Mitja Peter

Die Heimkehr der Jäger


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nachdem sie die beiden Briefbögen wieder in den blassblauen Umschlag gesteckt hatte und sah den Überbringer herausfordernd an. - "Zunächst sollten Sie mir sagen, ob ich Ihnen bei der Suche helfen soll," sagte Cawthra ruhig, "mein Auftrag lautet vorerst nicht, den Aufenthaltsort ihres Vaters herauszufinden, auch wenn dies vielleicht ihre Mutter von mir erwartet. Ich könnte zwar auch in dieser Richtung tätig werden, aber meine Direktive war bisher, Sie zu beobachten und im Notfall einzuspringen. Daran halte ich mich seit drei Wochen. Zunächst wartete ich in London, bis Sie sich aus irgendeinem Hotel bei ihrer Mutter melden würden. Als dann ihr Anruf aus Barcelona kam, gab man mir sofort Nachricht und ich nahm ein von unserer Agentur gechartertes Flugzeug. Nun, und dann ging es über Nimes und Aix bis hierher nach Paris. Am Cours Mirabeaux in Aix saß ich einmal unter den Platanen neben Ihnen im Café. Dass ich mich nun zu erkennen gegeben habe, könnte mir Ärger einhandeln. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit mehr, in dieser Sache voran zu kommen. Diese Beschattungen liegen mir nicht. Sie haben ja heute gesehen, wie dumm ich mich dabei anstelle. Von wann stammt denn das letzte Lebenszeichen Ihres Vaters?"

      - "Von vor fünf Jahren", sagte Marie, "damals erschien im Wissenschafts-Magazin "Experientia" ein Aufsatz von einem Joseph Berlin, möglicherweise sein Pseudonym."

      Cawthra lächelte. - "Der Aufsatz wurde der Zeitschrift von einem Londoner Rechtsanwalt zugeschickt", sagte er, "wir arbeiten oft mit dieser Kanzlei zusammen. Ich traf mich mit einem der Mitarbeiter. Erst wollte er nicht damit heraus, doch dann erfuhr ich, dass ihnen das Manuskript aus Rom zugeschickt worden war, Absender unbekannt, nur ein Postfach war angegeben. Wie kommen Sie aber darauf, dass Joseph Berlin und ihr Vater identisch sein könnten?"

      "Es gibt noch eine Reihe weiterer Aufsätze von diesem Berlin", erwiderte Marie, "teilweise zwanzig und mehr Jahre alt. Niemand hat Berlin je getroffen. Beim "Science Magazine" hieß es, Wissenschaftler würden zwar in der Regel nicht unter einem Pseudonym ihre Texte veröffentlichen. In Berlins Fall deuteten aber Stil und Gehalt auf einen Physiker von Rang hin, der nur hin und wieder veraltete Wendungen benutze und sich kaum auf jüngste Entwicklungen des Fachs beziehe. Ich gebe zu, es ist nur eine Vermutung, doch warum sollte ich ihr nicht nachgehen."

      "Ja, warum nicht", sagte Cawthra. Er zog ein schwarzes, in Leder gebundenes Notizbuch hervor, blätterte darin und fuhr in raschem Tonfall fort: "In Rom war ich nicht sehr erfolgreich. Im Bus befreite mich ein Taschendieb von einigen zehntausend Lira. Das Postfach wurde für eine Greta Buffon geführt, wohnhaft Via Bramante,... Was ist denn?" Cawthra wandte sich plötzlich an Piero, der mit einem unverständlichen Laut und einer kuriosen, ziellosen Armbewegung beider Blicke auf sich gelenkt hatte. - "Entschuldigung, ich glaubte Sie wollten etwas sagen." - Piero schüttelte den Kopf. - "Fahren Sie ruhig fort", sagte er zu Cawthra. - "Also gut, sie war Schauspielerin oder Fotomodell von Beruf, Mitte zwanzig vielleicht. Sie lud mich zu einem Espresso ein; erklärte mir, nie irgendetwas nach London geschickt zu haben. Sie kenne weder einen John Marr noch einen Joseph Berlin. Sie sah hinreißend aus und log mich kalten Herzens an. Ich kam bei ihr nicht weit, in keiner Beziehung." Marie starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen vor sich hin. - "Ich dachte mir dann: Alter Junge, Du musst zurück zum Ausgang der Geschichte. Also fuhr ich nach Washington. Beim CIA legten sie mir natürlich auch keinen roten Teppich vor, aber ich fand heraus, dass Marr weder vom Geheimdienst entführt noch verhaftet worden war. Alles deutet daraufhin, dass er aus freier Entscheidung verschwand." - Erst bei diesem letzten Satz sah er Marie fest an. Zuvor hatte er unentwegt wie suchend in seinem Notizbuch vor und zurück geblättert. Sie erwiderte seinen Blick kühl und ausdruckslos.- "Die Spionagestory ist also ein Märchen", sprach Cawthra weiter, "aber was geschah in den Rocky Mountains, in jener geheimen Forschungsstation. Das ist vielleicht die Frage, deren Antwort uns sein Verschwinden erklären würde. Ich vermute, dass ihn dort etwas verstörte oder ängstigte, und dass er für eine Weile allein sein wollte, vielleicht nur für ein paar Tage, ein paar Wochen, aber dann wurden fast vierzig Jahre daraus. Bloß warum? Fand er Geschmack an diesem abgeschiedenen Leben oder hatte er gewichtige Gründe, nicht zurückzukommen, im Verborgenen zu bleiben? Es muss nicht sein, dass er wie ein Robinson lebt. Vielleicht hat er jahrelang das Postamt von Sumatra, Montana, geleitet und ist nun in Pension, sitzt auf der Veranda seines Häuschens und guckt in seinen Vorgarten, wo die von ihm gepflanzten Astern blühen." - "Sie wissen selbst, dass es so nicht ist", sagte Marie humorlos und zu Piero gewandt: "Lass uns weitergehen. Kommst Du?" Sie rief die Asiatin, doch Cawthra bestand darauf zu bezahlen. Marie schenkte ihm noch ein gereiztes Lächeln und lief davon.

      Piero folgte ihr. "Findest Du nicht, dass er ein wenig zu arrogant ist. Er scheint sich wunderbar über uns zu amüsieren. Und dann noch dieses mickrige Musketierbärtchen und das Gel im Haar!" Marie lehnte mit verschränkten Armen in einem Winkel des Aufzugs, der sie hinauf zur Dachterrasse des Riesenquaders trug. "Mir war er nicht unsympathisch", sagte Piero, "und er scheint Dir wirklich helfen zu wollen." – Doch Marie schnaubte verächtlich und starrte düster vor sich hin. Als sich die Tür des Aufzugs öffnete, ließ sie Piero ohne ein weiteres Wort stehen.

      Die Nachmittagsluft war mild. Selbst in dieser frei ausgesetzten Höhe blies der Wind sanft, strich warm um die Köpfe und hatte sich auf seinem Weg über Land noch Meeresduft bewahrt. Bald tauchte Cawthra wieder auf und lehnte sich neben Marie an eine mit einem hohen Gitterzaun bewehrte Brüstung, über die hinweg sie auf die Stadt sehen konnten. "Beantworten Sie mir noch ein paar Fragen", sagte er, "danach verschwinde ich, wenn Sie mögen, für immer." Ein kurzes Lachen entfuhr ihr.

      "Sie sind hartnäckig, nicht wahr. Verstehe schon, rein beruflich." Cawthra wunderte sich über die Wandlung in ihrem Gesicht und fragte sich, warum sie so plötzlich ihre abweisende Haltung fallen zu lassen schien. Er neigte dazu, es allein seinem Charme zuzuschreiben. Sie sah ihn an und sagte: "Als meine Mutter ihren Widerstand aufgegeben hatte, ermüdet von meiner Entschlossenheit, Vater zu suchen, gab sie mir ein Tagebuch, das er ihr einmal geschenkt haben soll. Er hat es mit 22 Jahren während einer Europareise geschrieben, die er in Begleitung eines Freundes unternahm. Mutter sagte mir, sie habe nie eine Zeile darin gelesen, aber vielleicht werde es mir ja helfen und ihn mir näher bringen. Es erschien mir seltsam, dass er ihr dieses Buch überlassen hatte. Sie hielt es für aussichtslos, nach ihm zu suchen. Ich schlug das Heft auf, ein schwarzes Schulheft mit karierten Blättern, und mein erster Gedanke war, dass sich darin ein Hinweis auf den Aufenthaltsort meines Vaters verbergen könnte. Ich setzte mich in den Lesesessel in meinem Zimmer, las es in einem Zug durch und beschloss dabei, seine Reise, soweit es nur möglich war, nachzuahmen. Ich wollte die gleichen Orte wie er aufsuchen, in den gleichen Unterkünften übernachten, sofern es sie noch gab, und mir mehr Zeit nehmen, als ihm damals zur Verfügung stand, um ihm sein Geheimnis zu entlocken. Auf dieser Reise befinde ich mich noch. Ich war in der Schweiz, in Irland, Spanien, Portugal und Südfrankreich. Von dort, wie Ihnen ja bekannt ist, kam ich vor drei Wochen nach Paris. Glücklicherweise lernte ich dann Piero kennen, der mich bei zwei Freundinnen von ihm unterbrachte. Es gefällt mir dort so gut, dass ich Paris nicht mehr so bald verlassen möchte. Ich wünschte, ich könnte meinen Vater in einer der Straßen dort unten finden."

      - "Sie haben sich aber nicht genau an seine Route gehalten", sagte Cawthra, "er fuhr nämlich zunächst nach Deutschland."

      - "Woher wissen Sie das?" rief Marie. Sie war erschrocken; der ängstliche Ausdruck ihrer Augen entging ihm nicht.

      "Ich habe mit dem Freund ihres Vaters gesprochen, der ihn auf der Reise damals begleitet hat", sagte Cawthra, "er wohnt in London."

      - "Aber Mutter sagte mir doch, sie wisse nichts über ihn."

      "Ich habe es auch nicht von ihrer Mutter erfahren. Bevor wir solch einen Fall angehen, erstellt eine eigens dafür zuständige Abteilung unserer Agentur eine möglichst lückenlose Biographie der gesuchten Person bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie verschwand. Es war nicht schwierig auf Mr. Goldberg zu stoßen. Ihr Vater und er waren schon in Deutschland Freunde, während der Zeit der Diktatur. Irgendwann während des Krieges verloren sie sich aus den Augen, denn Goldberg ist Jude und wurde deportiert. Er überlebte. Ende der vierziger Jahre trafen sie sich zufällig in Cambridge wieder. Sie saßen im gleichen Seminar. Als der Dozent in der ersten Sitzung die Teilnehmer aufrief, fiel irgendwann der Name Goldberg. Ihr Vater saß einige Bankreihen hinter ihm und muss wohl während der weiteren Namensverlesung auf Goldbergs Hinterkopf gestarrt haben, denn als schließlich der Name John Marr und das bestätigende