Katie Volckx

Erkläre mir das Leben


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fuhr fort: »Aber liegt das Problem nicht schon eine halbe Ewigkeit zurück und ist somit verjährt?« Nur ungern stellte ich mich auf Harros Seite, aber was konnte schon so krass sein, dass man ihm auch noch anderthalb Jahre später einen Fehler nachtrug? Was war so krass, dass man sich auch noch nach anderthalb Jahren zusammennehmen musste, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen?

      »Das tut es. Aber solange sie sich der Schule wegen regelmäßig begegnen, wird das alles nie abkühlen. Alles fühlt sich so verdammt frisch an. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das mit Harro und Winter überhaupt Zukunft hat. Ich bin ja der Meinung, dass sie die Beziehung nur künstlich am Leben erhalten.«

      Sieh mal einer an, von wegen beliebtes Paar. Offensichtlich spielten sie nur eine Show, eigentlich nicht einmal eine gute. Alles nur Schein. Litt hier denn jeder unter Schwarzen Star oder warum bekam niemand etwas von der seltsamen Allgemeinstimmung mit?

      »Wofür das denn?«, wollte ich nur zu gern wissen.

      »Für die Eltern. Denn die sind mit dem jeweiligen Partner ihres Kindes vollauf zufrieden. Auch nur, weil sie von dem ganzen Drama nichts wissen. Das alles blieb unter den Betroffenen.«

      »Wie geht das denn? Ich bin immer davon ausgegangen, Stoff wie dieser macht auf dem Dorf irre schnell die Runde?«

      Jule lachte auf. »Ich verstehe, du kennst die Gesetze eines Dorflebens noch nicht.« Sie nahm einen Schluck von ihrer Limonade und gab ein befriedigtes »Aaah« von sich. »Guck mal, natürlich wird geredet und gelästert. Und ja, einzig logisch wäre, dass auch dich irgendwann der Klatsch und Tratsch über deine Person erreicht. Aber so ist es nicht. Sie machen Halt vor dem Betroffenen. Wenn sie wüssten, dass deine Frau gerade mit Bauer Alfons-Stefan Ehebruch begeht, würden sie dir ins Gesicht lächeln und dich glauben lassen, alles sei in bester Ordnung.«

      »Was haben sie davon?« Ich war ernsthaft schockiert.

      »Nichts. Rein gar nichts. Sie sind einfach nur feige, wollen sich in nichts reinziehen lassen.«

      »Das verstehe wer will. Ich meine, das grenzt schon fast an Perversion.« Ein wenig hatte ich mich ja schon an das Leben hier gewöhnt(die Schule war mir dabei eine große Hilfe gewesen), aber auf diese kranken Manieren konnte ich gut und gerne verzichten.

      »Wir könnten es psychologisch analysieren, aber das würde leider auch nichts daran ändern. An ihnen, meine ich.«

      »Wohl wahr.« Ich hatte meinen Milchkaffee fast auf, als mir einfiel: »Ich hoffe, du bekommst keinen allzu großen Ärger mit Niko, weil du mir ein paar Informationen geliefert hast.«

      Sie machte große, mitleiderregende Augen. »Da kämen wir auf meine Bitte zu sprechen: könnte dieses Gespräch unter uns bleiben? Tätest du mir diesen Gefallen, ja? Du weißt ohnehin nichts Konkretes.«

      »Du kannst dich voll auf mich verlassen.« Ganz bestimmt wollte ich nicht derjenige sein, der Jule unnötige Schwierigkeiten bescherte. Sie hatte ja recht, sie hatte nichts von sich gegeben, das Aufschluss gab. Tatsächlich wusste ich nicht mehr als vorher, kam mir nun sogar noch dümmer vor als zuvor. »So, nun zu dir. Was beschäftigt dich?« Die Angelegenheit mit Niko, Harro und Winter konnte nämlich nicht über Jules eigene mittelmäßige Laune hinwegtäuschen.

      »Was ... was meinst du?«, geriet sie ins Stottern und gab damit noch mehr Anlass zum Verdacht.

      »Letztes Wochenende, als wir im Kino waren, warst du auch schon so seltsam drauf. Aber da dachte ich noch, dass du vielleicht vor deinen Tagen stehst.«

      Sie schmunzelte. »Eher nicht.« Ihr Blick wich meinem aus. »Ist es mir echt so deutlich ins Gesicht geschrieben?«

      »Hey, ich bin ein Kerl. Meinst du nicht, dass das was zu heißen hat, wenn dem das schon auffällt?«

      »Ja. Scheiße.« Sie knabberte an ihrer Unterlippe und wackelte mit dem Fuß. Ich wollte mich davon ja nicht nervös machen lassen, aber ein bisschen ging es doch auf mich über. »Kann ich dir was anvertrauen?«, fragte sie nach einem Weilchen.

      War ich wirklich bereit, mir ein Geheimnis aufzuladen? Denn mir schwante, dass sie mich hauptsächlich Niko gegenüber zur Geheimhaltung verpflichten würde. Aber es war meine Neugier, die ein leichtsinniges Ja zur Antwort gab.

      »Ich bin schwanger«, verkündete sie ohne langes Federlesen und verursachte damit einen kurzen Herzstillstand bei mir.

      Als ich wieder zu mir kam und ihre Worte einigermaßen verarbeitet hatte, wurde mir klar, dass ich mich umsonst gesorgt hatte und sehr wohl mit Niko darüber sprechen könnte. Dabei schoss mir durch den Kopf, dass er auch hierzu geschwiegen hatte. Um meine Freundschaft mit Niko schien es wirklich schlecht zu stehen. Nur, warum war mir das zuvor nie aufgefallen?

      »Wieso hat Niko mir gegenüber noch nichts darüber fallen lassen?«, machte ich meiner Enttäuschung Luft. »Jetzt mal ehrlich, er und ich sind Freunde seit Kindertagen. Wie kann er das vergessen haben?«

      Jule stoppte mich in meiner Aufregung. »Er weiß es noch gar nicht, du Drama Queen.«

      »Oh«, machte ich. »Und wann gedenkst du ihn aufzuklären?«

      »Nie, hab ich mir so gedacht.«

      »Du bist doch von allen guten Geistern verlassen, Jule.«

      Sie wurde kurz still, wirkte eher sogar leidend. »Ich denke über eine Abtreibung nach. Warum sollte ich da erst groß für Aufruhr sorgen?«

      Vor Entsetzen stand mir der Mund offen. Ich musste mich verhört haben. Ja, das war es! Meine Ohren ließen mich ganz einfach im Stich. Anders konnte ich mir diesen Unfug nicht erklären. »Jule«, sprach ich leise, sanft und so fürsorglich wie es mir nur möglich war mit Herzrasen, Bluthochdruck, zitternden Händen und einer Menge Wut im Bauch, »echt jetzt? Aus welchem Grund?«

      »Ich will vorerst meine Ausbildung erfolgreich zu Ende bringen, will was in der Tasche haben ...«

      »Ehrlich Jule, du regst mich gerade total auf. Ich meine, wie wär's denn mal mit Verhütung, wenn dir so gar nicht nach Kinderkriegen ist? Meine Güte, du arbeitest doch an der Quelle.«

      »Super Argument! Meinst du, ich habe das absichtlich herbeigeführt?« Sie zeigte mir einen Vogel. Dann fingerte sie eine nächste Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an. Während sie den ersten Zug ausblies, erklärte sie: »Die Pille verträgt sich eben nicht mit Alkohol. Ich war unvernünftig. Na und? Passiert!«

      Ich zischelte abschätzig. »Da trifft es sich ja gut, dass wir in einem hochmodernen Zeitalter leben und du mal eben zwischen Kaffee und Kuchen das Kind ausschaben lassen kannst wie lästigen Müll.«

      Plötzlich schlug sie mit der Faust auf den Tisch, sodass sich sämtliche Leute nach uns umsahen. »Jetzt ist mal gut, Cedric! Ich habe dir das nicht erzählt, um mich dann von dir fertigmachen zu lassen.«

      Ich atmete tief durch, um wieder zur Ruhe zu kommen. »Schon gut, schon gut.« Da mich das Atmen gerade kein Stück weiterbrachte, schnappte ich nach Jules Zigarettenpäckchen, das sie auf dem Tisch abgelegt hatte, und bediente mich ohne zu fragen daran.

      Der erste Zug tat verdammt gut. Zwar wurde mir kurz schwindelig, aber ich kannte das ja schon, da es nicht mein erster Versuch war, mit dem Rauchen aufzuhören. Der Schwindel würde nicht lange anhalten.

      »Na toll, und jetzt bin ich auch noch schuld daran, dass du wieder zum Raucher mutierst.« Sie seufzte schwer. »Ich hätte einfach meine Klappe halten sollen.«

      Ich lachte heiser: »Du weißt ganz genau, dass du das nie hinkriegst.«

      »Geheimnisse hab ich noch nie ausgeplaudert«, stellte sie klar.

      »Das stimmt.« Das musste ich ihr fairerweise zugestehen. »Aber warum hast du mir das mit deiner Schwangerschaft verraten, wenn du die Schwangerschaft sowieso abbrechen willst?«

      »Muss!«

      »Was, muss

      »Es war nie die Rede von wollen. Es geht nicht ums Wollen. Ich muss!«

      »Aber