Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen


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Nesthäkchen weiter, denn »wer nicht hören will, muß fühlen«. Ganz blaß ist das arme Puppenkind noch davon, und Annemie meint bekümmert zu Fräulein: »Ich glaube, die Schulluft bekommt dem Kinde nicht!«

      Auch um Mariannchen, das zweite Töchterchen, sorgt sich Nesthäkchen. Die Kleine hat seit einigen Tagen eine schwere Augenkrankheit und muß sicher nächstens in eine Puppenklinik. Die Schlafaugen sind fest zugeklebt und gehen nicht mehr auf. Und das schlimmste ist, daß die kleine Mama selbst die Schuld an der Krankheit trägt. Oder vielmehr Klaus, denn der hat ihr geraten, dem Kinde richtige Wimpern mit flüssigem Gummi anzukleben. Und nun sind Mariannchens Augen ganz verkleistert, oder vielmehr »vereitert«, wie der vierbeinige Doktor Puck mit bedenklichem Schwanzwedeln feststellte.

      Ja, solch kleines Puppenmütterchen hat schon seine Sorgen mit soviel Jören! Der Puppenjunge Kurt ist ein furchtbar wilder Strick, kein Tisch ist ihm zu hoch, um davon herunterzuspringen. Bald zerschlägt er sich die Nase, bald hat er ein tiefes Loch im Kopf, und einen halben Fuß hat er sich auch schon abgeschlagen, der Schlingel.

      Die schwarze Lolo, das Negerkind, muß wohl die Unsauberkeit und Unordentlichkeit aus ihrer Heimat Afrika mitgebracht haben. Wenn Annemarie sie eben erst sauber angezogen hat, im nächsten Augenblick hat sie sich schon wieder schmutzig gemacht. Bald verliert sie einen Schuh, bald einen Strumpf. Neulich sogar die Höschen! Mitten im Tiergarten war's, Klein-Annemarie hat sich schrecklich geschämt, denn sehr weiß waren sie auch nicht mehr.

      Am bravsten ist noch Baby. Das läßt seine Mama die ganze Nacht ruhig schlafen, höchstens am Tage schreit es mal, aber auch nur, wenn es allzu sehr auf den Bauch gedrückt wird. Annemie verzieht Baby ein bißchen, na, dafür ist es ja auch ihr Nesthäkchen.

      Aber trotz aller ihrer Fehler liebt Annemarie ihre Kinder wie eine richtige kleine Mama. Den ganzen Tag plagt sie sich für sie. Kaum hat sie morgens früh Irenchen in die Schule gebracht und die anderen angezogen, verlangt Baby auch schon nach seinem Fläschchen. Dann sind die Betten der Kinder zu machen, die beiden Großen schlafen in dem weißen Himmelbett, die beiden Kleinen, Lolo und Baby, im Wagen, und Kurt in der umgekippten Fußbank. Die ist wenigstens nicht so hoch, wenn er rausfällt.

      Beim Aufräumen der Kinderstube hilft Nesthäkchen Fräulein fleißig; es hat einen kleinen Besen mit Schaufel und einen Schrubber nebst Eimer und Scheuertuch. Auswischen tut Annemie für ihr Leben gern. Aber Fräulein erlaubt es nicht oft, denn sie setzt die ganze Stube dabei unter Wasser, es gibt jedesmal eine Überschwemmung. Beinahe wäre neulich ihr Kurt, der sich unterm Spielschrank versteckt hatte, dabei ertrunken.

      Eine reizende Puppenküche hat Klein-Annemarie, mit Kohlenkasten, Wasserleitung und Spiritusherd, aber Mittagbrot kochen kann sie ihren Kindern nur, wenn's regnet. Die Puppen sind auch so vernünftig, bei schönem Wetter keinen Hunger zu haben. Sie wissen, daß ihre kleine Mama, wenn die Sonne scheint, in den Tiergarten spazieren gehen muß. Oft nimmt Nesthäkchen eins oder zwei ihrer Kinder mit und fährt sie in dem feinen weißen Puppenwagen mit der rosa Seidendecke aus. Dann setzt sie ihnen Spinat vor, frisch gepflückt vom Rasen. Auch Kieselsteinbraten vertragen sie merkwürdig gut, wenn er auch noch so zäh ist.

      Die armen Zuhausegelassenen aber werden in ihr Gärtchen, aufs Blumenbrett, gesetzt, damit sie auch ein bißchen Luft schnappen. Nur Kurt nicht, der Bengel ist zu wild und würde sicher in den Hof herunter Purzelbaum schießen.

      Auch waschen und plätten muß Annemie für ihre Kleinen, ja, sie verbrennt sich sogar die Händchen dabei vor lauter Eifer. Denn das kleine Plätteisen wird auf dem Herd heiß gestellt, anders tut das Hausmütterchen es nicht.

      Nächstens soll auch große Puppenschneiderei stattfinden, Annemarie hat zu ihrem Geburtstag eine allerliebste kleine Nähmaschine bekommen. Fräulein will ihr zeigen, wie man darauf näht. Dabei hat sie auch noch den Kaufmannsladen und die Mehlhandlung zu bedienen, wenn Klaus gerade keine Lust dazu hat, oder wenn sie sich beide gezankt haben.

      Und Mutti will ihr Nesthäkchen doch auch ein bißchen um sich haben, wirklich, Annemarie weiß oft gar nicht, was sie von all ihren vielen Arbeiten zuerst machen soll.

      Sie kann sich gar nicht denken, daß es kleine Mädchen gibt, die sich manchmal langweilen.

      2. Kapitel

      Was der Osterhase bringt

      Es war am Ostersonntag, ganz früh am Morgen. Golden schien die liebe Sonne vom Himmel, gerade in Nesthäkchens Kinderstube hinein.

      Die Puppen lagen alle noch in festem Schlaf. Kurt schnarchte wie ein Murmeltier, und auch Lottis Fräulein schlief noch.

      Nanu – die Sonne begann erstaunt zu blinzeln – was sollte denn das bedeuten?

      Aus dem weißen Kinderbett in der Ecke sprang, vorsichtig nach dem schlafenden Fräulein herüberschauend, ein kleiner Hemdenmatz mit zwei blonden Rattenschwänzchen. Eins, zwei, drei, huschte er leise durch das Zimmer, geradeswegs zum Fenster, und kletterte dort behutsam auf den Kinderstuhl.

      Was hatte denn Nesthäkchen bloß in aller Herrgottsfrühe schon auf den Hof hinunterzugucken? Die Portierkinder, mit denen sie gut Freund war, schliefen doch noch alle.

      Die Sonne machte ein mißbilligendes Gesicht. Den Tod konnte sich das barfüßige kleine Ding ja bei seiner Frühpartie holen oder doch wenigstens einen tüchtigen Schnupfen.

      Nein, das gab die liebe Sonne nicht zu, daß Klein-Annemarie an den Osterfeiertagen krank im Bette liegen mußte.

      Schnell nahm sie ein paar ihrer spitzen Goldstrahlen und begann Fräulein damit unter die Nase zu krabbeln, einmal und noch einmal.

      »Hatschi!« nieste Fräulein und schlug die Augen auf. Da sah sie zu ihrer Verwunderung am Fenster auf dem Kinderstuhl ein ausgekniffenes Hemdenmätzchen thronen, das Stupsnäschen gegen die Scheiben gepreßt.

      »Kind – Annemie – willst du wohl gleich wieder ins Bett, es ist ja noch nicht mal sechs!« rief sie ärgerlich.

      »Ach, Fräulein,« Annemarie fuhr erschreckt zusammen, »warum bist du bloß aufgewacht! Ich wollte doch so schrecklich gern mal den Osterhasen sehen, ob er auch recht viel Eier für mich hat.«

      »Wenn du so unartig bist und heimlich aus dem Bett kletterst, bringt dir der Osterhase überhaupt keine Eier. Der kommt nur zu artigen Kindern. Flink zurück ins Bettchen, Annemie, daß du nicht etwa krank wirst«, mahnte Fräulein.

      »Woher weiß der Osterhase denn, ob ich artig bin?« erkundigte sich das Barfüßchen.

      »Er läßt es sich von allen Muttis und Fräuleins erzählen«, gähnte Fräulein.

      »Hat er dich auch schon danach gefragt?«

      »Ja–a–a–u–uh«, Fräulein gähnte herzbrechend.

      »Wann denn?« Nesthäkchen spitzte die Ohren.

      »Hör' jetzt endlich mit dem ewigen Gefrage auf und gehe in dein Bett, Annemie, oder soll ich erst böse werden?«

      »Nein, nein, aber mein liebstes, bestes, allersüßestes Zuckerfräulein, sag' mir doch bloß noch, wann der Osterhase dagewesen ist, dann gehe ich auch gleich wieder artig ins Bett«, schmeichelte die Kleine.

      »Heute nacht.« Fräulein konnte den Bitten der kleinen Schmeichelkatze nicht widerstehen.

      »Heute nacht, da hast du wohl mit ihm aus dem Schlaf gesprochen, Fräulein?« verwunderte sich die Kleine.

      Aber als Annemie jetzt endlich den Rückzug in ihr Bettchen antreten wollte, da jauchzte sie plötzlich laut auf, daß sämtliche Puppen entsetzt aus dem Schlaf hochfuhren, und Kurt vor Schreck fast aus seiner Fußbank gekegelt wäre.

      »Fräulein, der Osterhase, da ist er, ganz deutlich habe ich ihn gesehen.« Die Kleine wies aufgeregt aus dem Fenster. Schwarz war er, und einen langen Schwanz hat er gehabt, und mit einem Satz ist er drüben über das Dach gesprungen.«

      »Du