Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen


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So'n Kiekindiewelt – so'n Dreikäsehoch!« räsonierte Irenchen. »Kaum hat sie ihre Nase hier in die Kinderstube gesteckt, da hat sie uns auch schon Annemaries Liebe gestohlen. Wir wollen sie so lange ärgern, bis sie Reißaus nimmt, die fremde Krabbe – hatschi – hatschi.«

      »Ich geh' ja ganz von selbst«, wollte Puppe Gerda traurig antworten, aber da schob ihr Annemie gerade einen Bissen Apfel in den schon geöffneten Mund.

      Am Abend, als die zwei, Nesthäkchen und ihre Gerda, wieder zusammen in dem weißen Gitterbettchen lagen, wälzte sich die Puppe ruhelos hin und her. Annemie schlief längst, aber die arme Gerda fand keinen Schlummer.

      Sollte sie heimlich davonlaufen, damit Klein-Annemarie sich wieder um ihre andern Kinder kümmern konnte? Ach, sie hatte ja ihr Mütterchen selbst schon so lieb, so lieb – die Trennung brach ihr fast das Herz.

      Laut auf schluchzte die Puppe. Annemie regte sich.

      »Warum weinst du, mein Liebling?« fragte sie im Traum.

      »Ich muß wieder fort von dir«, jammerte Gerda.

      »Weshalb denn bloß?« Ganz erschreckt fragte es Klein-Annemarie. »War ich schlecht zu dir, war ich liederlich mit deinen Sachen, oder habe ich dich am Ende zu sehr geziept?«

      »O nein,« flüsterte die Puppe ihr ins Ohr, »du warst sehr gut gegen mich, viel zu gut! Aber du hast deine andern Kinder, die dich doch auch lieb haben, ganz über mich vergessen. Die sind traurig und schimpfen auf mich, darum ist es das beste, ich gehe wieder.« Eine Träne kullerte Gerda über das Porzellangesicht.

      »Nein, nein – ich lasse dich nicht weg«, rief Annemie im Traum und preßte ihr Nesthäkchen fest ans Herz. »Ich will ja wieder gut gegen meine andern Puppen sein, Mutti hat ja auch all ihre Kinder lieb. Nur bleibe du bei mir!«

      Da nickte Puppe Gerda und lächelte unter Tränen.

      Und dann schliefen sie alle beide.

      4. Kapitel

      Wir reisen nach Amerika ? hurra!

      Zwei Wochen war Puppe Gerda nun schon bei ihrer kleinen Mama, und von Tag zu Tag gefiel es ihr besser.

      Annemarie hatte gehalten, was sie ihrer Puppe im Traum versprochen: sie war auch für ihre andern Kinder wieder ein gutes, treusorgendes Mütterchen geworden. Die Puppen waren voll Dankbarkeit gegen sie, und sie übertrugen diese auch auf Gerda. Ob sie das nächtliche Gespräch der beiden belauscht hatten, oder ob Puppe Gerdas Bescheidenheit und Freundlichkeit ihr das Herz der andern fünf gewonnen, darüber äußerten sie sich nicht.

      So war wieder Frieden in die Kinderstube eingekehrt, alle hatten sie die gute Gerda liebgewonnen, und diese hätte ganz glücklich in ihrer neuen Heimat sein können, wenn – ja wenn es nicht einen im Hause gegeben hätte, vor dem sie ganz schreckliche Angst gehabt hätte. Das war nicht etwa Puck, trotzdem sie den kleinen Vierfüßler auch stets mißtrauisch von der Seite anblickte. Sogar, wenn er ihr die Hand leckte, um seine freundschaftliche Gesinnung kundzutun, sah sie ängstlich nach, ob er ihr auch keinen Finger abgebissen.

      Das war auch nicht Bruder Hans mit der großen Fliegenflasche. Die konnte Gerda nicht bange machen, sie war ja viel, viel größer als die! Und Hans hatte sie und ihre kleine Mama neulich freundlich gestreichelt und hatte ihnen allen beiden Helme aus Zeitungspapier gemacht.

      O nein, vor denen hatte Gerda keine Angst. Ihre Furcht galt einzig und allein demjenigen, vor dem die Fliege sie gleich am ersten Morgen gewarnt hatte: dem achtjährigen Klaus, dem gefährlichsten Menschen auf Erden.

      Sobald der die Kinderstube betrat, hätte sich die Puppe am liebsten in den äußersten Winkel verkrochen, denn es gab jedesmal Streit und Geschrei.

      Gleich der Empfang war wenig verheißungsvoll. Als Klaus die neue Puppe erblickte, verabfolgte er ihr erst als Willkommensgruß einen Nasenstüber. Darauf setzte er sie auf sein großes Schaukelpferd und ließ es in solch rasendem Galopp laufen, daß der armen Gerda Hören und Sehen verging. Sie wäre unfehlbar herabgestürzt und hätte sich das Genick gebrochen, wenn nicht ihr Mütterchen Annemarie sie mit lautem Geschrei errettet hätte.

      Ein andermal war es ihr noch viel schlimmer ergangen. All seine Soldaten mit Pferden und Kanonen hatte der Bösewicht gegen das Puppenkind aufmarschieren lassen.

      »Feuer!« kommandierte er mit Feldherrenstimme, die Puppe Gerda durch Mark und Bein drang. Da donnerten die Kanonen, und die Papierkugeln pfiffen dem verängstigten Puppenkind nur so um den Kopf.

      »Ich bin tot – mausetot geschossen!« rief sie und verlor die Besinnung.

      So fand Annemarie ihr Nesthäkchen, und ihre Küsse und Tränen brachten die Lockenpuppe wieder zu sich. Die Soldaten mit ihren fürchterlichen Kanonen waren abmarschiert, aber der Krieg war deshalb noch nicht aus. Nein, der tobte nur um so toller, und zwar zwischen Klaus und Annemarie. Mit geballten Fäusten verteidigte die Kleine ihr Puppenkind, bis Fräulein dazukam und den Störenfried Klaus aus der Kinderstube beförderte.

      Nun zitterte Gerda, sobald sie nur die Stimme des wilden Jungen von ferne hörte. –

      Frida machte das Wohnzimmer rein, und Annemarie half. Natürlich mußte Puppe Gerda auch dabei sein. Die saß auf dem Sofa wie eine Dame und sah zu, ob die beiden auch ihre Sache gutmachten.

      Frida rieb die Fenster blank, und das kleine Mädchen klopfte mit ihrem Puppenklopfer die Sessel. Lustig tanzte der Klopfer auf den Polstern herum – bum – bum – bumbumbum – das machte Spaß! Besonders weil Gerda so bewundernd zuschaute.

      Aber nach einem Weilchen fand Annemarie es noch lustiger, Fenster zu putzen wie Frida. Das nasse Leder quietschte so wunderschön auf den Scheiben.

      »Bitte, Fridachen, wir wollen tauschen. Ich putze die Fenster und Sie klopfen die Möbel«, schlug die Kleine vor.

      »Bewahre, Annemiechen, du fällst aus dem Fenster – denke mal, zwei Treppen hoch, da kommst du nicht lebendig unten an«, sagte das Mädchen erschrocken.

      »Der Portier würde mich schon auffangen, wenn er gerade unten im Garten ist«, meinte die Kleine.

      »Er ist aber nicht da«, damit ließ Frida ihr Leder weiter quietschen.

      »Und der liebe Gott würde schon auf mich aufpassen, daß ich nicht rausfalle«, überlegte Annemarie weiter.

      »Der liebe Gott hat soviel zu tun, der kann nicht auch noch auf jedes unvorsichtige kleine Mädchen acht haben«, sagte Frida und rieb die Scheibe blank.

      »Der liebe Gott kann alles zu gleicher Zeit sehen, der hat vorn und hinten Augen, nicht wahr, Gerda?« rief die Kleine eifrig. Die Puppe nickte mit dem Kopf – ja, das war auch ihre Ansicht.

      Aber daß Annemarie nicht auf das Fensterbrett klettern sollte, darin stimmte Puppe Gerda wieder mit Frida überein. Es fiel ihr ordentlich ein Zentnergewicht vom Herzen, als Frida vorschlug: »Weißt du, Annemiechen, kehre lieber den Teppich mit der Teppichmaschine ab.«

      Das leuchtete auch Annemie ein. Die Teppichmaschine quiekte noch viel schöner als das Fensterleder, denn sie war lange nicht geölt.

      Rrrrrr – ging es über den blauen Teppich, die Maschine rumpelte, quietschte und pfiff, und Annemie jubelte.

      Rrrrrrr – zehnmal im Kreis herum, da machte die Kleine endlich halt.

      »Willst du mitfahren, Gerda?« fragte sie das erwartungsvoll dasitzende Puppenkind.

      Das streckte ihr beide Arme entgegen.

      Eine Sekunde später saß Gerda auf dem braunen Rumpelkasten.

      »Jetzt fährst du Karussell, halt' dich fest, mein Liebling!« rief Annemie, und da ging es auch schon los.

      Gerda hätte ihrer kleinen Mama gern gesagt, daß es Karussell hieß, aber sie hatte genug damit zu tun, sich festzuhalten und nicht herunterzupurzeln.