Jonah Zorn

Menschlich


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beiden hin und her und stoppte demonstrativ bei Brigitte, die sie dann mit ihrem Blick festhielt. „Nein, das glaube ich nicht. Mia und ich haben hochgradig darauf geachtet, dass sie nichts davon erfahren. Außerdem, glauben Sie wirklich meine Eltern bemerken etwas bei ihrem Stress?“

      „Was wir glauben ist unwichtig.“ Jonas Stimme zeugte von leichter Rage über diese Zeugin, weil sie ihn absichtlich nicht zu beachten schien. „Nur womöglich schätzt du deine Eltern falsch ein und sie haben es erfahren und waren überhaupt nicht begeistert. Unter Umständen hat sich Mia eingeschaltet und die ganze Situation ist außer Kontrolle geraten.“

      Jetzt beachtete sie Jonas, denn aufgebracht war sie aufgesprungen und starrte ihn an. „Erstens, Kommissar Drewes, hätte Mia niemals ihr Versprechen gebrochen und zweitens wenn Sie darauf hinaus wollen, dass meine Eltern etwas mit Mias Tod zu tun haben, dann sind Sie auf dem Holzweg.“

      „Ist das denn so abwegig?“ Schaltete sich seine Partnerin ein. „Schließlich war Mia nicht unbedingt die Person, die den Ansprüchen deiner Eltern genügte.“

      „Nur weil sie nicht reich war?“ Warf das Mädchen knurrend in den Raum, während sich ihr Gesicht sichtlich veränderte. Umgehend wussten beide Kommissare, dass die Fassade des gefassten Teenagers bröckelte.

      „Genau deswegen, der falsche Umgang, schlechter Einfluss, keine Kontrolle mehr über das eigene Kind. Dann wird man dieses Problem eben diskret los.“

      Die Lippen des Mädchen begannen zu zittern und ihr Atem wurde etwas stoßweise, sodass sie sich schnell zum Fenster abwendete. „Nicht nur, dass Sie Mia als geringer darstellen, nein jetzt behaupten sie auch noch meine Eltern seien skrupellose Mörder.“

      „Na…“ Meinte Jonas mit einer wirklich widerwärtigen Tonart. „…keine Mörder, sondern die skrupellosen Auftraggeber; Geld haben sie ja genug.“

      Ruckartig drehte sich das groß gewachsene Mädchen zu ihnen um, jetzt mit tränenüberströmtem Gesicht. „Es reicht jetzt! Ich werde nicht weiter mit Ihnen reden! Raus.“ Die Härte in ihrer Stimme war beeindruckend, weswegen die beiden auch direkt aufsprangen. „Meine einzig wahre und beste Freundin wurde umgebracht und Ihnen fällt nichts Besseres ein, als meine Eltern zu beschuldigen?!“ Drängte sie Brigitte und Jonas weiter aus ihrem Zimmer heraus und wollte sie auch sofort zuschlagen, doch Brigitte drückte dagegen, für einen weiteren Versuch.

      „Charlotte, bitte, wir müssen solche Möglichkeiten in Betracht ziehen.“

      „Das ist mir egal. Lassen Sie mich zufrieden, ich muss sowieso zur Schule. Und Sie können anfangen Ihre gottverdammte Arbeit richtig zu machen.“ Wieder wollte Charlotte die Tür zuknallen, doch die zwei lieferten sich ein Kräftemessen. „Nur noch ein paar Fragen, bitte, Charlotte. Hat Mia sich in letzter Zeit komisch verhalten, hatte sie vor etwas Angst?“

      „Sie war wie immer…nett, witzig, lebensfroh.“ Da war der Moment in dem die Wut des Mädchens und ihr eisernes Auftreten am Anfang verpufften und sie wie gebrochen wirkte. Das tat Brigitte im Herzen weh und sie ließ den Druck auf die Tür etwas nach.

      Ein Fehler.

      „Hatte Mia Feinde?“

      Ganz leise flüsterte die Vierzehnjährige, beinahe erstickt, mit großen Augen. „Feinde lauern überall, Frau Köhler. Überall.“ Und drückte blitzartig die Tür zu und drehte mindestens genauso schnell den Schlüssel um.

      Abgeschlossen.

      Kapitel 16

      Mit zwanzig Stundenkilometern zu viel raste Ruby über die Straße in Richtung der Mietwohnung von Lauren. Sie stand extrem unter Druck.

      Heute Morgen ungefähr gegen halb sieben war ein Anruf eingegangen und zwar von der Direktorin höchst persönlich. Sie hatte sich sehr gestresst angehört; Ruby musste sich ziemlich bemühen die Worte der angespannten Direktorin im Halbschlaf verstehen zu können.

      Im Grunde hatte sie nur verstanden, dass etwas verdammt dringend war. Alle ‚Schwestern’ und ‚Brüder’ sollten wenn möglich um halb acht in der Schule erscheinen, damit die Mitglieder in der Aula vor dem regulären Unterricht noch eine Besprechung, wegen des Mordes an Mia-Sophie Seidel, abhalten konnten.

      Das allein wäre nicht das Problem gewesen. Nur bruchstückweise hatte Ruby noch mitbekommen, dass auch die jeweiligen Schützlinge anwesend sein sollten. Seit Laurens Abgang am Sonntagmorgen hatte Ruby jedoch nichts mehr von ihr gehört und jetzt hatte sie keine Ahnung, wo das Mädchen steckte. Aus früheren Erfahrungen mit Lauren wusste sie genau, dass sie sich gerne verkroch und die Leidenschaft des Schulschwänzens für sich entdeckt hatte. Vor allem nachdem die Arbeiten alle geschrieben waren und die Ferien kurz vor der Tür standen.

      Kurz und knapp Lauren tauchte mit der größten Wahrscheinlichkeit nicht selber in der Schule auf.

      Da das Mädchen weder auf Anrufe noch auf Sms antwortete und es sonst sowieso niemanden gab, der gewusst hätte, wo sie war, gab es für Ruby nur eine Möglichkeit und zwar sie auf direkter Weise zu suchen. Aber wo? Und wie in einer halben Stunde?

      Der erste Anhaltspunkt war demnach die Wohnung von Lauren und ihrer Mutter, denn einen Schlüssel besaß die Fünfzehnjährige ganz sicher. Nichtsdestotrotz war dieser Versuch Rubys Meinung nach Zweitverschwendung. Aber, verdammt, wo sonst? Auf dem Weg zur Haustür stieß Ruby ein Stoßgebet gen Himmel und bekam auch direkt eine kleine Hilfestellung. Eine alte Dame hielt ihr freundlicherweise die Tür zum Hochhaus auf, sodass sie nicht bei allen Sturmklingeln musste. Sie nahm zwei Treppenstufen auf einmal um nach oben in den zehnten Stock zu kommen, da der Lift defekt war und stand am Ende mit hämmernden Herzen vor der Wohnungstür Nummer 80 B. Zum einen wegen der Hast und der Anstrengung, zum anderen wegen dem mütterliche Monster, das hinter dieser Tür lauerte.

      Klar war Ruby nicht ängstlich, sondern besaß eher den mutigen, ungestümen Charakter einer temperamentvollen Spanierin, aber vor der Frau mit der Schnapsflasche in der Hand hatte sie doch einen gewissen Respekt. Einmal Tiefeinatmen und dann klingelte sie, hoffte jedoch inständig, dass Lauren zuhause war.

      „Was?“ Dröhnte eine kratzige Frauenstimme aus dem Inneren der billigen Wohnung, begleitet von einem Rumpeln. Ruby verzog die Lippen; sie glaubte die Mutter geweckt zu haben.

      „Entschuldigen Sie Frau Winkler, aber ist Ihre Tochter zuhause?“ Sie vermied es absichtlich ihren eigenen Namen zu nennen, da sie die Reaktion nicht abschätzen konnte. Obwohl, Laurens Mutter erinnerte sich nicht einmal an das was gestern war, wie sollte sie sich dann an Ruby erinnern? „Hier ist Ruby Cavillo.“

      „Wer?“

      „Ruby Cavillo, ich suche Ihre Tochter. Ist sie hier?“

      „Ich kenne keine Ruby.“ Anscheinend war Laurens Mutter langsam zur Tür getorkelt, denn die vom Alkohol geschundene Stimme war lauter geworden.

      „Sagen Sie mir einfach, ob Ihre Tochter da ist.“ Die Tür wurde geöffnet und müde, blutunterlaufene Augen spähten aus dem dunklen Raum heraus. Scheinbar waren noch alle Vorhänge zugezogen und trotz des gerade erst angebrochenen Tages stank es nach Alkohol und ein dazu passender modriger Geruch kam aus der Wohnung. Zusätzlich sah die Frau, die sich nun langsam versuchte aufrecht hinzustellen, völlig verwahrlost aus und wirkte bereits jetzt angetrunken. Allein die Flasche in der Hand fehlte bei diesem armseligen, traurigen Bild.

      „Was wollen Sie?“

      „Ich suche Ihre Tochter. Ist Lauren hier?“ Fragte Ruby nun zum gefühlten hundertsten Mal, blieb aber immerzu so charmant wie sie konnte, denn der Blick von Frau Winkler durchdrang jegliche ihrer Nerven. Hoffentlich ahnte sie nichts.

      „Ich, irgendwoher, Sie…ich kenne Sie.“ Verdammte Scheiße!

      „Na, das glaube ich nicht.“ Sie wurde noch schärfer gemustert und als der Ausdruck der Erkenntnis in ihre matten Augen trat, trat Ruby instinktiv einen Schritt zurück. „Ruby, Cavillo, Ruby…Ruby diese Nervensäge von der Schule! Was wollen Sie schon wieder?“

      „Beruhigen