Mitja Peter

Die Heimkehr der Jäger


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und eines kleinen Jungen hielt ich den Stein für eine Weile auf dem Berg. Zu Hause verlor sich das Hochgefühl wieder im täglichen Wirrwarr. Nicht zu vergessen, dass sich dann Max gleich nach der Rückkehr bemerkbar machte."

      Der Alte und das Kind waren häufig auf dem Ausgrabungsgelände erschienen. Sie hatte in der Hocke neben einem freigelegten Mauerstück gesessen und zugehört, wie der Alte dem Jungen, der ein eigenartiges spitzes Käppchen trug, dessen Ohrenklappen wie Flügel nach außen gestülpt waren, erklärte, was dort gearbeitet wurde.

      Schließlich waren sie ins Gespräch gekommen. Irene hatte von ihren Forschungen erzählt und der Alte hatte sie und einige andere Studenten zu sich eingeladen. Sie dachte an diesen Abend als an einen ausnehmend schönen zurück. An einem langen Holztisch, der seit Jahrhunderten benutzt zu werden schien, hatten sie gesessen, die Tafel gedeckt mit blau-weißem Tongeschirr. Mehrere dickwandige, grobe Schüsseln mit Salaten und ein großer Korb voll frisch gebrochenen Weißbrotes standen da, ebenso kleinere Schalen mit Oliven und eingelegten Tomaten. Die Haushälterin des Alten trug dann noch drei gebratene Hähnchen auf Platten herein, während der Gastgeber um den Tisch herumging und Wein in die verzierten Gläser goss. Von draußen schallte das ununterbrochene Konzert der Zikaden herein.

      ‚Seit sieben Jahren an dieser Arbeit’, dachte sie, ‚und ich habe nichts erreicht. Hunderte von beschriebenen Blättern, Tausende von Kopien, dennoch könnte ich Madame nichts vorlegen. Was tue ich da überhaupt? An jenem Abend lag die Zukunft groß und offen vor mir. Ich fühle mich mit dieser Arbeit verwachsen. Sie ist ein Teil von mir. Nein, mehr noch, sie breitet sich in mir aus, etwas Monströses, das mehr und mehr von mir Besitz ergreift.’ - Signore Pisani, so der Name ihres Gastgebers, besaß verblüffende Kenntnisse über die Anlagen von Segesta. Auf Irenes Frage, ob er selbst Archäologe sei, hatte er geantwortet: "Nein, aber Kunsthistoriker."- Er habe viele Jahre an der Universität von Bologna gelehrt und sich erst jüngst ganz auf dieses kleine Landgut zurückgezogen, das er von seiner Schwester übernommen habe, die seit dem Tod ihres Mannes in Mailand lebe. Als Irene ihm die Schwierigkeiten ihrer Arbeit schilderte, riet er ihr, eben diese Schwierigkeiten nicht vertuschen zu wollen, sondern zum Thema zu machen. Die Wissenschaft scheue Widersprüche. Dies sei ein Fehler, sagte Signore Pisani. Eine Abhandlung könne auch suchend ihr Thema umkreisen, Antworten vorschlagen statt behaupten. Natürlich werde sie das Rätsel um Segesta nicht lösen. Bei dieser Feststellung erschrak Irene. Dies sei aber keine Schwäche ihrerseits, fügte Pisani sogleich hinzu. Es sei schön, dass nicht alles sein Geheimnis preisgebe. Damit hätten wir uns abzufinden. Ja es liege darin geradezu der Sinn unseres seltsamen Daseins. Da sie aber nun einmal Archäologin sei, so Pisani weiter, müsse sie dem gerecht werden und ihre Aufgabe so gut es ihr möglich sei, erfüllen. Der Kaiser sei ein Kaiser, der Bauer Bauer, der Gelehrte Gelehrter, zitierte er irgendeine alte chinesische Weisheit. Ein Bauer, der sein Bestes gebe, sei höher zu schätzen als ein Kaiser, der seine Regierungsgeschäfte schleifen lasse.

      An jenem Abend, als sie um den gedeckten Tisch saßen, begeisterte er sie alle mit seinen Reden, in denen er Geschichte, Naturwissenschaft, Kunst und Philosophie aller Länder und Zeiten wie selbstverständlich als einen einzigen Garten vor ihnen erwachsen ließ, zwanglos sich von einem Baum zum nächsten bewegend. Es war, als verfüge er über das gesammelte Wissen der Menschheit. Auf die Frage, wie er denn seine Tage verbringe, erwiderte er, es sei ihm niemals langweilig, er teile die Stunden genau ein, was das Wichtigste sei; am Morgen treibe er seine Studien voran, am Nachmittag arbeite er im Garten oder versuche auf Wanderungen durch die Umgebung das Schauen zu erlernen.

      Irgendwann erfuhren sie, dass er selbst eine kleine Ausgrabungsstätte auf seinem Grundstück hatte - alle horchten auf -, wohl ein römisches Haus, das nach und nach von ihm freigelegt werde. Derzeit sei er an einem Mosaikfußboden beschäftigt. Und er führte seine Gäste noch am gleichen Abend, etwas trunken von vielem Wein, eine große Stablampe auf den Weg richtend, zu der Grabungsstelle und zeigte ihnen zwischen Olivenbäumen eine Vertiefung, in der sie in dem suchenden Lichtkreis deutlich das Fundament einer römischen Villa erkannten. Von dem Mosaik waren viele blaue und jadegrüne Steine sichtbar gemacht sowie eine graue, zu einer geschwungenen Dreiecksform angeordnete Fläche, die Pisani als Flosse eines Delphins deutete.

      Irene fuhr mit der Metro von der Universität nach Hause. Die Bahn schoss rüttelnd in den Tunneln dahin und kam nach jeweils kurzer, wie von roher Kraft dahingerissener Fahrt abrupt in den Stationen wieder zum Stillstand. Irene kam aus dem Untergrund die Treppen hinauf und verharrte für einen Augenblick an der oberen Stufe. Alles Leben der Stadt schien sich aus den Gebäuden in die Straßen ergossen zu haben und wogte im flimmernden Sonnendunst weit dahin. Und mitten darin, im Strom der Passanten, erkannte sie Carla und dann etwas später Max, der an Carlas Hand ging und ein Baguette im Arm hielt. Irene lief den beiden entgegen.

      "Wir mussten noch einmal zum Bäcker", sagte Carla, "der junge Herr mochte ein frisches Brot, das noch knuspert."

      Irene nahm Max hoch und küsste ihn auf beide Wangen.

      "Ist Piero noch da", fragte sie Carla. – "Nein, er hat Max abgegeben und Marie mitgenommen", sagte Carla leichthin. - "Ach ja!?" - "Bemüh' dich nicht", sagte Carla. - "Was meinst du", fragte Irene. - "Gleichgültig zu erscheinen."

      Sie bogen vom Boulevard ab in eine Seitenstraße, die bald nach einer Kurve parallel zu den Bahngleisen verlief. Kurz vor dem Gare du Nord fächerten sich hier die Gleise weiträumig auf. Die ebenerdige Wohnung hatte einen eigenen Eingang, da sie früher einmal für die Concierge des Mietshauses bestimmt gewesen war. Drei der vier Zimmer hatten große Fenster zur Straße hin, und dort spielten im Sommer bis zur Dunkelheit die Kinder der Einwanderer, von denen viele in dieser Gegend wohnten. Soeben tobte wieder eine sich jagende Schar um die beiden Ecken der Wohnung. Irene blieb nachdenklich in der Diele stehen und sah durch die drei offenen Zimmertüren zu, wie die Köpfe der Kinder draußen vor den Fenstern hin und her schossen; hell schallten das Trappeln der Füße und die sich überschlagenden Stimmen durch den Raum. Max hockte neben ihr auf dem Boden, wo sie ihn abgesetzt hatte und machte sich am Verschluss ihres Rucksacks zu schaffen. Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrer Versonnenheit. Sie meldete sich. - "Ja Maman, wir sind gerade erst nach Hause gekommen. Max war noch mal mit Carla einkaufen", sagte Irene. - "Ich war an der Universität." - "Was heißt warum?" - "Ja Maman, ich muss immer noch dort hin." - "Das dauert eben, Maman." - "Gut, bis...nein, Piero hat ihn abgeholt." - "Ach Maman, bitte." - "Nein!" - "Nein!" - "Gut,... dann....vielleicht in zwei Wochen " - "Wiederhören!" - "Ja, bis dann. "- "Ich bin nicht kurz angebunden." - "Also, wie geht es Dir?" - "Schön." - "Wusste ich nicht." - "Ja gut, das ist vielleicht für sie gut, aber für mich nicht." - "Also gut, ich melde mich." - "Adieu!"

      Knallend legte Irene den Hörer zurück in die Gabel. Carla stand im Türrahmen ihres Zimmers, lehnte sich mit der Schulter an und lächelte. - "Erzählt mir von einer meiner Schulfreundinnen, die einen Finanzberater geheiratet habe. Sie hätten sich ein großes Haus am Rande des Dorfes gebaut. Gleich hinter dem Grundstück beginne der Wald. Diese Freundin habe sogar eine Putzhilfe und müsse gar nicht viel im Haushalt machen", sagte Irene, den Ton ihrer Mutter nachäffend.

      - "Oh, so kann ich mir dich auch gut vorstellen", sagte Carla, "im Hauskleid, wie du morgens die breite Marmortreppe..."

      Ein Telefonbuch kam geflogen. Carla flüchtete lachend in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett warf. "Du hast sogar recht," rief Irene, die ihr nachgelaufen war und sich ebenfalls auf das Bett fallen ließ, "die Eingangshalle muss so groß sein wie die Scheune bei meinen Eltern, viel Marmor, kahle Wände." Max kam angewackelt, das Telefonbuch in zwei Händen tragend, und kroch zu ihnen aufs Bett. Eine Weile lagen sie einfach nur da und schwiegen, während Max mit einem Wachsmalstift, den er in einer seiner Hosentaschen aufgestöbert hatte, das Telefonbuch bemalte.

      - "Es tut mir leid," sagte Carla dann, "das mit dir und Piero, ich muss es noch einmal ansprechen," sie übersah Irenes abwehrende Geste und fuhr fort: "ihr seid beide verrückt, nicht nur verrückt nacheinander, sondern auch verrückt, weil ihr nicht zusammenbleiben wollt."

      - "Wie könne er eine eigene Familie gründen, wenn er doch mit der Familie, der er entstamme, noch nicht im Reinen sei", sagte Irene.

      - "Das hat er gesagt?" rief Carla.

      - "Ja. Du weißt, wie seine Mutter gestorben