Hannes Kratzer

Psychologie für Sportschützen


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Ausprägung (bezogen auf die Schützenpopulation). Apparative Voraussetzungen, die die Erfassung des Druckverlaufs gestatten, sind sowohl zur Überprüfung als auch zum Training dieser Wahrnehmungskomponente geeignet. Eine grobe Überprüfung ist auch mit Hilfe der sogenannten Gewichtsprobe möglich, wo verschiedene, geringfügig voneinander abweichende, Gewichte zwischen Abzugsfinger und Daumen geprüft und entsprechend geordnet werden müssen.

      Die taktil-kinästhetische Sensibilität ist aber nicht nur für das Abzugsverhalten, sondern auch für die Einnahme eines anforderungsgerechten Anschlags, für Korrekturbewegungen mit der Waffe, für die Kontrolle der Stabilität des Systems Schütze/Waffe von entscheidender Bedeutung. Auch wenn der experimentelle Nachweis dafür noch aussteht, belegen Aussagen von Spitzenschützen, die über differenzierte Kenntnisse und Abbilder bezüglich notwendiger optischer und taktil-kinästhetischer Rückmeldungen verfügen, die Bedeutung der Wahrnehmungsfähigkeit für eine optimale Handlungsregulation.

      Schützen, die über eine ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit verfügen, können ihren eigenen Zustand sowie auch die äußeren Bedingungen differenzierter und exakter einschätzen und verfügen somit über eine wesentlich bessere Informationsbasis (Orientierungsgrundlage) für die Regulation der sportlichen Tätigkeit.

      Schnell, richtig und exakt reagieren - das ist eine wichtige Anforderung an den Sportschützen. In der älteren Fachliteratur findet man zuweilen die Auffassung, dass schnelles Reagieren vorwiegend in den jagdlichen Disziplinen und im Schnellfeuerschießen erforderlich ist, in anderen Disziplinen (Gewehr, Freie Pistole) dagegen wesentlich geringere Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit gestellt werden. Derartige Vorstellungen sind inzwischen gründlich widerlegt. Die Reaktionsfähigkeit ist in allen Disziplinen des Schießsports leistungsbestimmend. Wir verstehen darunter eine komplexe psychomotorische Leistungsvoraussetzung, die es dem Schützen ermöglicht, auf bestimmte Reize schnell und richtig zu reagieren. Zur Messung der Reaktionen eines Sportlers wird die sogenannte Reaktionszeit erfasst. Das ist die Zeit zwischen dem Beginn des Reizsignals („Zielbild stimmt“) und einer dadurch ausgelösten Reaktion („Schuss auslösen“). Im Sportschießen unterscheidet man im Allgemeinen folgende Reaktionsarten:

       ❶ Einfache Reaktion

      Der Schütze hat die Aufgabe, auf ein bekanntes, plötzlich auftretendes Signal mit einer vorher eindeutig festgelegten Bewegung zu antworten. Einfache Reaktionen finden wir zum Beispiel im Schnellfeuerschießen, wo auf die Scheibendrehung oder das Lichtsignal mit dem Hochführen der Waffe reagiert wird, oder im Skeetschießen, wo auf das Erscheinen der Wurfscheibe zu reagieren ist.

       ❷ Antizipierte Reaktion

      Hierbei handelt es sich um die Reaktion auf ein bewegliches Objekt (jagdliche Disziplinen) oder auch auf das sich „bewegende“ Zielbild. Aufgrund der in den Gewehr- und Pistolendisziplinen auftretenden Waffenschwankungen kommt es zu ständigen Veränderungen des Zielbildes, die keinen zufälligen Charakter tragen, sondern in entscheidenden Phasen vorhergesehen (antizipiert) werden können. Die antizipierte Reaktion erfolgt schneller als die einfache, da der Schütze das reaktionsauslösende Signal (Zielbild) in seiner Entwicklung „voraussieht“. Er wird durch das Signal nicht überrascht.

       ❸ Wahlreaktion

      Hier werden verschiedene, vorher bekannte Signale in zufälliger Abfolge dargeboten, die mit einer bestimmten und gleichfalls bekannten Bewegung beantwortet werden müssen. Ein typisches Beispiel für eine Wahlreaktion findet man im Trapschießen. Der Schütze muss auf eine der möglichen (und bekannten) Flugrichtungen der Scheibe (rechts - mitte - links) schnell, richtig und exakt reagieren.

      Es ist durchaus möglich, dass in einer Disziplin mehrere Reaktionsarten vorkommen. Im Schnellfeuerschießen finden wir sowohl die einfache Reaktion auf das Erscheinen der Scheibe oder das Lichtsignal (grün) als auch die antizipierte Reaktion auf das Zielbild. Im Trapschießen ist neben der Wahlreaktion auf das Erscheinen der Wurfscheibe ebenfalls eine antizipierte Reaktion (Zielbild) erforderlich.

      Um nachzuweisen, dass es sich bei der Reaktionsfähigkeit um eine leistungsbestimmende Komponente handelt, haben wir mit Hilfe entsprechender apparativer Verfahren bzw. computergestützt die Reaktionsfähigkeit bei Schützen unterschiedlicher Leistungsstärke (aber gleichen Trainingsalters) untersucht. Dabei ließ sich ein Zusammenhang zwischen der einfachen bzw. antizipierten und der sportlichen Leistungsfähigkeit belegen. Leistungsstarke Schützen reagieren im Mittel schneller. Unter ihnen findet sich keiner mit unterdurchschnittlichen Werten. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, denn der Spitzenschütze zeichnet sich dadurch aus, dass er keine ausgeprägte Schwäche hat, nicht dadurch, dass er bei jedem Test vordere Rangplätze erreicht. Dies führt mitunter bei Trainern zu Missverständnissen, wenn der „Wert“ einer Methode danach bemessen wird, inwieweit sich die leistungsstarken Schützen auch im jeweiligen Test von den anderen abheben.

      Im Vergleich zu anderen Sportarten ist das Schießen durch einen stabilen, sich häufig wiederholenden Bewegungsablauf gekennzeichnet. Ungeachtet der Notwendigkeit, sich wechselnden inneren und äußeren Bedingungen anzupassen, kommt es darauf an, die wesentlichsten Technikelemente in einer vorgegebenen Abfolge mit höchster Präzision in räumlicher (Resultatfeinheit), kraftmäßiger (Dosierung) und zeitlicher (Tempo) Hinsicht zu realisieren.

      Unabhängig von der jeweiligen Disziplin lässt sich die sportliche Tätigkeit im Schießen folgendermaßen untergliedern:

      ❶ Einnehmen der Anschlaghaltung

      ❷ Visieren, Zielen, Erfassen des (beweglichen) Ziels

      ❸ Auslösen des Schusses mit Hilfe des Abzugs

      Die hier verallgemeinert aufgeführten Teiltätigkeiten beinhalten eine Vielzahl sensomotorischer und geistiger Operationen, die die Kompliziertheit der jeweiligen sportlichen Tätigkeit ausmachen. Dazu kommen in den jagdlichen Disziplinen und im Schnellfeuerschießen koordinierte Bewegungen größeren Ausmaßes mit der Waffe, die erst das Erfassen des beweglichen Ziels (bzw. mehrerer Ziele in Folge) ermöglichen. Die disziplinspezifischen Bewegungen erfordern eine hinsichtlich Ausmaß, Dosierung, Geschwindigkeit und Dynamik exakt abgestimmte Feinmotorik. Dies wiederum setzt eine gut entwickelte sensomotorische Koordinationsfähigkeit voraus. Darunter verstehen wir das geordnete Zusammenwirken sensorischer und motorischer Vorgänge bei der Ausführung der sportlichen Handlung.

      Bei der sensomotorischen Regulation unterscheiden wir einen inneren und einen äußeren Regelkreis. Eine Regulation über den äußeren Regelkreis ist immer dann gegeben, wenn diese visuell vermittelt ist, das heißt, wenn optische Informationen für eine anforderungsgerechte Handlungsausführung unerlässlich sind. Der innere Regelkreis umfasst neben den taktil-kinästhetischen (Bewegungs-, Druck-, Kraft-, Lageempfindungen) auch Informationen aus dem vegetativen Bereich. Die im Sportschießen vorherrschenden geführten und gezielten Bewegungen werden vorwiegend über den äußeren Regelkreis gesteuert. In der Fachliteratur finden wir deshalb auch häufig Begriffe wie „opto-motorische“ oder „visuell-motorische“ Leistungsvoraussetzungen, die die besondere Rolle des optischen Analysators bei der Regulation von Bewegungen unterstreichen.

      In einer eher bewegungsarmen Sportart stellt sich natürlich die Frage, ob überhaupt und wenn ja wie die sensomotorischen Leistungsvoraussetzungen hinreichend sicher eingeschätzt werden können.

      „Wer gut Fußball spielt, verfügt auch über eine gut ausgeprägte sensomotorische Koordinationsfähigkeit“.

      Hinter dieser Aussage eines Trainers verbirgt sich die Hoffnung, dass gute Leistungen in koordinativ anspruchsvollen Sportarten (zum Beispiel Spielsportarten, Turnen, Tischtennis usw.) auf einen entsprechenden Ausprägungsgrad der Koordinationsfähigkeit hindeuten. Dem ist zunächst nicht zu widersprechen. Aber lassen sich dort vorfindbare koordinative Fertigkeiten auf die Regulation der Handlung im Sportschießen übertragen?