Hans-Joachim Koehl

Sehnsucht nach Zärtlichkeit


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Stätten Uruk und Lagasch. Konnte es sein, dass der wertvolle Goldreif lediglich jedes Misstrauen ausräu

      men sollte?

      „Akida, wir brauchen deine Hilfe. Lass die erste Nacht die Trommel schlagen, koche einen berauschenden Sud und tanze für die Krieger des Königs. Versuche mit dem Anführer zu sprechen und finde heraus, was der König ihnen befohlen hat. Verhalte dich so, als würdest du das Lager wechseln wollen. Nehu soll deinem Schutz dienen!“

      „Ja, Herr!“

      Nach Eintritt der Dunkelheit ertönte der Schall der Trommel über das große Feuer, das die ganze Nacht zum Schutz gegen einen Löwenangriff brannte.

      Akida kam mit einem Tonkrug in den Feuerschein. Der Krug machte die Runde. Jeder trank so viel er konnte. Danach fing sie an sich zu wiegen und langsam begann sie ihren Tanz. Der Tanz war dieses Mal eher melancholisch ruhig und auch die Melodie ihres Liedes war besänftigend. Danach setzte sie sich zu einem kleinen, breitschuldigen, muskulösen Mann. Sein Gesicht war mit einer unschönen Narbe verziert, die quer über die eingeschlagene Nase verlief. Das einzig Schöne an ihm war ein goldener Ohrring. Auch die anderen hatten, wenn man genauer hinsah, an Beinen und Armen reichlich Blessuren.

      Es waren wilde Männer, die wussten, wie ein Schwert zu führen war, und schon selbst von dieser harten Speise gekostet hatten.

      Akida setzte sich neben den Narbigen und es sah so aus, als wolle sie ihn verführen. Doch seine unbewegte Miene und wenige Worte zeigten, dass er andere Pläne hatte.

      Aber sie waren nach einem langen Tagesmarsch ruhig und müde. Alle zogen sich nach und nach in ihre Fellzelte zurück. Wegen der reichlichen Taubildung konnte keiner ohne Zeltdecke im Freien schlafen, wir wären sonst triefend nass geworden und hätten vor Kälte gezittert.

      Am nächsten Tag rasteten wir, als das Licht in der Mitte des Firmamentes stand. Akida brachte mir ein Stück getrocknetes, gesalzenes Fleisch.

      „Akida, was hast du rausgefunden?“

      „Ich konnte nichts erfahren. Die Männer sind sehr verschlossen, Herr!“

      Ich schaute ihr in die Augen und nahm so Kontakt mit Tara auf. Er gab mir zu verstehen: „Durch die Nähe zu ihm konnte ich seine Gedanken lesen. Sie planen in der dritten Nacht einen Überfall. Wer von uns überlebt, wird an einem Treffpunkt mit Sklavenhändlern vor der Stadt Lagasch verkauft. Aller Besitz geht zurück nach Uruk.“

      „Genau so etwas hatte ich mir gedacht. Wir werden ihnen zuvorkommen … Akida; du bringst jetzt jedem Wasser. Zu den unseren sagst du; sie sollen heute Nacht nicht aus deinem Krug trinken, sondern nur so tun, als ob. Sag ihnen; Kannat hat es gesagt; es geht um unser Leben. Hast du ein starkes Gift, um die zwölf zu erledigen?“

      „Nein, für zwei oder drei würde es genügen, nicht für mehr! Der Trank würde sonst zu bitter und sie würden die Falle bemerken. Ich könnte sie aber in einen tiefen Schlaf versetzen.“

      „Gut, so machen wir es. Versetze sie in einen tiefen Schlaf, das genügt.“

      In diesem Moment kam Haleb zurück. Auf seinem Dromedar lag vor ihm eine erlegte Gazelle. Haleb hatte zweien seiner Kämpfer angeboten mitzukommen. Gonat und Gonos waren Brüder, junge Männer, die den Kampf und die Jagd liebten. Sie verehrten Haleb. Die drei versorgten uns mit frischem Fleisch. Das war in diesem Land keine Kunst. Vom Reittier aus konnte man weit über die Savanne schauen und die Herden gut ausmachen. Solange sie keine Witterung aufnahmen, waren die Tiere unbefangen. So kamen die drei nahe genug, um ihre Pfeile in ein Tier zu schießen. Mit drei Pfeilen getroffen, war es schnell erlegt.

      An diesem Abend erzählte Gonat am Feuer von seinem Jagdglück. Doch einige der Krieger des Königs spotteten:

      „Hier kann doch jedes Kind ein Tier töten.“

      Ein anderer meinte: „Es ist noch gar nicht so lange her, da war ich in diesem Gebiet auf der Jagd und ich ließ einen lauten Furz, da fielen drei Gazellen tot um.“

      Die Stimme war gehässig. Die Krieger lachten.

      Die andern schwiegen.

      „Ja, ja, stimmt schon … schwer ist es hier nicht, meinte Gonos, „aber heute Morgen fuhr mir der Schrecken in die Glieder. Wir schlichen uns hintereinander an eine Herde Gazellenantilopen. In dem fast mannshohen Savannengras kannst du keine Armeslänge weit sehen. Ich nahm leises Atmen und auch Bewegungen auf der rechten Seite neben mir im Grase wahr. Ich dachte, es sei mein Bruder oder Haleb, denen ich im Anschleichen zu langsam war. So pirschten wir uns eine ganze Weile nebeneinander an, ohne uns sehen zu können. Dann kam eine Lichtung, auf der vor Tagen die Herden das Gras abgefressen hatten. Ich schaute nach rechts — und ich lag, keine drei Schritte neben einem Löwenweibchen. Die Löwin hatte sich von ihrem Schreck schneller erholt als ich und wollte sich auf mich stürzen. In diesem Moment sprangen Haleb und Gonat auf, schrien aus Leibeskräften und zogen ihre Schwerter; auch ich sprang auf. Das Gras rundum bewegte sich, die Gazellenherde ergriff die Flucht und es waren mindestens zehn Löwen, die hinter der Herde her rannten. Erst später wurde uns klar, dass wir mitten in einem Löwenrudel auf Pirsch gewesen waren.“

      „Ho, ho … dich hat wohl Marduk gebissen. Das kannst du deiner Großmutter erzählen, das glaubt doch kein Mensch.“

      Alle lachten und der Bann war gebrochen.

      Da brachten Akida und Waali das Fleisch und der Krug ging herum.

      Laut sagte ich: „Waali, bringe auch den drei Wachen etwas!“

      Jeder aß so viel er konnte, denn es war die einzige große Mahlzeit pro Tag. Eine ganze Zeit dauerte es, bis alle Krieger des Königs schliefen.

      Keiner von ihnen ist je wieder aufgewacht — wir schnitten ihnen den Hals durch oder erschlugen sie mit den Steinbeilen. Wegen der wilden Tiere war es nicht möglich, noch in der Nacht etwas zu unternehmen. Nur die Waffen sammelten wir ein, ließen sie liegen wie sie lagen und löschten das Feuer.

      Wir hatten ein großes Zelt etwas abseits aufgebaut und wachten in dieser Nacht um ein kleines Feuer im Inneren des Zeltes. Akida und Nehu waren alsbald eingeschlafen. Auch Waali lag neben mir und atmete ruhig. Haleb lag neben seinem Schwert und von den beiden Brüdern war nur Schnarchen zu hören.

      Schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht.

      Ständig war ein Knurren, Bellen, Knacken und Schleifen zu hören. Als der Morgen dämmerte, sahen wir noch ein paar Gebeine und eine breite Insektenstraße, auf der einige Knochen und ein blanker Schädel lagen.

      Still packten wir unser Lager und dachten an die schnelle Vergänglichkeit des Seins. Wenn wir nicht gehandelt hätten, wären wir an ihrer Stelle gewesen. Trotzdem fühlten wir uns nicht wohl.

      Was war aus mir geworden? Von einem Engel des Lichts, einer unsterblichen Schöpfung voller Liebe, Freude und Güte hatte ich mich zu einem mordenden Dämon gewandelt. Ich hatte mich von der Fürsorge und dem Gesetz Adonais freigemacht. Selbst bestimmt, nur meinem eigenen Willen unterworfen. Doch dafür würde ich auch für meine Taten geradestehen müssen. Ich wusste, der Tag der Abrechnung nahte. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, mich vorsätzlich von meinem Vater abzuwenden, denn ich kenne seine Herrlichkeit.

      Doch wegen meiner Selbstsucht und meines Ungehorsams hatte er sich von mir abgewandt und jetzt gab es für mich kein Zurück. Ein kalter Schauer überlief mich.

      — Aber was soll´s … die Erde ist wunderschön und ich lebe!

      Wir zogen weiter und nahmen eine andere Richtung, etwas mehr zum Sonnenaufgang hin. Das Tageslicht immer noch im Rücken umgingen wir die Stadt Lagasch.

      Den Tigris erreichten wir im unteren Lauf. Der dortige Schilf- und Sumpfgürtel machte ein Weiterkommen unmöglich. Wie sollten die Tiere über diesen breiten Fluss gelangen? Unbewohnt war das Land.

      Wir selbst sahen aus wie Schlammgeister aus der Unterwelt. Tier und Mensch hatten sich mit einer Lehmschicht gegen die unzähligen Insekten und Stechmücken bedeckt. Hier im Sumpfland kamen