Jonah Zorn

Menschlich


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Zeit und auch keine Nerven.“ Sie wollte sich gerade umdrehen, um wieder ins Auto zu steigen. Es gab Wichtigeres, was sie nun zu tun hatte; sie hatte das tiefe Bedürfnis sich mit Lauren zu versöhnen – sie wollte es zwar nicht zugeben, dass er sie dazu gebracht hatte, aber es war so.

      „Gut, offiziell soll ich noch mal alle Mitglieder befragen. Und da Sie gerade hier sind werde ich mit Ihnen beginnen.“ Sein Stimmenwechseln von freundlich zu dienstlichem Ernst ließ sie in ihrer Bewegung innehalten.

      „Sie haben doch bereits mit mir gesprochen.“

      Er ging nicht darauf ein, sondern begann augenblicklich. „Was hat es mit dieser Versammlung auf sich?“

      „Woher wissen Sie davon?“

      „Beantworten Sie bitte einfach die Frage.“

      Sie zögerte kurz. „Es ist nur eine Besprechung, wie die Gruppe mit dieser Situation umgehen soll.“

      „Logisch. Was glauben Sie, warum die Kinder dabei sein sollen?“

      „Da überfragen Sie mich aber wirklich.“

      „Was Sie diesbezüglich denken, nicht was Sie nicht zu wissen meinen. Ihre eigene Meinung.“

      Wieder verharrte sie einige Sekunden. „Die Geschädigten sind doch die Kinder. Sie haben in ihrem Leben schon genug Leid erfahren müssen, dann muss ihnen irgendwie geholfen werden, besonders wenn aufgrund dieses grausamen Mordes auch noch ihre letzte Zuflucht beginnt zu wackeln. Können Sie das nachvollziehen?“

      Wie aus heiterem Himmel verwandelten sich seine Züge in ein warmes Lächeln. „Ja das kann ich und mehr möchte ich von Ihnen auch gar nicht wissen.“

      „Wie jetzt?“ Jetzt war Ruby wirklich vollkommen durcheinander; wie schaffte er es bereits ein zweiten Mal sie so aus dem Konzept zu bringen?

      „Ihnen ist Ihre Aufgabe sehr wichtig, das lässt sich ganz eindeutig aus Ihren Worten heraus hören.“

      „Und das wollten Sie unbedingt herausfinden?“

      „Nun ja, ich bin von Geburt an sehr neugierig und was mich interessiert das versuche ich auch auszuhorchen.“

      Sie sah ihn mit leicht seitlichem Blick misstrauisch an und meinte schließlich stur gerade heraus. „Flirten Sie etwa gerade mit mir? Beziehungsweise versuchen es?“

      Tatsächlich wurde er rot, zwar nur leicht, aber sie hatte wohl ins Schwarze getroffen. Bekanntlich schlug in solchen Lebenslagen immerzu das Schicksal zu und warf alles gänzlich durcheinander, auch hier und jetzt. Das Telefon des Kommissars klingelte, eine Ausweichmöglichkeit, die er nur zu gern nutzte.

      „Drewes.“ Meldete er sich und wandte sich etwas von ihr ab. Wohl war es unangebracht zu lauschen, aber es nicht zu machen ging ihr zu sehr gegen die eigene Natur. Außerdem war es beinahe unmöglich, weil er gar nicht versuchte leiser zu sprechen.

      „Hey Partner…ja ich bin noch an der Schule.“ Er ging sich durch die Haare. „Nein…“ Fuhr er fort. „…wirklich? Das ist eine gute Nachricht. Ich werde so schnell wie möglich zu dir kommen. Bis dann.“

      Dann legte er auf und wandte sich grinsend zu ihr um. „Ruby Cavillo, Sie haben mich voll ertappt. Ich hoffe Sie empfinden es nicht als zu aufdringlich, aber ich wollte Sie fragen ob Sie mit mir vielleicht mal einen Kaffee trinken wollen?“

      „Wie, Sie wollen mit mir einen Kaffee trinken gehen?“ Ihre Überraschung war echt und viele Fragen wanderten ihr ruckartig durch den Kopf.

      „Ich bedauere es, aber die Arbeit ruft, ich habe keine Zeit mich zu erklären. Ganz schnell, ja oder nein?“

      Eine Weile stand sie da, mit offenem Mund und bekam keinen Laut zustande, doch dann nickte sie und erwiderte ganz automatisch. „Ja, gern.“

      Sein typisches Grinsen erleuchtete wieder, worauf alle Zweifel wie futsch waren. „Wunderbar, bis dann.“ So schnell wie er gekommen war so schnell war er wieder verschwunden und erst als er schon längst davongefahren war, fiel ihr auf, dass sie gar keinen Termin abgemacht hatten oder gar die Telefonnummern ausgetauscht hatten.

      Inständig fragte sie sich im Inneren, ob es nicht an der Zeit war, einfach alles fallen zu lassen und irgendwo anders neu anzufangen. Ihr persönlich war das im Moment alles etwas zu verrückt. Nein utopisch!

      Kapitel 20

      Nichts ging über ein Glas Wein am Abend, einem Blick auf die untergehende Sonne und der Genugtuung, die ein solches Spektakel mit sich brachte.

      Wenn sie wüssten, wenn sie alle nur wüssten.

      Denn das was sie zu wissen meinten war höchstens der Anfang, die angekratzte Schale, der Gipfel des Eisberges, sonst nichts. Oder besser sie wussten nichts.

      Alles würde sich verändern. Veränderungen waren gut. Veränderungen bedeuten Sicherheit. Es würde sich alles verändern.

      Nichts wussten sie, niemand, keiner verstand es, würde es jemals verstehen! Einsehen, dass das was hier getan wurde eine Mission war, wichtig für die gänzliche Gesellschaft!

      Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das änderte. Es gab kein Zurück mehr, woran auch niemals ein Gedanken verschwendet wurde; jetzt war der Anfang getan. Der Anfang, die erste Gefolterte, die zur Leiche wurde, die zum Anschauungsprodukt geworden war; einfach grandios, genau wie dieser Wein.

      So schmackhaft, beinahe wie der eiserne, rote Lebenssaft von der adretten Mia-Sophie. Die Süße war ideal gewesen, allerdings war sie nicht so fehlerlos zäh wie anfangs gedacht. Leider hatte sie nur drei Tage durchgehalten, dann musste sie erlöst werden. Nun ja, um bei der Wahrheit zu bleiben, sie wollte erlöst werden.

      Ein Schmunzeln umspielte die von Wein befleckten Lippen.

      Oh ja, die flehenden Laute nach Erlösung. Der Wunsch nach dem Erlöser dem Tod. Ein Geist der nach den Strapazen der Qualen nach Hilfe geschrien hatte und die ihr keineswegs verweigert werden sollte.

      Nein.

      Wenn sie es wünschte dann sollte es auch so sein.

      War das nicht nett? Sie zu erlösen, ohne auch nur Wehmut zu bekommen, weil sie so schnell aufgeben hatte?

      Ein krankes Lachen quoll aus der Kehle, durch die gerade noch der Wein geschlossen war.

      Was sollte man schon sagen? Der Anfang dieser wunderbaren Idee in dieser Stadt war gemacht worden, nichts schien diese aufhalten zu können. Ohne Frage würde sie fortgeführt werden, wie jedes Mal. schließlich waren die nächsten Schritte für den nächsten weiblichen Gast bereits eingeleitet.

      Es war nur noch eine Frage der Zeit, ein Warten von Stunden, bis das nächste Anschauungsobjekt auf dem Tisch angekettet wäre und seinen Soll erfüllen würde.

      Ein freudiges Glucksen entfleuchte nochmals der Kehle, die den letzten Schluck des blutroten Weines in sich aufnahm.

      „Ein vorzüglicher, feiner, exquisiter, verführerischer Vorgeschmack auf das Kommende.“

      Kapitel 21

      Laut ertönte die quietschende Hupe von Rubys Kleinwagen, da die alte Lady vor ihr nicht in die Gänge kam. Wieso fuhr eine alte Oma um diese Uhrzeit überhaupt noch mit ihrem Auto in der Gegend herum, fragte sie sich aufbrausend, als sie als Antwort nur den Mittelfinger der Dame zu sehen bekam.

      Es war dunkel geworden, genauer es war schon nach zehn Uhr am Abend, als sie sich endlich dazu entschlossen hatte sich bei Lauren zu entschuldigen. Dieses ewige Hin und Her ging ihr zwar dermaßen auf die Nerven, genauso wie die Tatsache, dass es schon wieder ein großes Rätsel war wo Lauren steckte, aber sie fühlte sich schlecht wegen ihrem Streit. Sie hatte ein solch schlechtes Gewissen, dass sie den Tag über nichts mehr auf die Reihe bekommen hatte. Und bevor sie weder ihre täglichen Fotoshootings noch andere Tätigkeiten nicht mehr erledigen konnte, wollte sie alles lieber bereinigen.