Matthias Eckert

Das sagt aber


Скачать книгу

Auf jeden Fall verspreche ich mit dem Buch keine Lügen in die Welt zu setzen. Habe ich gar nicht nötig. Das haben schließlich schon andere für mich übernommen.

      Jetzt mache ich aber erst einmal weiter wobei ich mich selbst unterbrochen habe. Nämlich vom Thema abzuschweifen und vom Wetter zu erzählen. Der 29. Mai 2009 war überhaupt nicht zu kalt. Er war auch nicht neblig, verregnet oder trüb. Zumindest nicht in Stuttgart, wo ich an jenem 29. Mai Spätschicht beim örtlichen Bundespolizeirevier (BPOLR S) hatte. Das BPOLR S lag im damals noch existierenden, dafür weitgehend unbekannten, Nordflügel des Hauptbahnhofs Stuttgart. Aus welchem dank des Bahnprojekts Stuttgart 21 im Folgejahr der nicht mehr existierende, dafür kurzzeitig bekanntere, ehemalige Nordflügel des Hauptbahnhofs wurde. Die Spätschicht ging regulär von 13:00 bis 21:00 Uhr und verlief anfangs völlig normal. Wobei unter anfangs die ersten zehn Minuten zu verstehen sind. In diesen erfolgte die übliche Einweisung zu Schichtbeginn, es wurden Streifen eingeteilt und gegebenenfalls von der Inspektions-, Direktions- oder sonst einer Leitung vorgegebene, wohlüberlegte und der inneren Sicherheit dienende, Schwerpunkte der bundespolizeilichen Aufgabenwahrnehmung verkündet. Was, als Gruppenleiter, meine Aufgabe war. Ob es tatsächlich solche Vorgaben anzusprechen gab weiß ich nicht mehr und ist für das weitere Geschehen belanglos.

      Unmittelbar nach der Diensteinweisung beorderte mich der anwesende Dienstgruppenleiter, Polizeihauptkommissar (PHK) Kauf, in sein Büro. Dort teilte er mit, dass ich um 14:00 Uhr einen Gesprächstermin beim Inspektionsleiter habe. Hintergrund sei meine Versetzung in den Ermittlungsdienst. Das würde er mir freundlicherweise jetzt schon mitteilen, damit ich mich auf das Gespräch vorbereiten könne. Welche Versetzung in den Ermittlungsdienst? Weder hatte ich um eine solche gebeten, noch war mir je mitgeteilt worden sie würde in Erwägung gezogen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich bei PHK Kauf damals gar nicht für die zeitige Ankündigung bedankt habe. Schließlich hätte er mich betäuben und unmittelbar zum Gespräch wieder aufwecken können. Aber so etwas hatte jemand wie er nicht nötig. Zudem entspräche es in keinster Weise dem, im Leitbild der Bundespolizei festgeschriebenen, offenem und fairem Umgang miteinander.

      Das Gespräch selbst fand in der Bundespolizeiinspektion Stuttgart (BPOLI S), der übergeordnete Dienststelle des BPOLR S, die örtlich getrennt auf dem Gelände eines ehemaligen amerikanischen Militärkrankenhauses in Stuttgart Bad-Cannstatt residierte, statt. Außer dem Inspektionsleiter, Polizeioberrat (POR) Fahle, dem bereits erwähnten PHK Kauf und mir war noch ein Vertreter des Personalrats, Polizeikommissar (PK) Stumm, anwesend.

      PK Stumm kannte ich flüchtig von meiner Zeit bei der Bundespolizeiinspektion Ulm, meiner ersten Dienststelle nach Ausbildungsende 2006. Nachdem, aufgrund der Umstrukturierung der Bundespolizei, die Inspektion Ulm zum Revier der Inspektion Stuttgart herabgestuft wurde wechselte ich im April 2008 zum BPOLR S.

      Hauptgrund waren die Aussagen von Kollegen bezüglich ihrer weiteren beruflichen Pläne. Sowie meine Naivität zu glauben, die Kollegen würden meinen was sie sagen. Die Herabstufung von der Inspektion zum Revier war in Ulm mit einem deutlichem Personalabbau im gehobenen Dienst, dem ich als PK angehörte, verbunden. Was fast alle nun von einem Wechsel des Dienstorts bedrohten Beamten zu der Aussage verleitete, dies keinesfalls in Kauf nehmen und lieber auf mögliche Beförderungen als auf Zeit mit der Familie verzichten oder umziehen zu wollen. Da ich mich weder nach sozialen Kriterien noch nach Eignung, Leistung und Befähigung, welche bei der Bundespolizei meist am Dienstgrad gemessen wurde, bei der Bewerbung um eine Stelle gegen irgendeinen von ihnen durchgesetzt hätte, erklärte ich mich bereit freiwillig nach Stuttgart zu gehen. Aus heutiger Sicht ein selten dämlicher Einfall. Zudem völlig überflüssig, eine ganze Reihe besagter Kollegen zogen letztlich eine Beförderungen in der Ferne der Nähe zu Frau und Kindern vor. Was sie vermutlich nicht für sich, sondern für Frau und Kinder taten.

      PK Stumm nahm an dem Gespräch teil um meine Interessen zu vertreten. Behauptete zumindest POR Fahle. Um gleich darauf klar zu machen, er würde auch gegen meinen Willen auf dessen Anwesenheit bestehen. Schön wenn sich der Vorgesetzte so um einen sorgt.

      Kurz darauf teilte er mit, er werde beantragen mich zum Ablauf meiner Probezeit am 14. Juni 2009 zu entlassen oder zumindest eine Verlängerung meiner Probezeit erwirken. PHK Kauf habe ihn nämlich vor einigen Tagen auf eine Reihe von Problemen mit mir aufmerksam gemacht. Eine Nachfrage bei EPHK Heil, dem ehemaligen stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion Ulm, habe ihn dann zur Erkenntnis gebracht, ich sei dumm und faul und deshalb in der Bundespolizei fehl am Platz. Eine Argumentation die mich bis heute verwundert. Zwar will ich nicht abstreiten dumm und faul zu sein. Warum ich, oder irgendjemand sonst, deshalb für die Bundespolizei ungeeignet sein soll erschließt sich mir aber immer noch nicht. Was allerdings auch an meiner Dummheit liegen kann.

      Als hochrangiger und verdienter Bundespolizist konnte POR Fahle seine Einschätzung natürlich begründen. Und zwar mit mehreren Vorfällen, bei denen ich jeweils etwas gemacht oder gesagt hätte das meinen Mangel an Intelligenz, Fleiß und Empathie beweisen würde. Wenn Sie jetzt auf eine ausführliche Schilderung meiner Schandtaten hoffen muss ich sie enttäuschen. Schon weil ich mich nur ungefähr an sie erinnern kann. Statt dessen werde ich im Verlauf des Buches einzelne Anschuldigungen, die sich aus irgendeinem Grund von den übrigen abheben, ansprechen. Außerdem waren die an jenem 29. Mai gemachten Vorwürfe nicht so wichtig. Im folgenden Streit zwischen mir und dem Dienstherrn ging es fast nur um zwei Vorfälle. Von denen einer, der vermeintlich schwerwiegendere, damals nicht erwähnt wurde.

      Die andere wurde von POR Fahle als „negatives Ereignis mit einer gewichtigen Person“ bezeichnet. Dass ich in Anbetracht dieser präzisen Schilderung zuerst keine Ahnung hatte wovon er sprach und es auch mitteilte, bestätigte meinen Mangel an Intelligenz. Glücklicherweise lies er sich dazu herab den Sachverhalt zu präzisieren. Demnach hatte ich eine vor der BPOLI Ulm befindliche Frau, aufgrund ihrer Körperfülle, gegenüber ihrer Mutter übel beleidigt. Woraufhin die Mutter die Fassung verlor und meine Kollegen sie nur mit großer Mühe von einer Beschwerde oder gar Anzeige gegen mich abbringen konnten. Damit werden Sie sich bis auf weiteres begnügen müssen. Mir selbst wurde der Vorwurf ebenfalls nicht weiter erläutert.

      Was insofern nicht nötig war, als dass ich zu wissen glaubte auf was er sich bezog. Ich räumte daher ein eine etwas ungeschickte Äußerung getätigt, bestritt jedoch die Tochter beleidigt zu haben. Auch habe sich die Mutter damals keineswegs an meiner Aussage gestört, verlor schon gar nicht die Fassung und hatte nie die Absicht sich zu beschweren. Solch ein plumper Versuch mich aus der Verantwortung zu stehlen konnte POR Fahle natürlich nicht beeindrucken. Schließlich stand meine Wahrnehmung damit im Gegensatz zu der mehrerer Kollegen. Womit die Beweisaufnahme beendet war. Wer die Kollegen waren oder mit welchem Wortlaut ich die Frau beleidigt hätte erfuhr ich nicht.

      So oder ähnlich lief das ganze Gespräch. Versuche die Anschuldigungen zu entkräften wurden durch brillante Rhetorik, wie sie wohl dem höherem Dienst der Bundespolizei vorbehalten ist, zurückgewiesen. Rhetorik die einem einfachen ungebildeten Menschen wie mir die Sprache verschlägt und in Ehrfurcht erstarren lässt. Rhetorik mit Sätzen voller Weisheit und erlesenem Vokabular. Sätze wie: „Das sagt aber ein Hauptkommissar“. Wie konnte ein einfacher PK wagen die Darstellungen eines Hauptkommissars zu bestreiten. Allein das war eigentlich Grund genug mich zu entlassen. Weshalb sich POR Fahle nun um so sicherer gewesen sein dürfte. Zumindest waren, durch die Erwähnung des Dienstgrades, die Fronten geklärt. Das Gespräch hatte nur Alibifunktion und das Ergebnis stand schon fest. Selbst mir als begriffsstutzigem Beamten hätte damit klar sein müssen, dass es für mich nichts zu holen gab. Was es scheinbar nicht war. Sonst hätte ich einfach die Klappe gehalten.

      Sinn hätten meine Ausreden vielleicht gehabt, wenn sie gar nicht an POR Fahle sondern an PK Stumm gerichtet waren. Um so zumindest den Vertreter des Personalrats auf meine Seite zu ziehen. Ob so ein Unterfangen erfolgversprechend war ist eine andere Frage. Weder PK Stumm als Person noch der Personalrat als Ganzes hatten den Ruf die Interessen der von ihnen vertretenen Beschäftigten sonderlich interessiert zu vertreten. Zwar hatte ich selbst, schon mangels Gelegenheit, keine entsprechenden Erfahrungen gemacht. PK Stumms Verhalten während des Gesprächs, in dem er mit Ausnahme zur Begrüßung nicht ein Wort sagte, war jedoch nicht geeignet den Ruf zu widerlegen.

      Wahrscheinlich habe ich überhaupt nicht nachgedacht, sondern war