Jonah Zorn

Menschlich


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schnell in den Mund, dass sie weder schlucken gar antworten konnte. „Weißt du, das hast du früher auch immer gemacht, wenn wir Horrorfilme geguckt haben. Du hattest immer unheimliche Angst, musstest sie aber unbedingt sehen. Diese Faszination des Grausamen.“

      Mit verschränkten Armen stand ihre schmunzelnde Schwester an die Spüle gelehnt; ihre Haare waren schon etwas angetrocknet und entwickelten bereits die typischen Locken.

      „Mach dich nicht über mich lustig.“

      „Mach ich nicht.“ Das Schmunzeln wurde breiter.

      „Das machst du doch extra. Lass es sein.“

      „Es hat mich nur gefreut mal wieder an alte Zeiten zu denken.“

      „Das ist nicht nett von dir!“

      „Ohh, ich bin nicht nett zu meinem kleinen Schwesterchen.“ Bei diesen Worten erhob sie, um Ruby noch mehr aufzuziehen, ihre Stimme und ging an ihr vorbei, wobei sie ihr über die Haare strich.

      „Wir müssen nicht unbedingt jeden Teil der Vergangenheit wieder aufleben lassen.“ Sie ließ ihren Löffel klirrend in die Schale fallen. Auch wenn das Ganze nur Spaß darstellen sollte, ihr gefiel es nicht, dass Lexie sich über sie lustig machte. Vor allem wenn es um ein Verbrechen ging und die damit verbundene Gefahr für sie. Oder das machte sie um sie einfach abzulenken. Ach verdammt, sie hatte Kopfschmerzen; sie sollte einfach mal einen Tag aufhören zu denken. Was eine traumhafte Vorstellung.

      „Ich finde es süß, wenn du dich aufregst. Du presst dann deine Zähne so aufeinander und deine Worte werden so ein wenig nuschelnd.“

      „Danke, das weiß ich.“

      „Und dann wirkst du überhaupt nicht mehr ernst.“

      „Lex…“

      „Eigentlich wirkst du nie ernst.“

      „Lexie…“

      „Ich kann mich nicht an ein Mal erinnern, an dem du deinen Willen durchgesetzt hast.“

      „Alexandra!“

      „Was denn?“ Sie ging sich abermals grinsend durch die Haare, um danach den Tisch abzuräumen. „Es reicht jetzt wirklich. Und bevor du noch mehr Hilfen für mich hast werde ich gehen. Ich habe noch diverse Dinge zu erledigen.“

      „Oh ganz formal die Dame.“

      „Ich bin jetzt echt sauer auf dich!“ Sie war es wirklich, deswegen stand sie hastig auf, weswegen der Stuhl knarrend nach hinten rutschte. Wenn ihre, ach so tolle, Schwester sie nicht ernst nehmen wollte, dann eben nicht. Sie hatte Besseres zu tun, als dieses Getue noch weiter über sich ergehen zu lassen.

      „Der gestrige Tag war echt nicht einfach für mich und die Nachricht von gestern Abend ebenso wenig und wenn du nichts für mich übrig hast, dann sag mir das gleich.“ Sie griff sich unachtsam den Ersatzschlüssel, der neben ihrem Autoschlüssel lag.

      „Und so jemand nennt sich Schwester.“ Weiter eilte sie zur Haustür, musste jedoch nochmals zurück, da sie auf dem Küchentisch ihre Handtasche vergessen hatte. Das ließ sie nicht unbedingt viel ernster aussehen, doch das machte Lexie ihr schon deutlich. Als sie nämlich in der Haustür gelehnt stand und ihrer Schwester dabei zusah, wie sie ruckartig auf die Entriegelung des Wagens drückte, dieser sich aber nicht aufschloss, meinte sie noch immer fies grinsend und vollkommen gelassen. „Hey, Ruby, Schätzchen, auch wenn du mir jetzt nicht glaubst, ich habe es irgendwie im Gefühl…du bist meiner Meinung nach die Stärkste der Cavillo Geschwister.“

      „Jetzt halt endlich deine dumme Klappe. Du redest einfach nur noch Schwachsinn!“ Ruby trat gegen den Reifen ihres Kleinwagens. „Scheiß Karre!“ Knirschte sie nuschelnd und fuchtelte den sperrigen Schlüssel in das Schlüsselloch.

      „Ich liebe dich auch, Ruby.“ Während sie Ruby einen Kuss zuwarf, öffnete diese das Fenster und zeigte ihr den Mittelfinger. Mit quietschenden Reifen fuhr sie rückwärts aus der Ausfahrt, hielt am Straßenrand allerdings noch mal inne.

      „Wenn du mich lieben würdest, hättest du mir zum Frühstück Pfannkuchen gemacht, so wie früher!“ Mit diesem Abschluss dröhnte der kleine Motor des Polos auf, da sie viel zu viel Gas gab, und preschte dann so schnell, wie mit den wenigen PS möglich war, nach vorne.

      Kapitel 7

      „Unser Freund muss wohl gestern Nachrichten geschaut haben. Er hat uns eine wunderbare Überraschung hinterlassen. Sie ist wirklich, wirklich ansehnlich, keine Frage.“ Kommissarin Brigitte Köhler richtete sich von der Frauenleiche auf, die augenscheinlich schnell unter einen Haufen von Müllbergen geworfen wurde.

      „Maaan, du hast mal wieder saumäßig gute Laune, was Gitti?“ Mit einem lähmenden Lächeln stand Kommissar Jonas Drewes hinter der rasch aufbrausenden Brünette, die ihn auch zugleich vernichtend ansah.

      Ohne Umschweife meinte sie. „Das ist die Gesuchte. Ganz eindeutig Mia-Sophie Seidel, das Bild passt.“

      „Scheint ganz eilig hier abgelegt worden zu sein. Irgendwie unprofessionell.“ Mit dem typischen Geräusch ließ Brigitte die Gummihandschuhe von ihren Händen rutschten. Eine ganz automatische Bewegung, die sie schon so oft gemacht hatte, dass sie instinktiv wurde. Sie war nun seit ganzen zwölf Jahren im Kommissariat, hatte wohl alles gesehen was man sehen konnte und hatte alles mitgemacht, was es mitzumachen gab. Deswegen hat sich ihr Charakter wohl auch zu dem entwickelt, der er nun war. Zu einer zynisch geprägten Realistin mit pessimistischen Zügen, die aber alles mit vollem Ehrgeiz anfasste und Aufgeben für ein absolutes Tabu hielt. Mit ihren vierundfünfzig Jahren war sie vermutlich ein altes Schaf im Geschäft, vor allem seitdem sie diesen Jungspund von Drewes als Partner bekommen hatte. Er war gerade mal fünfundzwanzig, war vor knapp sechs Monaten aus dem Norden Deutschlands hier runter gekommen – den Grund hat er auch nach fünf Monaten Zusammenarbeit noch nicht genannt – und seitdem hatte sie ihn an der Backe. Jedenfalls war es eine für sie neue Situation, denn einen solch jungen Partner hatte sie zuvor noch nie gehabt. Gut, dann hatte sie wohl doch noch nicht alles erlebt in ihrer Laufbahn. Dennoch sie war positiv überrascht von dieser Erfahrung. Auch wenn er noch blauäugig, unerfahren, impulsiv sein mochte, sie hatte es im Gefühl dieser Bursche hatte was auf dem Kasten und würde irgendwann mal ein guter, solider Ermittler werden.

      Das wusste sie, weil er souverän mit der alten Schnalle, ihr, zu Recht kam ohne sich bei ihr unbeliebt zu machen oder seinen Witz zu verlieren. Das schätzte sie sehr an ihm.

      „Womöglich mag unser Mörder keinen öffentlichen Ruhm und wollte sie ganz hastig loswerden.“ Meinte sie beiläufig und lugte abermals auf die Leiche. Die junge Frau Seidel war unverkennbar an den schwarzen lockigen Haaren, ihren vollen Lippen und den völlig aus dem Konzept fallenden grünen Augen zu erkennen. Genau wie auf dem Bild, dass sie vor zwei Tagen von den besorgten Eltern erhalten hatten. Wären da nicht diese gewissen Veränderungen: Wer auch immer ihr das angetan hat, er hatte Spaß daran gehabt mit einem Messer an ihr herumzuspielen.

      Der Leichnam von der jungen Frau war vollkommen nackt und er war übersät von oberflächlichen wie auch tiefen Schnitten in die Haut. Die Todesursache war zwar noch nicht genau bestimmt, allerdings könnten die Würgemale auf Ersticken schließen. Die Abdrücke der Schnur, die zum Erwürgen benutzt worden war, waren sehr unregelmäßig, als ob ihr Folterer beim Verzieren ihres Körpers gestört worden war und er sich mehrmals überlegen musste es wirklich zu tun. Oder er hatte einfach Spaß daran die Todesangst in ihren Augen immer und immer wieder aufflackern zu sehen, wenn er ihr die Luft abschnürte.

      „Das ist schon komisch, keinen ganzen Tag nachdem die Geschichte publik gemacht wurde taucht sie auf. Aber vielleicht steht er ja genau auf so etwas und findet es lustig ein Spiel mit uns zu spielen.“

      „Sehr weit ausgeholt, aber im derzeitigen Stadium des Falles will ich nichts ausschleißen. Ich würde vorschlagen ihr ganzes Umfeld nun hinter diesem Hintergrund abzusuchen. Und wir sollten unsere Datenbank nach vergleichbaren Fällen befragen; ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles so zufällig ist, wie es erscheinen soll.“