Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen


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sich die beiden, als ob Gerda wirklich aus Amerika angereist gekommen wäre.

      Von nun an aber hatte Puppe Gerda noch viel, viel größere Angst vor dem bösen Klaus.

      5. Kapitel

      Nesthäkchen macht schlechtes Wetter

      Die Bäume im Tiergarten hatten ihr neues, hellgrünes Maikleid angelegt, die Vögelchen pfiffen und flöteten ihre Frühlingslieder, herrlich blühte der Flieder. Auf den Bäumen krabbelte es von Maikäfern, und auf den Spielplätzen von kleinen Buben und Mädeln.

      Aber so lustig es auch im Tiergarten war, es kostete Annemarie jedesmal einen Kampf, von Hause fortzugehen, denn dort war es jetzt noch tausendmal lustiger. Da wurde der alte, häßliche Winterstaub aus allen Ecken und Winkeln gejagt, mit großen Besen und Scheuerbürsten und wahren Fluten von Seifenwasser. Hanne und Frida, die hatten es gut. Die brauchten nicht mit Fräulein in den ollen Tiergarten spazieren zu gehen, die durften den ganzen Tag nach Herzenslust klopfen, bürsten und fegen, seifen und panschen. Ach, wie Annemie die beiden beneidete! Besonders da Mutti auch meistens dabei half.

      »Bist du sehr traurig, Fräulein, daß du nicht mit reinmachen darfst?« fragte sie mitleidig, als es wieder mal in den Tiergarten ging.

      »Nein, ganz und gar nicht«, lachte Fräulein. »Ich gehe viel lieber spazieren, du doch auch, Annemiechen?«

      »Ach wo«, rief die Kleine und lachte ebenfalls, denn sie glaubte, ihr Fräulein mache nur Spaß. Sie konnte sich nicht denken, daß jemand noch etwas anderes schöner finden könnte als Reinmachen.

      »Ich wollte, es regnete alle Tage, daß ich zu Hause bleiben müßte«, sagte sie mit Inbrunst.

      »Das kann schneller kommen, als du denkst, Liebling, denn das Barometer scheint zu fallen.«

      »Regnet es dann, wenn das Barmeter fällt?« erkundigte sich die Kleine angelegentlich.

      »Ja, dann gibt es jedesmal schlechtes Wetter«, belehrte sie Fräulein.

      Heute war Annemarie mit ihren Gedanken gar nicht so recht beim Spiel. Gerda bekam keinen Spinat zu essen, der Ball blieb in seinem roten Wollnetz, und selbst der große Reifen lief nicht wie sonst den Vorübergehenden gegen die Knie. Annemie hatte anderes zu tun. Die mußte in den blauen Himmel hinaufgucken, und die kleinen Flatterwölkchen, die wie weiße Wollschäfchen dort oben vorbeizogen, zählen. Ob die wohl Regen brachten?

      Als die Kleine heute vom Spaziergange nach Hause kam, war ihr erster Weg nicht wie sonst in die Kinderstube zu den Puppen. Mit Hut und Mäntelchen lief sie in Vaters Sprechzimmer zum Barometer.

      Nein – es war noch nicht gefallen, es hing noch ganz fest an der Wand, da hatte sie sich umsonst gefreut.

      »Morgen wird deine Kinderstube reingemacht, meine Lotte«, sagte Mutti nach Tisch zu dem Töchterchen.

      »Au fein – da kann ich nicht spazieren gehen!« Annemarie vollführte vor Freude einen Luftsprung, und Gerda, die sie gerade auf dem Arm hatte, mit.

      Mutti hatte eine andere Ansicht.

      »Du bist durchaus dazu nicht nötig, mein Herzchen. Wir werden gut ohne dich fertig. Im Gegenteil noch schneller, wenn du uns nicht im Wege stehst.«

      »Aber meine Puppenküche muß ich doch reinmachen, da darf die Hanne nicht ran. Die zerschlägt mir bloß meine Teller, du hast erst gestern gesagt, Muttichen, die Hanne zerschlägt alles.«

      »Ich werde die Puppenküche selbst übernehmen, bist du nun zufrieden, Lotte?« fragte Mutti lächelnd.

      »Nein, gar nicht –« Nesthäkchen machte ein langes Gesicht. »Wenn meine Kinderstube reingemacht wird, muß ich dabei sein. Im Kaufmannsladen weißt selbst du nicht so gut Bescheid, Muttichen, und meine Puppenbetten muß ich mir auch selbst klopfen und frisch beziehen. Ach, wenn's doch morgen bloß regnen wollte!«

      Alle paar Minuten lief Klein-Annemie an das Fenster, um zu sehen, ob denn noch immer keine schwarzen Regenwolken kämen. Aber der Himmel war und blieb blau, und die Sonne lachte die Kleine noch obendrein aus.

      »Du sollst mich nicht auslachen, du dumme Sonne!« rief Annemarie und ließ dabei ein ganz klein wenig ihr rotes Züngelchen sehen. Aber schnell verschwand es wieder, denn Puppe Gerda hatte ihre kleine Mama ganz erschrocken angeguckt.

      Doch als auch am Nachmittag noch immer keine Wolken heraufziehen wollten, da faßte das kleine Mädchen einen kühnen Entschluss: Annemie wollte selbst schlechtes Wetter machen.

      Herzklopfend schlich sie sich mit ihrer Gerda in Vaters leeres Sprechzimmer.

      Hatte Fräulein nicht gesagt, wenn das Barometer fiel, regnete es? Dann war es sicher so, denn Fräulein wußte alles.

      Da hing das Barometer – auf den Zehenspitzen näherte sich die Kleine. Gerda machte ein ängstliches Gesicht.

      Leise rührte das Kinderhändchen an dem Barometer. Das begann ärgerlich hin und her zu schaukeln.

      »Tu's nicht – laß sein!« wollte Puppe Gerda gerade noch warnend rufen – zu spät!

      Schon hatte Annemie dem Barometer einen starken Stoß gegeben. Es schwankte – es hopste – und da sprang es erschreckt von seinem Nagel herab und fiel zur Erde.

      Dort lag es nun, das Glas war entzwei, die Zeiger verbogen – und davor stand das kleine Mädchen und weinte bitterlich. Ja, jetzt gab es mit einem Male Regenwetter, freilich nur bei Annemie – draußen aber schien noch immer die Sonne.

      Scheu schlich sich die kleine Wettermacherin davon.

      Nach einer Weile hörte sie die Stimme des inzwischen heimgekehrten Vaters. Sie klang aufgebracht.

      »Nun möchte ich bloß wissen, wer mir das teure Barometer wieder kaputt gemacht hat, das ist doch sicher beim Reinmachen passiert«, so rief er, denn er war dem Scheuerfest lange nicht so gewogen wie sein Töchterchen.

      Mutti und Fräulein eilten herbei und sahen erschreckt auf das verdorbene Barometer. Sie hatten keine Ahnung, wer das wohl verbrochen haben könnte. Hanne und Frida wurden gerufen, aber auch die beteuerten ihre Unschuld.

      »Schicken Sie mir die Jungen in mein Zimmer, wenn sie aus der Turnstunde kommen, Fräulein«, gebot der Vater noch immer ärgerlich. Das kleine Mädchen konnte es deutlich hören, denn die Türen standen offen. »Sicher ist es einer von den Schlingeln gewesen – na, die können sich freuen!«

      Zweimal hatte Puppe Gerda Annemie bereits am Ärmel ihres roten Musselinkleidchens gezupft. Die tat, als merke sie nichts. Aber als die Puppe jetzt zum dritten mal noch stärker zupfte und sie dabei auch noch vorwurfsvoll ansah, stieß Annemie hervor: »Ja doch – ja doch – ich geh' ja gleich!«

      Und da stand sie auch schon mit niedergeschlagenen Augen in Vaters Sprechzimmer, ihr Puppenkind krampfhaft an das Herz gepreßt.

      »Na, Lotte, was willst du?« Vaters Zorn verflog im Umsehen, als er sein Nesthäkchen erblickte.

      »Ich – ich –« druckste die Kleine und wäre am liebsten wieder davongelaufen, wenn sie sich nicht vor ihrem Kinde geschämt hätte.

      »Na, was hast du denn auf dem Herzen, meine kleine Lotte?« Liebevoll zog Vater sie zu sich heran.

      Da schlang Annemarie ihre Ärmchen um Vaters Hals, und Puppe Gerda tat dasselbe. Beide verbargen sie das Gesicht an Vaters Schulter.

      »Ich habe das Barmeter fallen lassen«, flüsterte es leise – ganz leise.

      »Du –« Des Vaters Gesicht wurde ernst. Er schob die kleine Sünderin ein Endchen von sich ab. »Was hast du denn an meinem Barometer zu suchen, Annemarie?«

      »Annemarie« sagte Vater, und nicht »Lotte«, wie sonst immer, nun hatte er sie ganz sicher nicht mehr lieb!

      »Ich wollte doch so schrecklich