J.P. Conrad

Ort des Bösen


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zu verstehen gegeben hatte. Auslöser war eine Freundin von Alice gewesen, Tamara, mit der Jack mal etwas gehabt hatte und die er wie eine heiße Kartoffel hatte fallen lassen. Somit war Jack das ultimative Feindbild für Alice. Aber jetzt, ungeachtet dieser Antipathie, die sie gegen ihn hegte, war sie sicher in der gleichen Situation wie er: Sie sorgte sich um Felix.

      Es klingelte. Und klingelte. Jack glaubte schon, dass sie nicht Zuhause sei, als es im Hörer knackte.

      »Hallo?«

      »Hallo, Alice? Hier ist Jack. Jack Calhey.«

      Ein genervtes Stöhnen am anderen Ende; nichts anderes hatte er erwartet. Aber er ignorierte es; ebenso wie all ihre Sticheleien und unterschwelligen Beleidigungen zuvor. Er hatte sich nie auf dieses Niveau begeben und würde es auch weiterhin nicht tun.

      »Was willst du?«, fragte sie barsch.

      »Hast du was von Felix gehört?«

      Ein Schniefen. War sie erkältet? Oder hatte er Alice gerade tatsächlich dabei erwischt, wie sie sich aus Sorge um ihren Lebensgefährten in die Kissen weint?

      »Nein, du?«

      Jack setzte sich wieder neben Grace auf die Couch. »Nein, leider nicht. Ich mache mir, ehrlich gesagt, langsam Sorgen. So gar kein Lebenszeichen von ihm, seit fast zwei Wochen…«

      Alice brummte missmutig. »Ich hab schon vor über einer Woche bei der Polizei angerufen.«

      »Und?«

      Sie seufzte. »Alles Scheiße! Die sagten mir, dass sie nicht zuständig wären, weil er in Schottland verloren gegangen ist und haben mich an die Kollegen dort verwiesen«, erklärte sie entnervt. »Also habe ich dort angerufen und durfte anschließend ein Onlineformular ausfüllen. Dann haben sie mich kontaktiert und gesagt, sie würden sich darum kümmern und sich bei mir melden.«

      Jack war doch leicht erstaunt. »So? Und, gab es schon was?«

      Alice lachte verächtlich. »Quatsch! Das sind doch alles Hinterwäldler da! Keiner hat was von ihm gehört oder gesehen. Keine Einlieferung ins Krankenhaus.« Nach einer Pause füget sie noch, wesentlich kleinlauter, hinzu: »Keine unbekannten Leichen.«

      »Hey, ich bin mir sicher, dass sich bald alles aufklären wird. Wahrscheinlich steht er morgen schon wieder lachend vor uns und schwärmt von seinem verlängerten Highlands-Urlaub.« Jack glaubte selbst nicht an die Worte, die er sprach, und das konnte man hören.

      »Blödsinn«, entgegnete Alice auch sofort. »So verantwortungslos wie du ist er nicht; jedenfalls nicht mehr, seit wir zusammen sind.«

      Jack verzog die Mundwinkel. »Wieder die alte Leier.« Er wusste über die Vergangenheit seines Freundes Felix nicht allzu viel, außer, dass er ein ziemlicher Raufbold gewesen sein soll. Das hatte er selbst jedenfalls immer wieder behauptet und von diversen Jugendsünden gesprochen. Und auch Alice hatte in diesem Zusammenhang wiederholt und mit vor Stolz geschwellter Brust darauf hingewiesen, dass sie es gewesen war, die ihn schließlich geläutert hatte.

      »Hast du denn mal bei der Unterkunft angerufen, die er dort hatte?«, fragte Jack.

      »Nein. Er hat mir keine Adresse dagelassen, wo er übernachten wollte. Er wollte sich ja auch regelmäßig melden und sowieso nur drei Tage weg sein«, erklärte Alice. »Ich weiß nur, dass es ein kleines Bed and Breakfast war, das von einer älteren Frau betrieben wird.«

      Jetzt war es Jack, der missgestimmt brummte. Hatte nicht einmal die Polizei es für nötig gehalten, Alice diese Information zu geben? Oder hatten sie gar nicht erst soweit gefahndet? Vielleicht war hier doch sein Spürsinn gefordert; dieser gut trainierte Muskel, der ihm schon so oft bei der Jagd nach Schlagzeilen geholfen hatte.

      »Soll ich mich mal ein bisschen umhören?«, fragte er.

      Grace hob, hellhörig geworden, den Kopf.

      Ein paar Sekunden blieb es still am anderen Ende der Leitung. Aber Jack glaubte, erneut ein Schniefen vernommen zu haben.

      »Ja, klar. Mach nur. Aber was soll das groß bringen? Die Polizei ist ja schon eingeschaltet.«

      »Hörte sich aber nicht danach an, als ob sie wirklich eine Spur hätte. Alice, ich verspreche dir, ich werde mich darum kümmern. Ich versuche, Felix zu finden!« Er schielte zu seiner Frau, deren Augen immer größer wurden.

      »Okay, Danke.«

      Das ›Danke‹ hatte Alice deutlich Überwindung gekostet, was Jack mit einem innerlichen Schmunzeln zur Kenntnis nahm. Sie verabschiedeten sich und Jack legte das Telefon auf den Tisch. Wortlos starrte er für einen Moment, seinen Gedanken nachhängend, ins Leere. Dann sah er zu seiner Frau. Ihrem Blick konnte er entnehmen. dass sie genau wusste, was hier gerade vor sich ging. Er hatte dieses besondere Funkeln in den Augen, das er immer dann bekam, wenn er eine Witterung aufnahm; die Witterung nach einer Story. Sie hasste diesen Blick, denn er bedeutete für gewöhnlich, dass sie sich Sorgen machen musste. Nur diesmal würde Jack eben keiner brisanten Story nachjagen, sondern versuchen, Felix Byrne zu finden.

      Wie gefährlich konnte das schon werden?

      »Was hast du jetzt vor?«, fragte Grace, fast schon ängstlich.

      »Hast du doch gehört«, antwortete er nur knapp, denn er musste jetzt etwas Wichtiges erledigen, das keinen Aufschub duldete. Er nahm das Notebook auf seinen Schoß und ging ins Internet.

      »Du bist weder Polizist noch Privatdetektiv«, stellte Grace zu Recht fest. »Also was soll der Blödsinn? Lass doch die Profis ihre Arbeit machen und misch dich nicht immer ein!« Sie schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Gott, ich klinge wie meine Mutter!«

      »Aber wenigstens siehst du nicht aus wie sie, das macht einen Vorteil von mindestens fünfzig Prozent für mich aus«, antwortete er trocken, den Blick konzentriert auf das Display seines Computers gerichtet.

      Grace beugte sich in sein Sichtfeld und ihre blonden Haare fielen ihr vors Gesicht.

      »Du bist ein sturer Vollidiot«, sagte sie, aber ein Hauch von Ironie schwang in ihrer Stimme mit. »Was machst du denn da jetzt?«

      Eine Antwort erhielt sie nicht, Jack war gerade viel zu sehr beschäftigt. Allerdings verriet ihr ein Blick auf den Bildschirm, was er vorhatte, denn er war gerade dabei, die Flugverbindungen von Heathrow nach Schottland zu checken.

      Montag, 06. Oktober 2014 09:40 Uhr

      Der Hörer flog auf die Gabel und Detective Chief Inspector Hubert Macintosh kratzte sich mit unzufriedener Miene am Kopf.

      »Tja«, war sein erster Kommentar, der nicht gerade von Enthusiasmus triefte.

      Jack hatte dem für ihn einseitigen und recht kurzen Gespräch keinerlei hilfreiche Informationen entnehmen können. Ungeduldig rutsche er auf seinem Stuhl etwas weiter nach vorne.

      »Und?«

      »Also gesucht wird wohl nach ihm. Der zuständige Beamte ist allerdings gerade nicht da.«

      Jacks Mundwinkel wanderten nach unten. »Klingt ja super professionell.«

      »Ich habe vollstes Vertrauen in die Kollegen da oben«, erklärte Macintosh und hob besänftigend die Hand. »Sie befolgen ihre Vorschriften für die Suche nach vermissten Personen. Es ist schließlich ihre Pflicht.«

      Er hielt kurz inne, als ginge ihm etwas durch den Kopf, das mit dem Telefonat zusammen hing. Jack bemerkte das.

      »Was?«

      Der Inspektor machte eine herunterspielende Handbewegung. »Nichts.« Er bedachte sein Gegenüber mit einem eindringlichen Blick.

      »Diese Miss Spencer hat Ihnen wirklich keine weiteren Anhaltspunkte zu seinem Vorhaben geben können?«

      »Nicht mehr, als er mir selbst gesagt und geschrieben hat. Er wollte drei Tage fort bleiben und sich bei Alice zwischendurch telefonisch melden.«

      »Und das hat er