Hermine Stampa-Rabe

Spannt die Pferde vor den Wagen!


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Opa Lu angekommen, ging die große liebevolle Begrüßungszeremonie los. Jeder wurde gedrückt. Dann verteilten wir uns dort auf dem Grundstück.

      Während Rotraut zu Opa Lu in die Schmiede ging - denn Opa Lu war Schmiedemeister und hatte viele Pferde zu beschlagen und viele interessante Gegenstände zu schmieden - gingen meine Brüder Hermann, Dankwart und Helmut in den Hof zu den vielen Pferdewagen und Kutschen, die hier standen. Darauf konnten sie schön lange herumturnen, ohne dass sie Langeweile bekamen.

      Mich nahm Oma Lu aber gleich mit zu sich in ihre Küche.

      „Du sollst jetzt dein Zucker-Ei bekommen", sagte sie dann lächelnd. Das wusste ich schon und konnte das Folgende kaum abwarten. Sie nahm aus ihrem Küchenschrank eine Muck, teilte ein Hühnerei, schlug das Eiweiß zu Eierschnee steif, ließ das Eigelb hineingleiten, tat noch Zucker hinein und rührte alles vorsichtig um. Und dann verschlang ich mit Genuss mein Zucker-Ei. Dabei sah sie mir schmunzelnd zu.

      „Na, mein Zucker-Ei, bist du nun satt? Hat es dir gut geschmeckt?"

      „Ja, das hat gut geschmeckt!" war meine Antwort.

      Den Namen Zucker-Ei hatte ich mir wohl richtig verdient.

      Danach ging auch ich zu Opa Lu in die Schmiedewerkstatt und sah ihm zu, wie er gerade ein Pferd beschlagen wollte. Mit einer sehr langen Eisenzange holte er aus der glühenden Esse ein glühendes Hufeisen und drückte es dem Pferd unter den hochgehaltenen Huf, dass es nur so dampfte und nach verbranntem Horn roch. Nun nagelte er es mit Hufnägeln fest.

      Die Pferde standen dabei natürlich nie von allein still. Sie hatten in der für sie fremden Umgebung Angst. Dabei halfen meinem Opa Lu dann seine Schmiedegesellen, die das Pferd festhalten mussten. Wenn ich nur an die alte Zeit denke, meine ich noch heute, diesen eigenartigen Geruch zu riechen.

      Aber lange hielt ich mich nicht in der Schmiede auf. Draußen befand sich auch Oma Lu’s Blumengarten. Hier setzte ich mich auf die weiße Bank und schaute mir die Blütenpracht an.

      Rechts befand sich auf dem Stallgebäude der Taubenschlag mit Mutters weißen Brauttauben und den blau-weißen Strassertauben. Der Anblick dieser herumfliegenden und gurrenden Tauben nahm für lange Zeit meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Brauttauben konnten sogar mit ihrem Schwanz ein Rad schlagen. Mutter konnte sie nicht mit in die Blücherstraße 12A nehmen. Darum erfreuten wir uns immer bei ihren Eltern daran.

      Gegen Abend holte uns Mutter wieder alle zusammen und zog uns wieder ordentlich an. Oma Lu oder Tante Wanda, die Frau von Mutters Bruder Hans, halfen gern dabei. Dann verabschiedete sich und ging mit uns wieder den Weidensteig entlang zurück nach Hause. Dort bereitete sie das Abendessen; denn Vater musste gleich nach Hause kommen.

      Nach dem gemeinsamen Abendessen hieß es heute wie immer einmal in der Woche: "Heute wird gebadet."

      Das war eine große Freude für uns! Das Wasser wurde in die Badewanne gelassen und wir Kinder wurden alle zusammen dort hineingesetzt. Die Wanne war voll. War das ein Spaß! Wir durften so viel plantschen, wie wir wollten. Dass das ganze Badezimmer unter Wasser gesetzt wurde, spielte keine Rolle. Das Wasser wurde hinterher von Mutter wieder aufgewischt. Vater fing bei den Jüngsten von uns Geschwistern an, uns abzuseifen. Mutter nahm uns mit dem Trockentuch in Empfang und steckte uns nacheinander in unsere Bettchen.

      Weil Vater heute Abend noch einmal weggehen musste; denn er war für die Organisation des heutigen Konzertes verantwortlich, fragte mich Mutter:

      „Möchtest du in Papis Bett schlafen? Er kommt heute später nach Hause."

      „Ja, gern!" war meine Antwort.

      So durfte ich in seinem Bett einschlafen. Das Elternschlafzimmer befand sich neben unserem Kinderzimmer. Eine Tür verband sie miteinander. Auf den Nachttischen neben Vaters und Mutters Bett befanden sich Lampen. In der einen konnte ich eine rote Birne und in der anderen eine blaue Birne anknipsen.

      Und irgendwann spät in der Nacht holte mich Vater ganz vorsichtig aus seinem von mir in der Zwischenzeit angewärmten Bett und legte mich in meines. Davon habe ich nie etwas gemerkt. Aber schön war es, mit Mutter in einem Zimmer zu Bett zu gehen, noch etwas zu erzählen und dann irgendwann ganz glücklich einzuschlafen.

      Natürlich wurde vorher noch gebetet. Mutter ging hier wieder von Bettchen zu Bettchen. Am Fußende eines jeden Bettchens stand ein Stuhl, auf dem schon die Garderobe des- oder derjenigen für den nächsten Tag schön fein säuberlich zusammengefaltet lag. So kam sie auch zu mir. Ich sollte meine kleinen Hände falten, und dann sprach sie auch mit mir das Abendgebet:

      Ich bin klein.

      Mein Herz mach’ rein.

      Soll niemand drin wohnen

      als Jesus allein.

      Amen.

      So verliefen die meisten Tage.

      Verspürten wir mal ein menschliches Bedürfnis, dann gingen wir in unsere Badestube. Der Toilettenkörper war mir aber zu hoch. Für diesen Zweck stand daneben ein Töpfchen. Und weil unser Badezimmer kein Fenster hatte und ich deshalb dort nicht sitzen wollte, nahm ich mir das Töpfchen und ging damit in die Speisekammer und schloss von innen die Tür einfach ab.

      In der Speisekammer war es hell. Das Fenster stand offen. Außerdem roch es sehr appetitlich. Hier setzte ich mich auf mein Töpfchen. Nach einiger Zeit - es war ein Sonnabend und Vater war zu Hause - hörte ich ihn rufen:

      „Mini, wo bist du?"

      Mutter und ihm war in der Zwischenzeit aufgefallen, dass ich nicht mehr da war.

      „Hier bin ich, in der Speisekammer!" rief ich zurück.

      Vater kam zur Speisekammertür und wollte sie öffnen. Aber das ging ja nicht.

      „Schließ schnell von innen auf", sagte er mir.

      Ich versuchte es, aber umsonst. Meine kleinen Finger waren nicht stark genug.

      „Ich kann nicht", sagte ich schon weinerlich, weil ich es jetzt mit der Angst zu tun bekam.

      Nach einer kurzen Pause sagte Vater: "Mini, du brauchst nicht zu weinen. Ich hole dich da gleich wieder heraus. Ich komme durch das Kammerfenster. Du musst noch etwas warten."

      „Ja", sagte ich ganz verängstigt.

      Und tatsächlich hörte ich Vater und Mutter draußen auf dem Hof mit etwas hantieren. Plötzlich erschien am Kammerfenster das obere Ende unserer großen Leiter. Kurz darauf erschien Vater dort oben.

      „Komm her zum Fenster.“

      Ich kletterte auf das Regal und ließ mich gern von ihm durch das Fenster nach draußen ziehen. Natürlich sollte ich den Schlüssel mitnehmen. Vorsichtig kletterte er mit mir die Leiter wieder zurück in den Hof, wo Mutter stand und dafür sorgte, dass diese nicht wegrutschen konnte.

      „Das darfst du aber nie wieder machen", bekam ich nun zu hören. Das versprach ich sofort.

      Wir hatten Glück, dass wir parterre wohnten. Gleich unter unserem Kammerfenster ging die Treppe hinunter zum Keller. Das hatte das Rettungsmanöver etwas erschwert.

      Meine Geschwister waren natürlich auch alle mit auf dem Hof und hatten interessiert zugeschaut. Weil nun alles so glücklich verlaufen war, schlug Vater vor, dass wir wieder an der Leiter turnen durften. Dazu hielten er und Mutter die Leiter von beiden Seiten fest. Das eine Ende stand auf dem Hof und das andere Ende zeigte steil in die Höhe.

      Altersmäßig nacheinander durften wir nun turnen. Rotraut fing als Älteste an. Dann kamen Hermann und Dankwart an die Reihe. Nun durfte ich anfangen. Ich sollte auf der einen Seite der Leiter nach oben klettern, oben auf die andere Seite steigen und wieder herunterkommen. Anschließend kamen meine jüngeren Geschwister Helmut und Friedemann an die Reihe. Bärbel war noch zu klein. Jeder turnte so hoch, wie er es wagte.

      Danach sollten wir uns zwischen den Sprossen hindurch winden, um auf die andere Seite zu gelangen und von dort wieder nach der nächsten Querstrebe hindurch auf die erste Seite und so fort bis zum obersten Ende. Dabei entwickelte ich einen großen Ehrgeiz.