N.F. Holstein

SCHMITT happens – im Radio


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genau so wie es war. Auch wenn man als Single in seinem Alter eher mitleidige als anerkennende Blicke zugeworfen bekam. Auch als Mann galt es nicht mehr als schick, sondern eher als krankhaft, wenn man sich nicht langfristig binden wollte. Eine Ehefrau, ein Haus am Stadtrand und zwei Kinder – das wurde von der Gesellschaft erwartet. Nicht etwa ein fröhlicher, gut aussehender Junggeselle, der sein Leben einfach nur genießen wollte.

      Jörn war ein Profi auf dem Gebiet der Verführung. Er hatte sich in den vergangenen Jahren immer weiter professionalisiert und wusste, wie man die Ladys umgarnen musste. Für jeden Typ Frau hatte er eine passende und erfolgversprechende Taktik entwickelt. Er kannte die Einsamen, denen man Zuversicht und breite Schultern bieten musste. Ihm waren die Intellektuellen begegnet, denen man mit wortgewaltigen Vorträgen über Romane aus den Bestellerlisten Interesse vorgaukeln konnte und ihm waren auch die Schönen, Selbstbewussten ins Netz gegangen, in dem er sie zunächst mit gespielter Verlegenheit lockte und dann mit geschmackvollen Geschenken beeindruckte. Er hatte gelernt, dass alle Frauen unterschiedlich waren und man dementsprechend auch unterschiedliche Wege einschlagen musste, um sie für sich zu gewinnen. Manchmal war es sogar nötig, von einem eingeschlagenen Eroberungsweg mitten auf der Strecke noch einmal links oder rechts abzubiegen, aber bisher hatte ihn letztendlich jeder Weg ans Ziel geführt. Über kurz oder lang. In sein Bett oder in das der jeweiligen Frau. Manchmal auch in ein Hotelbett oder auf die Rückbank eines Autos. Und wenn er die Eroberung dann feiern konnte, war sein Interesse an der jeweiligen Frau auch schon beinahe wieder erloschen. Jörn war ein Jäger, ein Fallensteller, ein Charmeur und ein Schmeichler. Ganz nach Bedarf. Aber er war kein Mann für Pärchenurlaube, Bausparvertrag, Eierkocher und Nachwuchs. Seine Familie war seine Oma.

      Es war ihm nie schwer gefallen, Freundinnen zu finden. In der Schule war er der Einzige, der dank seiner Körperpflege ohne Pickel war, das allein war schon ein Bonus bei den Mitschülerinnen. Während der Studienzeit war er durch seinen exklusiven Geschmack aufgefallen und sobald die Mädchen herausgefunden hatten, dass er sich nicht für Männer interessierte, (was einige wegen seiner Kleidung und seines überaus gepflegten Eindrucks vermutet hatten), standen ihm Türen zu unzähligen Schlafzimmern offen. Andere Mädchen hatte er auf Partys, in Discotheken oder Straßencafés kennengelernt. Eine sogar im Wartezimmer seines Zahnarztes. Seine Oma hatte ihn mehrfach ins Gebet genommen, als sie aber feststellte, dass er sehr liebevoll mit den Besucherinnen umging und ihm sehr daran gelegen war, niemanden zu verletzen, hatte sie ihn machen lassen. Einige der damaligen Gefährtinnen hatten noch heute Kontakt zu seiner Großmutter, schrieben Briefe und schickten Fotos ihrer Ehemänner und Kinder.

      In den vergangenen Jahren waren Jörn die jungen, hübschen Praktikantinnen im Sender nur so vor die Nase geweht worden. Als DER Moderator des angesagten Programms Radio Null hatten ihn die Mädchen umschwärmt.

      Der Sender gehörte nicht zu den Marktführern, hatte sich aber insgeheim einen Status als besonderer Sender erarbeitet und es galt als cool, hier zu arbeiten. Noch cooler war es natürlich, die wichtigste Sendung in diesem Programm zu moderieren.

      Jörn legte auf Äußerlichkeiten bei seinen „Kandidatinnen“ zwar wert, hatte sich aber nicht auf einen bestimmten Frauentyp festgelegt. Braune kurze, blonde lange Haare, glatt oder gelockt, schlank oder etwas weniger dünn, mittelgroß oder sehr viel kleiner als er – ganz egal. Jörn wollte gepflegte Frauen, die sich rasierten und gut rochen. Mädchen, die von innen strahlten, weil sie mit sich und der Welt im Reinen waren. Er stand nicht auf Weiber, denen man unter den Achseln Zöpfe flechten konnte. Es ekelte ihn bei dem Gedanken, dass sich die Frauen nur einmal in der Woche die Haare wuschen oder unförmige Baumwollschlüpfer trugen, weil sie so bequem und hautfreundlich waren. Jörn wollte echte Klassefrauen, die sich Mühe gaben für ihn, die sich schminkten ohne angetuscht auszusehen, die gerne Geld ausgaben für schöne und verführerische Wäsche, die wussten, wie man einen Burberrys-Minirock am besten kombinierte und die auf hohen Pumps mit Pfennigabsätzen nicht ins Stolpern gerieten. Er fühlte sich wohl bei Frauen, die sportlich waren ohne abgemagert zu wirken und bei denen, die genießen konnten, ganz egal ob es dabei um Wein, Essen oder Sex ging. Und er wünschte sich Begleiterinnen, die sich als genau das verstanden: Begleiterinnen. Daher machte er immer schon beim Kennenlernen klar, dass die gemeinsame Zeit begrenzt sein würde. Bei denen, die den Eindruck machten, nicht damit klar zu kommen, womöglich ganz und gar ihr Herz an ihn verloren hatten, verabschiedete er sich sehr höflich nach dem ersten Date, schrieb manchmal noch einen zärtlichen Abschiedsbrief und ging dann wieder seiner Wege.

      Das Motto seines Freundes Bernd „kein Sex innerhalb einer Kostenstelle“ hatte er noch nicht so sehr verinnerlicht, dass er auf Beziehungen mit Kolleginnen tatsächlich ganz und gar verzichten wollte, es war so herrlich bequem. Er musste aber zugeben, dass die Bequemlichkeit zulasten der Unbeschwertheit ging. Diese Erkenntnis hatte ihm eine Redakteurin eingebracht, die nicht mehr mit ihm redete, seit sie ihn auf der Sendertoilette knutschend mit einer Praktikantin erwischt hatte – kurz nachdem er ihr Bett am Morgen verlassen hatte. Dämlich auch, auf der Damentoilette eine Nummer schieben zu wollen, während die aktuelle Freundin gerade Dienst hat. Dämlich auch, nicht zu bemerken, wie wichtig er der Frau geworden war. Keine Rede mehr von „wir haben eine offene Beziehung, die uns beiden Spaß macht“. Jörn hätte sich heute noch dafür in den Hintern beißen können. Beide Damen waren inzwischen, zu seiner Erleichterung, zu anderen Sendern gewechselt.

      Leider war diese Kollegin aber nicht die Einzige, die ihn wegen seines Benehmens hasste, daher war er im direkten Umfeld mit dem Anbaggern in letzter Zeit etwas zurückhaltender geworden. Deshalb auch der aktuelle Zustand ohne Freundin. Wann war er schon mal unter anderen Menschen, als unter Kollegen? Das sehr frühe Aufstehen bedeutete auch frühes Schlafengehen, wenn man konzentriert eine Sendung moderieren wollte. Tatsächlich nahm Jörn seine Arbeit sehr ernst (auch wenn er finanziell nicht darauf angewiesen war) und versuchte, die 6-Stunden-Minimum-Grenze für Schlaf nicht zu unterbieten. Das war auch schlecht für seinen Teint, hatte er festgestellt, und machte so hässliche Falten unter den Augen.

      Er schloss seine Haustür ab, fuhr von seinem Penthouse des Neubaus in Charlottenburg mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage und stieg in seinen alten Porsche 911. Ja, natürlich passte auch dieses Auto ganz herrlich ins Klischee des einsamen, reichen und Frauen verachtenden Berliners. Wenn man sich aber ein klein wenig Mühe gab, dann konnte man unter der schillernden Oberfläche auch den Jörn Schmitt sehen, der ein Faible für besondere Autotechnik hatte und die Geschichte des Porsche von der ersten Modellzeichnung bis heute nacherzählen konnte. Der selbstverständlich in der Lage war, kleine Reparaturen selbst vorzunehmen und den Lack niemals von anderen polieren ließ. Wer sich die Zeit nehmen würde für ein längeres Gespräch, der würde erfahren, dass seine Großmutter die einzig wahre Liebe in seinem Leben war, und dass sein im Grunde goldenes Herz nur für sie schlug.

      Manchmal dachte er darüber nach, ob Bernd Recht hatte mit der Behauptung, Jörn würde etwas zu dick auftragen mit seinen ganzen Statussymbolen: fette Karre, fette Bude, fette Klamotten. Aber hey, er war der erfolgreichste Radiomoderator der Stadt, wieso sollte er das nicht auch leben? Er hatte sich die Wohnung und das Auto schließlich nicht gekauft, um andere zu beeindrucken, sondern um sich selbst das Leben ein wenig schöner zu machen. Ganz ehrlich – die Meinung anderer Leute hatte ihn noch nie besonders interessiert.

      Schon vor seinem Erfolg bei Radio Null hatte er sich keine großen Gedanken über Geld machen müssen, weil er geerbt hatte. Eine traurige Geschichte: Als er fünf Jahre alt war, starben seine Eltern bei einem Unfall. Er erbte Geld aus Aktienpaketen seines Vaters und aus mehreren Lebensversicherungen. Nach der Wende hatte sein Vater, der Zeit seines Lebens vor allem gespart hatte, im ehemaligen Ost-Berlin mehrere große Häuser gekauft, saniert und vermietet. Das allein brachte Monat für Monat so viel Geld ein, dass notwendige Sanierungen und Reparaturen heute kaum ins Gewicht fielen. Seine Oma hatte das Vermögen zunächst verwaltet, später hatte die Miete der Wohnungen seine zahlreichen Studienversuche und schließlich das Penthouse und den Sportwagen finanziert. Seine Großmutter hatte dafür gesorgt, dass das Geld so gut angelegt wurde, dass er eigentlich nie wieder arbeiten musste. Nicht arbeiten bekam ihm aber nicht, das hatte er bereits getestet. Seine Laune wandelte sich ohne Aufgabe innerhalb weniger Tage ins Übelste und er hatte in solchen Zeiten nicht einmal Freude an seinen schönen Anzügen und Schuhen gehabt.

      Das wusste natürlich niemand im Sender. Jörn