bekam, verbrannt. Davon wollte ich nichts mehr wissen."
So fasste ich mir ein Herz und fing mit Mutters Hilfe an, alles so gut wie möglich aufzuschreiben. Mutter bestand darauf, über ihre Vergewaltigung zu schreiben. Leider verstarb mir mein Vater am 06. Dezember 1986, bevor ich ihm den Bericht zu Weihnachten schenken konnte. Ich war untröstlich.
In der Meinung, diesen Bericht nicht verfallen zu lassen, machte ich mich an die Arbeit, die vielen Erlebnisse meiner Kindheit von vor der Flucht und nach der Flucht noch hinzu zu schreiben und setzte mich einfach mal an meine kleine alte Schreibmaschine, um dieses Gut meinen drei Kindern zu hinterlassen.
Als ich alles so einigermaßen fertig hatte, schenkte ich auch meinen beiden liebenswürdigen Bauersfrauen aus Kalleby, Frau Thea Hansen, verw. Struve, und Frau Jürgensen je ein erstes Exemplar als Dankeschön.
Daraus entwickelte sich mit Hilfe von Sigmar Rach, Georg Jürgensen, Elisabeth Hoeck, geb. Jürgensen, ihres Ehemannes Ernst Hoeck, Ingeborg Henningsen, geb. Jürgensen, Hans-Henning Jürgensen, Thea Hansen, verw. Struve, Gretchen Claußen, Willy Sachtler, Helmut Stampa, einigen kleinen Auszügen aus der Chronik über Kalleby von Markus Martensen und Aufzeichnungen meines Vaters, die ich teilweise erst 1995 erhielt, das jetzt vorliegende kleine Büchlein als 2. Auflage. Ich danke Ihnen allen für ihre wertvolle Hilfe. Ganz besonderer Dank gebührt Frau Thea Hansen, verw. Struve, für Ihre damalige Hilfeleistung uns gegenüber.
Die Verfasserin
Stargard in Pommern
Dank sage ich meinen Eltern
Joachim Stampa und Christa Stampa geb. Teske
für sieben unbeschwerte Kinderjahre.
1944
Wie fröhlich bin ich aufgewacht.
Wie hab' ich geschlafen so sanft die Nacht.
Hab Dank im Himmel, oh Vater mein,
dass Du hast wollen bei mir sein.
Nun sieh auf mich auch diesen Tag,
dass mir kein Leid geschehen mag.
Mutter ging von Bettchen zu Bettchen, weckte uns Rasselbande, faltete unsere kleinen Hände und betete mit uns jeden Morgen unser Morgengebet. Danach wurden wir gewaschen und angezogen.
„Was möchtet ihr zum Frühstück essen? Ich habe Grießbrei und Paulys Nährspeise." Das war Mutters liebevolle Frage. Wir hatten morgens immer großen Hunger.
„Ich möchte Paulys Nährspeise essen!" sagte ich. Paulys Nährspeise war eine Nährmittelspeise mit Schokoladengeschmack.
In unserer Wohnstube, die links von unserem Flur vor unserer Kinderstube lag, war schon der Frühstückstisch gedeckt. Jeder setzte sich auf seinen Stammplatz. Mit dem Essen wurde erst angefangen, wenn Vater den Löffel in die Hand nahm.
Heute früh war Vater aber schon zur Stadtverwaltung zum Dienst gegangen. So warteten wir darauf, dass Mutter den Löffel in die Hand nahm. Bei Tisch wurde nie gesprochen. Wer mit dem Essen fertig war, legte seinen Löffel beiseite und wartete stillschweigend darauf, dass der Letzte mit dem Essen fertig war. Erst dann durfte gesprochen werden. Nun sagte Mutter: „Mahlzeit." Das war das Zeichen für uns, dass wir aufstehen konnten.
In der Zwischenzeit war schon Mutters Hilfe für den Haushalt, Lotte Klawitter, gekommen und hatte unsere große Kinderstube gelüftet, aufgeräumt und gereinigt. Hier befanden sich auch noch außer unseren Bettchen in verschiedenen Größen Tischchen und Stühlchen.
Während Rotraut, Hermann und Dankwart in den Hof gingen, setzten wir kleineren Geschwister uns an die Tischchen und malten, spielten oder bastelten. Papier und Buntstifte waren genügend vorhanden.
Während Lotte Klawitter in der Wohnung war, ging Mutter zum Einkaufen und bereitete danach das Mittagessen.
Weil ich nicht die ganze Zeit bis zum Mittagessen stillsitzen konnte, nahm ich mir meinen Kreisel und die Peitsche und ging auf unseren Bürgersteig. Dort wickelte ich das Peitschenband in die Rillen meines bunten Kreisels, bis es ganz bis zum Peitschenstiel darauf aufgewickelt war. Während ich noch den Kreisel mit dem Ende der Peitsche in der linken Hand hielt, bückte ich mich, stellte den Kreisel mit der Spitze auf den Gehsteig und zog mit großem Schwung mit der rechten Hand die Peitsche weg. Mit dem Abrollen des Bandes wurde mein Kreisel gedreht und tanzte nun auf dem Weg. Gezielt schlug ich mit der Peitsche das Band immer wieder unten an den Kreisel und zog es genauso schnell wieder ab, so dass er je nach meiner Fertigkeit kürzer oder länger tanzte.
Auch holte ich mir meinen kleinen Holzroller aus dem großen Vorraum, Dazu musste ich von draußen durch die große Haustür gehen. Von hier aus führten auch die Treppen hoch zu den oberen Wohnungen.
Rotraut besaß einen großen Tretroller, mit dem sie jetzt auch rollerte. Das war vielleicht ein prima Patent mit dem Tretpedal vor dem Hinterrad! Während Rotraut mit einem Fuß auf dem Roller stand, trat sie mit dem anderen Fuß laufend auf dieses Tretpedal. Dadurch hielt sie den Roller in Bewegung.
Jetzt gab sie ihn mir und fragte mich, ob ich nicht auch einmal darauf fahren möchte. Und ob ich wollte! Aber ich war einfach noch zu klein für diesen großen Roller. Meine Ärmchen mussten zu dem Lenker so hoch reichen, dass ich große Schwierigkeiten bekam, ihn überhaupt zu lenken. So gab ich ihn ihr ganz traurig wieder zurück. Mein kleiner Roller war mir nun doch viel lieber.
Als Vater mittags nach Hause kam, nahm er uns gleich mit in unsere Wohnung. Drinnen war schon der Mittagstisch gedeckt worden. Es duftete herrlich nach Tomatensuppe und Nudeln! Erst wurden unsere Hände gewaschen und dann ging es sofort in die gute Stube zum Mittagessen.
Vater verschwand nach dem Essen in seinem Arbeitszimmer. Es befand sich von der Wohnungstür aus gleich als erstes Zimmer links vor dem Wohnzimmer, unserer guten Stube. Wir durften dort nicht allein hinein. An den Wänden befanden sich große Bücherschränke und vor dem Fenster stand schräg Vaters großer Schreibtisch.
Lotte Klawitter war schon lange vor dem Mittagessen nach Hause gegangen, wie sie es jeden Tag machen konnte. Darum spülte Mutter das Geschirr und zog uns etwas über; denn sie wollte mit uns spazieren gehen.
Weil Vater wieder ins Büro musste, nahm er sich seine Jacke von dem Hirschgeweih, das auf dem Flur als Garderobenstange befestigt war - ein Geschenk seines Großvaters, des Försters aus Rackitt - und half Mutter noch dabei, den Kinderwagen für meine kleinste Schwester Ursula, die am 26.02.1944 geboren worden war, nach draußen zu bringen. Nun ging er wieder in das Rathaus, wo er als Stadtinspektor im Kulturamt tätig war.
Mutter versammelte uns Kinder alle um sich und ging mit uns die Blücherstraße entlang, in der wir in dem Haus Nr. 12A wohnten, in Richtung Eisturm. Die beiden kleinen Geschwister Bärbel und Friedemann, die schon laufen konnten, fassten beide an je einer Seite des hübschen Korbwagens an, dessen Verdeck innen mit rosa Atlasseide drapiert und mit Fransen umrahmt war.
In der Blücherstraße befanden sich beidseitig Häuser mit drei Stockwerken. Der Eisturm stand schon immer am Blücherplatz. Wir gingen rechterhand daran vorbei, über den Blücherplatz und hinunter zur Ihna, dem Fluss, an dem Stargard liegt.
Wir überquerten die Ihna auf der Jungfernbrücke und schlugen den Weidensteig ein, der gleich links unter hohen Bäumen an der Ihna entlang führte. Mutter hatte uns eingeschärft, nicht aus ihrer Nähe hinunter zum Wasser zu gehen, weil wir dann ertrinken würden. Es befand sich nämlich kein trennender Zaun zwischen dem Fluss und dem Weidensteig.
Die Sonne schien und spiegelte sich in dem dahin fließenden Wasser. Von beiden Ufern hingen die Zweige der Bäume tief zum Wasser herab. Es war hier sehr idyllisch.
Mutter hatte diese Richtung eingeschlagen, weil sie mit uns wie fast jeden Tag zu ihren Eltern Teske in die Luisenstraße beim Luisenplatz wollte. Ihre Eltern wurden von uns Oma und Opa Lu genannt. Lu ist die Abkürzung für Luisenstraße; denn unsere andere Oma, die Mutter unseres Vaters, wohnte am Blücherplatz