er wisse, wo dieser inzwischen lebe. Er verneinte und fuhr fort zu erzählen: Marr habe oft zu ihm gesagt, er wäre gern einer von Heinrichs Bande gewesen, Jacome de Mallorca etwa, der den Wal entdeckte. Den Wal, fragte ich verwundert. Jacome, dessen Vater den berühmten Katalanischen Atlas für König Karl V. von Frankreich angefertigt habe, sei eines Tages an einem der weiten Strände nördlich des Kaps spazieren gegangen, als er in der Ferne einen grauen Haufen oder Sandhügel erblickte, der sich zu bewegen schien. Ihn packte ein Grauen, aber seine Neugier war stärker und so näherte er sich vorsichtig. Was er dann vor sich sah, raubte ihm den Atem, ein gewaltiger Fisch, wie er niemals einen gesehen hatte, lag dort am Strand. Ja, er hatte wohl Seeleute von solchen Ungetümen berichten hören, es aber als Fabeln abgetan. Was da lag, war zweifellos noch lebendig. Es atmete, irgendwo an diesem Körper prustete es von entweichender Luft. Mehrere Male umkreiste Jacome das Tier und wollte sich gerade etwas näher heranwagen, als sich abrupt die Schwanzflosse erhob und klatschend auf den nassen Sand schlug. Da rannte Jacome, bis er keuchend in der Akademie ankam, um den anderen seinen Fund zu melden. Alles brach sofort auf. Sie ließen ihre Instrumente, Messgeräte, Schreibfedern, Karten, Manuskripte, womit sie auch immer beschäftigt waren, liegen und folgten Jacome. Von den Fischerhütten in der Nähe der Festung, wo man die wunderliche Prozession der Gelehrten, die das Plateau überquerte, beobachtete, schlossen sich ebenfalls noch Neugierige an. Die Kinder tollten in dichter Schar vor ihnen her. Heinrich, der beim Bau der Sternwarte gewesen war, blieb gelassen, machte dennoch aber einige seiner Soldaten zur Begleitung mobil. Als sich die Gesellschaft dann auf dem ebenen, winddurchmessenen Strand dem Ungeheuer näherte, bemerkte Jacome, dass es nun reglos dazuliegen schien. Das blasende Geräusch war verstummt. Der Wal war tot. Die Soldaten stießen den Kadaver mit ihren langen Lanzen an. Heinrich und Abraham Cresques, Jacomes Vater, wagten sich langsam bis zum Kopf des Fisches vor (sie wussten nicht, dass es streng genommen ja kein Fisch war).
Oberhalb des schiefen, im aufgewühlten Sand steckenden Mauls entdeckten sie ein Auge. Es glotzte, und Heinrich konnte sich lange nicht von seinem Anblick lösen. Es war ihm, als wolle ihm der Wal etwas mitteilen, doch er verstand nicht. Irritiert, ja voll Scham wandte er sich Abraham Cresques zu, der erschrak, als er Heinrichs bleiches Gesicht sah. Besorgt erkundigte er sich nach dem Befinden des Prinzen, verwies auf den nun stärker werdenden Gestank des Tieres als mögliche Ursache einer Übelkeit. In der Menge, die noch immer in einigem Abstand wartete, war das anfängliche Raunen einem unnatürlichen Schweigen gewichen; selbst die Kinder hockten im Sand und starrten mit ernsten Gesichtern auf den Koloss. Der Wind brauste und die Kämme der tosenden Brandung glänzten im Spätnachmittagslicht, weit entfernt von dem toten Tier. Plötzlich sprang einer von Heinrichs Kapitänen vor, bekannt als gottesfürchtiger Mann, der schon häufig die Pläne des Infanten als sündhaft und gotteslästerlich abgelehnt hatte und schrie etwas von einem Zeichen, alle seien nun gewarnt, was sie da draußen auf See erwarte. Er sei gewiss, dass es frevelhaft sei, zu weit hinaus zu fahren. Möglicherweise gebe es noch mehr bewohnbare Erde, doch dies hier sei ein Zeichen, sich zu bescheiden; die Wahrheit, sie sei nicht in fernen Ländern zu finden."
Carla sagte: "Er hat es aber ganz schön ausgeschmückt, der alte Mann." - "Er zitierte mir fast wörtlich eine Passage aus Vaters Buch, die ich seither immer wieder gelesen habe," sagte Marie, "Vater hat da wohl selbst eine alte Quelle, die er in Coimbra in einem Archiv entdeckt hatte, in eine anschauliche Geschichte verwandelt. Die Quelle berichtet von einem gestrandeten Wal bei Sagres zur Zeit von Heinrichs Regierung in der Provinz Algarve. Plötzlich aber unterbrach der Alte seine Erzählung und fragte mich, ob ich Marrs Tochter sei. Ich sah ihn an und nickte, und er sagte, der Klang meiner Stimme habe ihm das verraten. Da bemerkte ich erst, dass er blind war. Er hatte bisher eine Sonnenbrille getragen und sich wie ein Sehender bewegt. Nun setzte er die Brille ab. Mein Vater sei der ungewöhnlichste Mann gewesen, den er je kennen gelernt habe, aber auch der einsamste, sagte er. Er wünsche ihm, dass er von mir gefunden werde, fügte er noch hinzu, dann stand er auf und ging zurück in sein kleines Museum. Ich glaube, er wusste, warum Vater dieses Leben eines Verschollenen führt."
Carla blickte nach draußen und rief: "Da ist er ja!" - Marie sah ebenfalls hinaus und erkannte Piero, der auf der anderen Seite der Straße unter den Platanen über Pfützen springend entlang rannte.
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