Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen


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Annemie ließ sich so leicht nicht etwas ausreden. Auch als sie wieder im Bett lag und ihre Blauaugen gerade müde zuklappen wollten, murmelte sie noch im Einschlafen: »Und es war doch der Osterhase!«

      Ein Weilchen darauf spähte die liebe Sonne aufs neue in die Kinderstube hinein, ob dort nun endlich Ruhe herrschte. Da schlief die ganze Gesellschaft wieder, und der richtige Osterhase konnte, unbeobachtet von neugierigen Kinderaugen, all seine Schokoladen- und Marzipaneier verstecken.

      Das war eine schwierige Sache für Fräulein, heute Nesthäkchen anzukleiden. Sehr still hielt der kleine Wildfang ja niemals, aber heute war die Annemarie in allen vier Ecken der Kinderstube zu gleicher Zeit. Am Ende hatte Fräulein bloß nicht aufgepaßt, und der Osterhase hatte doch ein paar Eier ins Kinderzimmer gelegt.

      Während Fräulein ihr die blonden Kraushärchen entwirrte, was niemals eine sehr angenehme Aufgabe war, entwischte sie ihr dreimal.

      Wutsch – war sie in dem Schuhschrank drin, wo sie sämtliche Schuhe und Stiefel nach Ostereiern durchstöberte. Fräulein mit Kamm und Bürste hinterdrein.

      Dann, als das erste Zöpfchen halb geflochten war, fiel es Annemie plötzlich ein, sicher würde sich etwas in der Puppenküche finden. Heidi – kramte sie auch schon dort das Unterste zuoberst, Fräulein mit Kamm und Bürste hinterdrein.

      Aber als die Kleine plötzlich, gerade da die große, hellblaue Schleife das zweite Zöpfchen schmücken sollte, hast du nicht gesehen, auf den großen Tisch kletterte, um auf den Ofen nach Ostereiern zu spähen, da konnte Fräulein mit Kamm und Bürste nicht hinterdrein. Auf den Tisch konnte sie unmöglich klettern. Sie machte ein unzufriedenes Gesicht, bis Annemie sich ihrem Fräulein mit Küssen und Streicheln an den Hals hängte und versprach, sich nun aber wirklich ganz artig anziehen zu lassen. Das tat sie auch, denn so klein sie auch war, das wußte die Annemarie: Was man verspricht, muß man halten!

      »Na, endlich ausgeschlafen, Lotte?« begrüßte sie der Vater, als Nesthäkchen am Kaffeetisch erschien.

      »Ach, Vatchen, ich habe heute morgen schon den Osterhasen übers Dach springen sehen«, erzählte Annemarie eifrig.

      »So?« fragte der Vater ernsthaft.

      Der vorlaute Klaus aber rief: »Es gibt ja gar keinen Osterhasen, bist du noch ein dämliches Ding, nur ganz gewöhnliche Hasen gibt es.«

      »Das ist nicht wahr, du lügst!« begehrte das Schwesterchen auf.

      So etwas wollte sich der Klaus nun wieder nicht sagen lassen, er griff nach Annemies frisch geflochtenen Zöpfchen, und es wäre an dem schönen Ostersonntag wohl zu einer regelrechten Schlacht gekommen, wenn Mutti nicht gerade das Zimmer betreten hätte.

      »Ei, Kinder, ist das unser Feiertagsfrieden?« fragte sie vorwurfsvoll.

      Da ließen die kleinen Kampfhähne beschämt voneinander ab, und Nesthäkchen sprang zu Mutti, um sich ihren Gutenmorgenkuss zu holen.

      Gibt es wohl noch etwas Schwereres im Leben, als zwei große Tassen Kakao austrinken zu müssen, während man ganz genau weiß, daß im Nebenzimmer die schönsten Ostereier auf einen warten?

      Endlich – endlich war die Tasse leer, und nun war Klein-Annemarie auch nicht mehr zu halten.

      »Mutti, dürfen wir jetzt – bitte, bitte, laß uns gleich Ostereier suchen!«

      Und kaum hatte Mutti der kleinen Ungeduld nur ein ganz klein wenig zugenickt, bautz – da lag Nesthäkchen auch schon der Länge nach drin im Wohnzimmer unterm Sofa und strampelte vor Aufregung mit beiden Beinen.

      »Hurra – hurra, drei Stück, halt, dort unterm Notenschrank ein ganz großes, da – unter der Blumentreppe wieder eins!« Annemarie blieb in einem Jubel. »Nein, Klaus, das hier habe ich zuerst gesehen, das gehört mir!« Diesmal ging es ohne Kampf zwischen den beiden ab, aber nur, weil der große Hans inzwischen eifrig weitersuchte, und dem wollten die zwei doch nicht alle andern Eier überlassen.

      Gerade als Annemie ein wunderhübsches grünes Nest mit kleinen Marzipanküken bewunderte, bei dessen Auffinden der gute Vater ein wenig geholfen hatte, und als er ihr vorlas, daß auf dem angehefteten Zettelchen stand: »Für unser Nesthäkchen«, hörte man nebenan einen lauten Krach.

      Klirr – da lag Muttis schöne Vase in Scherben. Der ungestüme Klaus war mit dem Kopf dagegengestoßen. Zur Strafe wurde er vom Ostereiersuchen ausgeschlossen und in sein Zimmer geschickt.

      Nesthäkchen aber dachte heimlich: »Sicher hat der Osterhase das so eingerichtet, weil Klaus gesagt hat, daß es gar keinen gibt.«

      Doch Annemie hatte jetzt lange nicht mehr die Freude an dem lustigen Suchen wie vorher, obgleich sie noch so viele schöne Eier fand, sogar eins mit Murmeln und eins mit Puppentässchen gefüllt. Sie mußte immerfort daran denken, wie traurig der arme Klaus jetzt wohl im Jungenzimmer sitzen mochte. Er tat ihr ganz schrecklich leid, trotzdem er doch stets mit ihr Streit anfing.

      Als kein Winkelchen mehr undurchstöbert war, und Annemarie in ihrem Körbchen fünfzehn Ostereier zählte, eine ganze Mandel, wie Fräulein sagte, schlich sie sich heimlich in das Jungenzimmer.

      Klaus saß an seinem Arbeitspult und hatte die Fäuste in beide Augen gebohrt.

      »Kläuschen,« die Kleine kam schüchtern näher, »sieh mal, wieviel Ostereier ich habe, da, suche dir welche davon aus, weil ich doch solche Menge gefunden habe.«

      Der Junge sah erstaunt auf. Zuerst glaubte er, Annemie mache nur Spaß, aber als das gute Schwesterchen ihm wirklich ihr Körbchen hinhielt, nahm er sich das Ei mit den Murmeln heraus und streichelte Annemies rundes Gesichtchen.

      »Du bist ein guter Kerl!« sagte er dabei.

      Nun erst hatte Nesthäkchen volle Freude an den Gaben des Osterhasen, weil auch Klaus sich freuen konnte. Jubelnd tanzte das kleine Mädchen durch die ganze Wohnung.

      »Hanne, ich habe eine ganze Mandel Ostereier gefunden!« so klang es zur Küchentür hinein, und im nächsten Augenblick sprang Annemie der mit dem Besen vorüberfegenden Frida huckepack auf den Rücken: »Fridachen, wenn Sie mich ein bißchen mit der Teppichmaschine auskehren lassen, schenke ich Ihnen eins von meinen fünfzehn Ostereiern.«

      Aber sie hatte keine Zeit mehr, Fridas Antwort abzuwarten, denn Puck mußte doch erfahren, daß sie zehn Schokoladeneier, vier aus Marzipan, eins mit Puppentässchen, und dazu noch das süße Kükennest gefunden hatte. War der arme Wicht doch schon den ganzen Morgen aus dem Zimmer gesperrt worden, damit er nicht auf eigene Faust Ostereier suchen sollte und sie am Ende gar belecken.

      »Puckchen, sieh mal, was ich hier habe.« Lachend kauerte Annemarie sich zur Erde und wies dem Hündchen ihre süßen Schätze. Aber Nesthäkchens Lachen wandelte sich plötzlich in Weinen, denn der undankbare Puck begnügte sich nicht mit Anschauen – schnapp – hatte er das größte Schokoladenei im Maul und verkroch sich damit unters Sofa.

      »Du abscheulicher Puck!« Annemie raste weinend hinter ihm her, um ihm seinen Raub wieder abzujagen.

      Aber Bruder Hans, der den kühnen Diebstahl mitangesehen und sich die Seiten vor Lachen hielt, zog sie an einem Wadenstrümpfchen wieder unter dem Sofa hervor.

      »Laß der Hundetöle das Osterei, Annemie, du kannst es ja jetzt doch nicht mehr essen«, tröstete er.

      Doch als Nesthäkchens Tränen weiterflossen, holte der gute Hans eins von seinen eigenen Ostereiern und legte es in Schwesterchens Korb.

      Nun war endlich wieder Sonnenschein bei Klein-Annemarie. Spornstreichs ging es in die Kinderstube, um den Puppen ihre Ostereier zu zeigen. Die fraßen ihr sicher nichts weg.

      Da klingelte es.

      Mutti hatte streng verboten, daß Annemie selbständig die Eingangstür öffnete, weil viele Patienten zum Vater kamen. Aber da das kleine Fräulein recht neugierig war, spähte es durch den Türschlitz, durch den die Briefe geworfen wurden. Da sah es denn einen dunkelgrünen Damenmantel und eine Hand mit einem silbergrauen Täschchen, das ihr merkwürdig bekannt vorkam. Und da die Hand überdies ein verheißungsvolles