Jonas Eideloth

Catharsis - Schatten und Wahn


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neue Scheibe seiner Lieblingsband war schon lange angekündigt gewesen, sehr lange.

      Doch er hatte geduldig gewartet, Crosscoix hatten ihn mit ihrer Musik noch nie enttäuscht.

      Vorsichtig setzte er die Nadel auf das satt leuchtende Schwarz der sich drehenden Platte und erste zarte Streicherklänge fluteten aus der Anlage, gefolgt von dezenten Bassschlägen, welche sein Inneres vibrieren ließen.

      Genussvoll schloss er die Augen.

      Feierabend.

      Er schlenderte zu seinem großen Sessel aus dunklem und durch die Jahre abgewetzten Leder. Von einem kleinen Beistelltisch nahm er die bereitstehende, teure Flasche Whiskey und schenkte sich etwas in eines seiner Kristallgläser ein.

      Leise knarzte der Sessel, als er sich müde niederließ. Es war ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

      Der Auftrag zur Eliminierung Blakes hatte ihn gegen Mitternacht erreicht und ihm eine durchwachte Nacht beschert. Der Mann hatte sich an ein Pharmaunternehmen verkaufen wollen, um der Menschheit Einblick in die Andersartigkeit und die Möglichkeiten der Parahumanoiden Gesellschaft zu geben, von der diese nichts ahnten. Doch seit dem letzten Krieg vor über achtzig Jahren, achteten die Wächter und Verschleierer des Ministeriums penibel darauf, die Gesellschaft der Parawesen in Mythen und Legenden verschwinden zu lassen.

      Wer sich an Uneingeweihte der Humanoiden wandte, wurde gnadenlos gejagt und vernichtet.

      Dass Blake gewarnt worden war und er sich samt Familie hatte absetzen wollen, rettete ihn nicht mehr.

      Nicht vor dem grauen Jäger.

      Seine Aufträge waren ihm heilig, genau wie seine Bezahlung und dem Ruf der absoluten Zuverlässigkeit, den er sich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte.

      Das morgendliche Licht brach sich in den Gravuren des mit Whiskey gefüllten Kristallglases und warf sternförmige Muster in den Raum.

      Rauchig, unterlegt mit einer torfigen Note, füllte der erste Schluck seine Kehle.

      Perfekt.

      Er zog sein Smartphone aus der Manteltasche und tippte auf eine Kurzwahltaste.

      „Amt für Außeneinsätze, Valen Gahl, was kann ich für Sie tun?“

      „Ich habe eine Eliminierung zu melden.“

      „Ihr Name und den Auftrag bitte.“

      „Remus Dracon, Auftrag 8493, Eliminierung Blake“, sagte Remus. „Blake samt näheren Angehörigen“, fügte er noch hinzu.

      „Bitte?“

      „Ehefrau Elisabeth Blake mit dem Nachwuchs Cathrin und James Blake. Überweisen sie bitte meinen Lohn auf das übliche Konto. Vielen Dank“, erklärte er dem Beamten und wollte schon auflegen, als ihm noch ein Detail einfiel. „Ach ja. Notieren Sie noch eine Beobachtung für das Ministerium.“

      „Ähm, einen Moment Herr Dracon“, kam es geschäftig vom anderen Ende der Leitung. „Für all das muss ich erst noch das passende Formular heraussuchen.“

      Remus nahm noch einen Schluck von seinem Whiskey und wartete.

      Im Hintergrund spielte die Band Crosscoix gerade zu einem fulminanten Finale auf, welches durch plötzlich einsetzende Fahrstuhlmusik aus dem Hörer zerstört wurde.

      Angewidert erstickte er das Handy mit einem Kissen.

      Als ob einfache Ruhe zum Warten zuviel verlangt wäre. Remus schloss tief ausatmend seine Augen, um sich ganz der Musik und dem Geschmack des Alkohols hinzugeben.

      Er konnte Beamte nicht ausstehen. Einfach alles an ihnen war so schwach, inkompetent und hilflos und es nervte ihn, dass er trotzdem regelmäßig mit ihnen zu tun haben musste. Zum Glück meist nur am Telefon.

      Wenn die oberen Stellen nicht so gut und zuverlässig zahlen würden, hätte er diesen Aufträgen schon längst den Rücken gekehrt.

      „…llooo?“, tönte es kaum hörbar unter dem Kissen hervor.

      Remus stürzte den letzten Schluck herunter und nahm sein Smartphone wieder auf.

      „Ja?“, fragte er mit vom Whiskey angerauter Stimme.

      „Ich hätte jetzt das passende Formular da und habe Ihre Angaben eingetragen. Sie wollten noch eine Beobachtung schildern?“

      „Nach der Eliminierung gab es ungewöhnliche Schattenbildungen um den Exekutionsort“, fasste Remus die Ereignisse kurz zusammen.

      Im Nachhinein schien es ihm nicht mehr sonderlich wichtig zu sein.

      „Ungewöhnlich?“, fragte der Beamte nach.

      Remus strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und schielte zu der Whiskeyflasche, in welcher die goldbraune Flüssigkeit verheißungsvoll glänzte.

      „Schatten verdunkelten sich und strömten zu den Opfern. Möglicherweise auch eine optische Täuschung“, fügte er gedankenverloren hinzu.

      Kurz blieb es am anderen Ende der Leitung still.

      „Hm, na gut. Ich reiche das dann mal so weiter, Herr Dracon. Wir erwarten Ihren ausführlichen Bericht im Laufe der nächsten Woche. Einen schönen Tag noch.“

      Das Freizeichen ertönte und fügte sich passend in die Hintergrundmusik ein.

      „Geschafft“, murmelte Remus und lehnte sich entspannt zurück.

      Moment. Er richtete sich noch einmal auf, griff zur Flasche und füllte sein Glas zur Hälfte auf. Danach nahm er zwei Eiswürfel aus dem kleinen Gefrierschrank unter dem Beistelltisch.

      Mit der anderen Hand regelte er die Musik lauter.

      Remus schloss seine Augen und ließ sich in das knarrende Leder sinken, als plötzlich die Türklingel losschrillte.

      ***

      „Idiot!“, dachte der Beamte des Amtes für Außeneinsätze und legte, ohne auf eine Verabschiedung des Gegenübers zu warten, auf.

      Er konnte Jäger nicht leiden. Sie waren allesamt arrogante, egozerfressene Idioten mit zu viel Spaß am Töten und absolut überbezahlt auch noch. Im Gegensatz zu ihm, der als guter Beamter dafür sorgte, dass das Zusammenleben mit den Menschen reibungslos verlief. Aber wer fragte schon danach?

      „Herr Gahl?“, tönte es aus dem Hintergrund. „Wir bräuchten Sie einen Moment.“

      Natürlich, dachte er sarkastisch, als ob es nicht noch genug zu tun gäbe.

      Sein alter Schreibtisch aus dunkler Eiche war zwar ordentlich aufgeräumt, doch am rechten Ende lag ein ganzer Stapel zu bearbeitender Formulare. Diesen wollte er noch bis Feierabend abgearbeitet haben.

      Ein großer Röhrenbildschirm zeigte die Meldung, dass die Eliminierungsbenachrichtigung, welche er gerade getippt hatte, erfolgreich abgeschickt worden war.

      „Bin gleich da“, rief er zurück.

      Valen Gahl erhob sich aus seinem durchgesessenen Bürostuhl und trank seine Tasse Pfefferminztee aus. Sein Blick ruhte dabei auf einem alten Sepiafoto.

      Darauf war eine Gruppe verkleideter Personen zu sehen, die auf einer breiten Treppe stand und winkte.

      Er lächelte leicht und freute sich bereits auf das nächste Treffen mit der Theatergruppe, der er seit ein paar Jahren angehörte. Sie hatte ihm damals sehr geholfen, über seine Trennung hinwegzukommen.

      Valen stellte die Tasse zurück und schritt durch einen Mittelgang auf den Bürobereich seiner Vorgesetzten zu.

      Staubiges Licht fiel durch die hohen Fenster des Ministeriums in den langen Raum, in dem Schreibtische ordentlich hintereinander aufgereiht standen. Alle waren bestückt mit alten Röhrenbildschirmen,