Jonas Eideloth

Catharsis - Schatten und Wahn


Скачать книгу

Ventilatoren abgesaugt wurde.

      In der Ferne konnte Valen vereinzelte Scheinwerferlichter von LKWs erkennen, welche auf schmalen Serpentinenstraßen in Richtung Oberfläche krochen. Der Handel mit einzigartigen Produkten bescherte der Unteren Stadt einen bescheidenen Wohlstand.

      Er mochte den Blick über den Hauptplatz, der verschiedenste Baustile erkennen ließ. Barocke Prachtbauten standen neben zarten Jugendstilgebäuden und Industriestil vermischte sich mit praktischen Baulösungen.

      Kabel und Antennen wucherten überall hervor und suchten sich ihren Weg nach oben, wo ein Zeppelin gerade durch die Luft glitt, bevor er im Rauch von hunderten Schornsteinen verschwand.

      Valen schritt die Treppe hinab.

      Am unteren Ende stand ein Mann, dessen breiter Hals in einen silbrig geschuppten Fischkopf überging. Mit geschlossenen Augen spielte er auf einer Geige eine fröhliche Melodie.

      Valen warf ihm eine kleine Münze in den bereitstehenden Hut. Auch kleine Kultur sollte man unterstützen. Er dachte an seine Theatergruppe und seufzte tief.

      Auf dem Platz angekommen, winkte er ein Taxi heran. Ein geschmackvoller Wagen, ähnlich der Marke ´Phantom´ aus den zwanziger Jahren hielt vor ihm.

      Valen öffnete die hintere Tür und ließ sich in das kühle Leder der Sitzbank sinken.

      „Fahrstuhl Obere Stadt Ost, bitte“, sagte er zu dem Fahrer, der den Wagen mithilfe mehrerer Tentakeln bediente.

      Der sich ihm zuwendende Kopf wies große Ähnlichkeiten mit einem Kraken auf.

      „Kein Problem, Sir“, sprach er mit leicht glucksender Stimme.

      Seit sich in den Seereichen politische Spannungen entwickelt hatten, kamen immer mehr Wasserwesen in die Stadt. Zumindest jene, die auch ohne Wasser zurecht kamen.

      Der Wagen fuhr zügig an, holperte über das Kopfsteinpflaster und bog in eine dunkle Gasse ein.

      „Was haben Sie denn vor in der Oberen Stadt?“, fragte der Fahrer während er den Taxameter einstellte. „Ich selbst bin ja schon lange nicht mehr dort gewesen. Die Leute dort oben gefallen mir nicht sonderlich.“

      „Ich muss beruflich nach oben“, antwortete Valen, während der Wagen mehrmals scharf abbog und einen der unzähligen Wasserläufe mithilfe einer kleinen Brücke überquerte.

      Das Wasser glänzte kurz golden auf und Valen erkannte ein einzeln vertäutes Boot, dann tauchten sie schon wieder in die nächste Straßenschlucht ein, in der unzählige Wäscheleinen kreuz und quer über ihnen gespannt worden waren. Eine Gruppe Zylinder tragender Ghule stand am Wegesrand und war in eine Diskussion vertieft.

      „Ah, beruflich. Ich war vor längerer Zeit einmal mit einem Kunden oben. Keine Ahnung warum der wollte, dass ich ihn bis ganz hoch fahre und dann auch noch dort durch die Stadt kutschiere. Bei meinem Äußeren kein leichtes Unterfangen, das sage ich Ihnen“, lachte der Fahrer.

      „Mhm“, meinte Valen und dachte kurz darüber nach, den Fahrer auf mehrere Paragraphen aufmerksam zu machen, die eine solche Fahrt eindeutig als Straftat festlegten, ließ es aber bleiben.

      „Es war auch ein recht seltsamer Kunde. Er besuchte unglaublich viele Menschengeschäfte, auf der Suche nach einem Ring für seine Angebetete. Als ob wir hier unten nicht die weit besseren Handwerker hätten“, setzte der Taxifahrer seinen Monolog fort.

      Sie fuhren an Arkadengängen entlang, wo Geschäfte alles zum täglichen Leben und weit mehr anboten. Valens Blick wurde dabei von einem kleinen Teegeschäft angezogen, das er öfters besuchte.

      Gedankenverloren beobachtete er die verschiedensten am Fahrzeugfenster vorbeieilenden Kreaturen.

      Schließlich ließen sie das Viertel hinter sich und fuhren an einem der Industriegebiete vorbei. Hohe Schornsteine reckten sich in Richtung der dunklen Höhlendecke und lange, backsteinerne Gebäude säumten den Weg.

      Das Taxi fuhr inzwischen über rissigen, von Schlaglöchern gezierten Asphalt, so dass Valen immer wieder unsanft durchgeschüttelt wurde, als der Fahrer auf der langen Geraden beschleunigte.

      Mitten im Industriegebiet erhob sich eine der großen Felssäulen, die vom Grund der Höhle bis zur weit entfernten Decke reichten und diese stützten. Helle Strahler waren an ihr angebracht und warfen ein allgemeines Licht auf die Industrieanlagen.

      „Und was machen Sie so beruflich, wenn ich fragen darf?“, erkundigte sich der Taxifahrer und warf Valen einen kurzen Blick durch den Rückspiegel zu.

      „Schreibtischjob“, antwortete er.

      „Nicht so unternehmungslustig, oder? Sie sehen mir auch eher etwas ruhiger aus. Nichts für ungut, ich finde das sehr vernünftig“, meinte der Fahrer mit seiner glucksenden Stimme.

      „Ich bin froh, wenn ich in Ruhe meine Sachen erledigen kann“, sagte Valen, leicht genervt von dem unablässigen Geplapper. Er blickte auf die Uhr neben dem leuchtenden Taxameter und hoffte, diese ganze Sache bald hinter sich gebracht zu haben. Zumindest hätte er dann den späten Abend und den morgigen Sonntag über seine Ruhe.

      Ruhe genug, um ein neues Buch seines Lieblingskrimiautors zu lesen, das geduldig in seiner Aktentasche wartete.

      Die letzten Gebäude des Industriegebietes verschwanden hinter ihnen und eine lange gerade Straße zog sich in die Dunkelheit. Gelegentlich tauchten rechts und links einzelne Laternen auf, die zerbrechlich wirkende Lichtinseln gegen die Schwärze der Höhle verteidigten.

      Der Taxifahrer beschleunigte weiter.

      „Soo, bald hätten wir es geschafft. Fahrstuhl Obere Stadt Ost.“

      Vor ihnen schälte sich wieder eine der großen Säulen aus der Dunkelheit. Nachdem sie näher gekommen waren, konnte Valen am Fuße ein Gebäude ausmachen, woraus sich gläserne Röhren bis hinauf zur Decke zogen. In ihnen bewegten sich Plattformen rasch nach oben und unten.

      Schließlich fuhr das Taxi auf einen größeren Vorplatz der Fahrstuhlstation und hielt in einer der letzten freien Parkbuchten.

      „Das macht dann achtzehn, fünfzig und viel Erfolg bei Ihren Geschäften“, sagte der Taxifahrer und hielt ihm einen schmierigen Tentakel entgegen.

      Valen reichte ihm einen Zwanziger und stieg aus.

      „Passt so und einen schönen Tag noch“, verabschiedete er sich und war froh, das Taxi hinter sich gelassen zu haben.

      Zügig schritt er auf das an der Front komplett verglaste Gebäude zu. Organische, fein ausgearbeitete Ranken aus bronziertem Stahl fassten das Glas ein.

      Valen sah sein Spiegelbild in der Vordertüre und richtete reflexartig mit einem kurzen Griff den Kragen seines Anzuges unter dem karierten Trenchcoat. Danach erst öffnete er die Türe und betrat die Station.

      Auf nach oben.

      Immerhin konnte er nach dem Gespräch mit dem Jäger das Wochenende unter normalen Menschen verbringen, was ihm meist sogar lieber war, als unter den anderen Parakreaturen zu verweilen.

      Wobei der Gedanke daran, gleich ins Schattenviertel zu gelangen, seine Laune doch wieder stark verdarb.

      3. Kapitel

      Remus Dracon schritt durch das Schattenviertel.

      Dass ein solcher Ort, voller fabelhafter und mythologischer Wesen, der niemals entdeckt werden durfte, mitten in einer Menschenstadt lag, war natürlich ein Risiko. Doch mehrere Maßnahmen sicherten den Ort gegen das ungewollte Entdecken ab.

      Wachtruppen im Außenbereich und die Lage im übelsten Teil der Menschenmetropole waren natürlich von Vorteil, doch selbst wenn ein Mensch das Viertel betreten und seine absonderlichen Bewohner gesehen hätte, wäre er danach direkt in eine psychiatrische Anstalt überwiesen worden. Das waren jedoch nur einige wenige Gründe, weshalb das Viertel seit Jahrzehnten unentdeckt geblieben war.