatsache, dass Charlotte hier aufgetaucht war und eher außer sich war, als zutiefst geknickt, wusste sie unwillkürlich, dass diese Personengruppe nicht ohne einen besonderen Grund zusammengekommen war.

      Doch wer war die dritte Person? Sie konnte sie noch immer nicht richtig erkennen.

      Mit viel Mut beugte sie sich etwas vor um den Zwischenraum zwischen den Mädchen auszunutzen und endlich das Gesicht der Frau zu erhaschen. Beinahe murrte sie auf, als sie sofort erkannte wer sie war.

      Es war Laurens Biologielehrerin Frau Schwarz.

      Sie unterhielt sich so angespannt und aufgeregt mit den beiden Mädchen, die Ruby hier am wenigsten erwartet hatte.

      Aber warum? Hätte sie nicht schon längst in der Aula sein müssen, als Mitglied im Vorstand der ‚Young Adults’? Weshalb nahm sie die Gefahr in Kauf, Ärger mit der Direktorin zu bekommen, nur um gerade mit den beiden zu sprechen? Heimlich?

      Gut mit Charlotte mochte sie sprechen um sie zu beruhigen, sie vorzubereiten, dem Mädchen ihr Beileid auszusprechen oder was auch immer, aber Lauren würde lieber gevierteilt werden, als freiwillig mit dieser Persönlichkeit zu reden. Oder natürlich sie hatte irgendetwas angestellt und wurde mal wieder zur Rechenschaft gezogen.

      Allerdings waren ihr dann immer noch diese Konstellation und die deutlich nervöse sowie entrüstete Körpersprache ein Rätsel. Die Drei diskutierten miteinander; die Lehrerin knöpfte sich nicht jede einzeln vor.

      Mit einem tiefen Durchatmen lehnte sie sich an die Hauswand, fürs erste hatte sie genug gesehen. Zwar hatte sie keine Ahnung, was die zwei Jugendlichen mit einer Lehrerin, die nach ihrem Wissensstande niemand leiden konnte, zu besprechen hatten, oder aber nach dem Vorfall mit Laurens Mutter vor wenigen Minuten spielte ihr Kopf ihr einige Streiche. Sie lächelte in sich hinein; langsam begann die Paranoia. Ganz bestimmt gab es auch hierfür genug Erklärungen, die vollkommen normal waren.

      Überraschend hörte sie ein Lachen, das von dem Grüppchen hinter der Ecke kam. Zwar konnte sie nicht genau sagen ob es nur die Kinder waren oder auch die Lehrerin. Ach verdammt, dachte sie sich, was sollte das? Sie würde jetzt einfach ganz gewöhnlich daher wandern und sich nichts anmerken lassen. Kurzerhand drückte sie sich nach dieser Entscheidung von ihrer Wand ab und eilte um die sichere Ecke herum und wurde sogleich sofort wieder gestoppt. Beinahe wäre sie gegen ihren eigenen Schützling geknallt, die sie fast unfassbar anstarrte.

      „Ruby? Was machst du denn hier?“ Ganz unweigerlich rückte das Mädchen von Ruby zurück, die gerade sichtlich damit beschäftigt war ihr Herzrasen zu unterbrechen.

      „Das könnte ich eher dich fragen.“ Brachte sie schließlich hervor und versuchte etwas souveräner auszusehen, indem sie die Arme vor der Brust verschränkte.

      „Nun ich gehe hier zur Schule.“ Lauren grinste und Rubys Warnglocken erloschen abrupt und sie fühlte sich abermals vollkommen dämlich und leicht wahnhaft. Es war wahrhaftig Zeit für Urlaub.

      „Ja das stimmt. Trotzdem habe ich dich heute Morgen gesucht. Warum bist du nicht an dein Telefon gegangen oder hast auf meine Sms geantwortet?“

      „Du weißt, dass ich es immer auf stumm schalte und ich habe kein Geld mehr auf dem Handy.“

      „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Vor allem nach deinem Abgang am Sonntag. Ab jetzt wirst du das Handy nicht mehr auf lautlos lassen.“

      „Wie du meinst.“

      „Was sollte das am Sonntag überhaupt?“ Im ersten Moment zuckte Lauren nur mit den Schultern und sah sich nach hinten hin um. „Ich war geschockt und bin wohl ein wenig durchgedreht.“

      „Du hättest nicht weglaufen dürfen oder dich zumindest melden können, dann hätte ich heute nicht so einen Stress gehabt.“

      „Wieso Stress?“ Ruby atmete schwer aus, sie wusste, dass Lauren das, was sie nun sagte, nicht wirklich gefallen würde. „Ich habe dich gesucht, weil wir alle zu dieser Besprechung müssen und deshalb war ich bei deiner Mutter.“

      Unerwarteter Weise lachte das Mädchen nur matt. „Ja diesen Stress hast du dir selbst eingebrockt. Ich hoffe sie hat dir nichts angetan.“ Kurz dachte Ruby an die Unterhaltung mit Cornelia zurück, wie sie da stand und sie schier angefleht hatte ihr zu glauben.

      „Nein, diesmal nicht. Ich bin schnell gegangen, nachdem ich bemerkt habe, dass du nicht da warst. Wo warst du die Nacht eigentlich?“

      „Hab bei einer Freundin geschlafen. Also nichts passiert, mir geht es gut und können wir jetzt in die Aula gehen? Es ist schon zwanzig vor.“ Ungläubig blickte Ruby auf ihre Armbanduhr, dann wieder zu Lauren, die sie leicht amüsiert an schmunzelte. Mit einer Geste Richtung Hintereingang des Hauptgebäudes setzten sie sich in Bewegung, um überhaupt noch den Termin wahrzunehmen.

      „Demzufolge wusstest du von dem Treffen und ich hätte dich gar nicht suchen müssen?“ Fragte Ruby weiter auf dem Weg nach ganz oben in die dritte Etage in der die große Aula der Schule angelegt war. Sie wurde im Grunde nur für festliche Veranstaltungen der Jugendlichen beziehungsweise gewisse Konsultationen der Eltern benötigt. Deswegen war sie auch riesig und die wenigen Mitglieder, mit allen eine Zahl von fünfunddreißig, wirkten in ihr etwas verloren.

      „Ich hab es bei Ramona mitbekommen. Und da du mir ja nie vertraust…“

      „In den letzten Wochen hast du mir genug Gründe dafür gegeben, schon vergessen?“

      „Das hier ist etwas ganz anderes und kein dämlicher Unterricht. Hierbei geht es um etwas viel Wichtigeres. Charlotte geht es sehr schlecht. Hoffentlich ist es nicht irgendeine Schau, die zur Besänftigung der Gesellschaft gedacht ist.“ Lauren schnaubte und stieß die Tür zum Treppenhaus auf.

      Jedes Mal wieder war Ruby davon überrascht wie rational, realistisch und wirklichkeitsnah die Fünfzehnjährige bereits dachte. Zugegeben wirkte es oft pessimistisch auf sie und vielleicht etwas zu reif für ihr Alter, aber anscheinend wirkten sich schlechte Erlebnisse sehr schnell auf das Denken eines Menschen aus. Zu jeder Zeit, an jedem Ort war ein Mensch abhängig von seiner Umgebung und wurde von ihr beeinflusst.

      „Hast du mit Charlotte bereits gesprochen?“ Erst jetzt wurde Ruby klar wie wenig sie darüber wusste, wie sich ihr Schützling mit den anderen verstand. Waren die beiden Freunde? Sie und Mia-Sophie haben sich nämlich nur flüchtig gekannt. Verflucht sie konnte überhaupt nicht sagen, was Lauren in ihrer Freizeit machte; sie hatte sich nie damit beschäftigt.

      „Sie… sie, wie soll ich sagen, Ruby. Ihre beste Freundin ist ermordet worden.“ Wie ein Stich bohrte es sich in ihre Brust, als sie den strafenden Blick von Lauren zugeworfen bekam. Anscheinend hatte sie irgendwelche Vorwürfe gegenüber ihr und wollte jetzt kurz vor der Aulatür nicht weiter mit ihr über dieses Thema sprechen. Stattdessen stieß sie hart die große Tür auf und trat ohne Manieren in die Runde, die bereits mitten in der Besprechung war.

      „Oh, dann haben sich die letzten auch endlich eingefunden.“ Die Direktorin, die mit dem Vorstand, der aus vier weiteren Lehrern bestand, vor den anderen Mitgliedern saß, schüttelte bedeutend den Kopf und deutete danach auf die letzten zwei freien Plätzen. Auf dem Weg dorthin fühlte sich Ruby verdammt noch mal extrem beobachtet, aber am meisten wunderte sie sich über den Anblick von der Biolehrerin Schwarz, die gerade selber noch unten war. Weder wirkte sie sauer, angewidert wie sonst, gar boshaft, noch wirkte sie gleichgültig, eher starrte sie Ruby unheimlich freundlich an. Ach mit Sicherheit war sie nur in Gedanken und grinste deswegen so dämlich vor sich hin, jeder beobachtete sie hier schließlich, alle mit anderen Gedanken; sie war ja auch