Else Ury

Nesthäkchen und ihre Puppen


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– schnell – Frida, der Osterhase ist draußen!« Die Kleine konnte es nicht erwarten, bis die Tür geöffnet wurde.

      Da stand zwar nicht der Osterhase, aber eine, die Annemie ebenso lieb war – Großmama.

      »Guten Tag, mein Herzchen, warum läßt du denn den Osterhasen nicht rein?« Zärtlich hob Großmama das federleichte Dingelchen zu sich empor.

      »Weil Mutti es nicht erlaubt, und du ja auch gar keiner bist«, lachte das Enkelchen.

      »So – wenn ich kein Osterhase bin, dann kann ich dir wohl auch kein Osterei bringen?« Großmama versteckte scherzend das Paket auf dem Rücken.

      »Ach, du bist meine liebste, beste Osterhasen-Großmama, aber nun zeige mir auch, bitte, bitte, was in dem Paket drin ist.« Annemie unterstützte ihre Bitten mit Streicheln und Küssen auf Großmamas grünem Mantel.

      Aber dessen hätte es gar nicht einmal bedurft, denn wer in Nesthäkchens bettelnde Blauaugen sah, konnte nicht widerstehen, wenn er auch keine Großmama war.

      Dauerte das lange, bis das dumme Papier endlich ab war. Ein großer Karton kam zum Vorschein. Halb ängstlich, halb erwartungsvoll hob Nesthäkchen den Deckel.

      »Eine Puppe – eine Osterhasenpuppe, ach, ist die süß!« Annemie nahm die große Puppe, die ein weißes Osterhasenkäppchen mit rosaseidenen Ohren trug, glückstrahlend aus der Schachtel und gab ihr einen zärtlichen Willkommenskuss.

      »Ich glaube, du freust dich gar nicht mit deinem neuen Töchterchen, du hast am Ende schon zu viel Kinder!« neckte Großmama, als sie Annemies Mutterglück sah.

      »Ach, Großmuttchen, ich danke dir tausendmal,« jetzt endlich fand Nesthäkchen auch Zeit, an Großmama zum Dank emporzuangeln, »das ist mein aller-, allerschönstes Osterei!« Glückselig streichelte sie die roten Bäckchen, die blonden Löckchen und das weiße Stickereikleid mit der rosa Schärpe.

      »Mutti, du hast ein neues Enkelchen bekommen.« Mit der einen Hand zog Annemarie Großmama ins Zimmer, mit der anderen streckte sie der Mutter das neugeborene Kind entgegen. Mutti wußte nicht, wen von beiden sie zuerst begrüßen sollte.

      »Wie wird denn mein neues Urenkelchen heißen?« fragte Großmama.

      »Nenne es doch Gertrud, nach Großmama«, schlug Mutti vor.

      »Ach nee, Gertrud heißen doch nur alte Damen!« wandte Nesthäkchen ein.

      »So nenne es Gerda!« Mutti wußte doch immer einen Ausweg.

      Und dabei blieb es. Gerda wanderte auf Annemaries Arm in die Kinderstube und wurde Fräulein und sämtlichen Schwestern und Brüdern vorgestellt. In der Nacht aber durfte sie bei ihrer neuen Mama im weißen Kinderbett schlafen, da diese sich keine Minute von der Kleinen trennen wollte.

      Baby war abgesetzt – und Gerda war von nun an Annemies Nesthäkchen.

      3. Kapitel

      Wie es Puppe Gerda bei Nesthäkchen gefiel

      Als Gerda, das Puppenkind, am nächsten Morgen ihre Schlafaugen aufschlug, schlief ihre neue kleine Mama noch. Neugierig sah Gerda sich ihr Mütterchen näher an. Mit roten Bäckchen lag es auf dem stickereibesetzten Kissen und lachte im Schlaf. Gewiß träumte es von dem neuen Kinde. Die hübsche kleine Mama gefiel dem Puppenkinde sehr, sicher würde sie es gut bei ihr haben. Gerda nahm sich vor, immer brav zu sein und Annemie nie zu ärgern. Dann aber faltete sie ihre Zelluloidhände und flüsterte: »Lieber Gott, ich danke dir, daß du mich zu einem so guten Mütterchen gebracht hast!«

      Klein-Annemarie schlief noch immer, und Puppe Gerda begann sich allmählich zu langweilen.

      Surr – surr – da summte eine Fliege über dem Kinderbett und setzte sich der Puppe gerade auf die Nase.

      »Surr – surr – wie kommen Sie denn hierher, Fräulein?« begann die Fliege die Unterhaltung. »Ich wohne doch schon schrecklich lange, zwei ganze Tage, in der Kinderstube, aber Sie habe ich hier noch nicht erblickt.«

      »Ich bin erst gestern hier eingezogen«, antwortete die Puppe schüchtern und schielte herzklopfend auf ihre Nase. Denn sie hatte in ihrem Leben noch niemals eine Fliege gesehen.

      »Surr – surr – wo haben Sie denn früher gewohnt?« erkundigte sich die Fliege.

      »In einer großen Pappschachtel, aber da war es lange nicht so hübsch wie hier. Stockdunkel war es darin, und die Luft war auch nicht besonders«, erzählte Puppe Gerda ein wenig zutraulicher. Und da sie sah, daß die Fliege es gut mit ihr meinte, setzte sie noch hinzu: »Ich habe es doch fein getroffen, daß ich hierher gekommen bin, nicht?«

      »Sum – sum«, sagte die Fliege mal zur Abwechslung, legte eins der dünnen Vorderbeinchen an die Stirn und dachte nach. »Ja, es sind recht anständige Leute, sie geizen nicht mit Zuckerkrümelchen und hängen an die Kronen keine heimtückischen Leimbänder, an denen wir armen Fliegen zappelnd unser Leben lassen müssen. Sum – sum.«

      »Nicht wahr, die kleine Annemarie ist gut?« fragte die Puppe, denn das lag ihr mehr am Herzen als Zuckerkrümel und Leimbänder.

      »Freilich,« surrte es zurück, »die Annemie tut keiner Fliege etwas zuleide. Aber der Klaus, ihr älterer Bruder, vor dem nehmen Sie sich in acht, Fräulein. Das ist der gefährlichste Mensch, den ich kenne. Wenn der Sie mal fängt, quetscht er Sie zu Apfelmus, oder er reißt Ihnen mindestens ein Bein aus. Mit meiner guten, alten Tante hat er's gerade so gemacht, der Tunichtgut!«

      »Ich werde ihm möglichst aus dem Wege gehen«, nahm sich die Puppe furchtsam vor. »Doch ich sah gestern Abend noch einen jungen Herrn, treibt der's auch so schlimm?«

      »Sum – sum – wie man's nimmt! Ganz so arg ist der Hans wohl nicht. Aber er hat manchmal eine große, bauchige Glasflasche in der Hand, damit rückt er uns armen Fliegen zu Leibe. Spiritus ist darin, der steigt uns so zu Kopf, daß wir geradeswegs in die große Flasche hineinfliegen müssen. Und wer erst einmal drin ist, der kommt nicht wieder heraus, elendiglich muß er in dem Spiritus ersaufen! Hüten Sie sich vor der Fliegenflasche, Fräulein, surr – surr!« Die Fliege summte so laut vor Empörung, daß Nesthäkchen sich zu bewegen begann.

      Husch – war das Fliegchen auf und davon und Puppe Gerdas Nase leer.

      Annemarie aber streckte sich und reckte sich, und dann schlug sie endlich die Augen auf.

      Gerade als Puppe Gerda überlegte, ob es nicht das gescheiteste wäre, vor den bösen großen Brüdern Reißaus zu nehmen und davonzulaufen, ehe Annemie noch erwachte, fühlte sie sich von zwei weichen Kinderarmen innig umschlungen. Ein rotes Mündchen preßte sich auf den ihren, und ein warmes Herzchen pochte gegen ihren kalten Zelluloidkörper. So lieb und zärtlich, daß alle Angst vor dem fürchterlichen Klaus und vor der großen Fliegenflasche bei Gerda verflog. Wohl behütet und geborgen fühlte sich Puppe Gerda bei ihrem Mütterchen.

      »Guten Morgen, mein einziges Gerdachen – hat mein Nesthäkchen denn auch schön geschlafen?« klang es ihr liebevoll entgegen.

      Die Puppe nickte, denn ihr Kopf war mit Gummischnur befestigt.

      »Wollen wir uns denn nun anziehen und süße Zuckermilch trinken?« fragte das sorgsame Mütterchen weiter.

      Puppe Gerda lächelte erfreut. Sie hatte schon großen Durst, und Zuckermilch war ihr Leibgericht. Aber vorläufig mußte sie sich noch etwas gedulden. Denn Fräulein trat ins Zimmer, um erst mal Annemarie aufzunehmen.

      Die schnitt ein Gesicht. Das dumme Anziehen – sie hatte sich so darauf gefreut, noch ein bißchen mit ihrer Gerda im Bett zu spielen.

      Da neigte sich Fräulein zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

      Das kleine Mädchen wurde rot und sah verlegen auf ihr Puppenkind.

      Hatte es Gerda auch bloß nicht gehört, was Fräulein soeben gesagt hatte? Ob sie sich denn gar nicht vor ihrem neuen Kinde schäme, und daß sie jetzt immer sehr artig