mit dem stattlichen Geweih
kam auch der Onkel Hirsch herbei.
Und all die kleinen Vögelein,
die wollen sich mit dem Häschen freuen.
Häschen hat Geburtstag, trallalalala, trallalalala,
Häschen hat Geburtstag, trallalalala.
In der Wohnstube stand auf unserem hohen Schrank ein schwarzes Radio. Dort kamen mit einer ganz bestimmten Musik von Zeit zu Zeit Nachrichten durch. Vater war ja auch schon längst bei den Soldaten in Neubrandenburg.
„Irgendwo tobt der Krieg“, sagte Mutter.
Das hatten wir Kinder auch schon begriffen. An ein Lied, das dann immer über den Äther kam, erinnere ich mich noch ganz genau. Ich kenne sogar noch die richtige Melodie. Es hieß:
Und wenn es rummst und kracht,
dann weiß man es genau:
Das war der Flugzeugführer von der "Wilden Sau".
Und irgendwann fingen dann zu sonderbaren Zeiten draußen die Sirenen zu heulen an. Sofort mussten wir alles stehen- und liegen lassen; denn wir mussten so schnell wie möglich in den Luftschutzbunker eilen, der sich auf dem Hof befand und in dem es sehr schmal und eng war. Stühle standen an den beiden langen Wänden.
Angst machte sich bei meinen Eltern und Großeltern breit. Es wurde besprochen, wie wir flüchten wollten. Auch uns Kinder ergriff eine große unbekannte Unruhe. Sie steckte wohl an.
Am 07. Februar 1945 hieß es dann, dass wir morgen mit dem Pferdefuhrwerk mit dem Treck flüchten werden. Draußen konnten wir schon Kanonendonner aus der Ferne vernehmen. Mittags kochte uns Mami noch Fliederbeersuppe mit Klößen, meine Lieblingssuppe.
Im Ton der festen Überzeugung sagte Vater zu uns: "In einem halben Jahr kommen wir wieder zurück."
Ich weiß nur noch, dass wir alle in der letzten Nacht bei Oma und Opa Lu in der Luisenstraße schliefen. Ich kam in das Doppelbett zu meiner Tante Wanda und meiner Cousine Waltraud. Mami sprach mit mir noch das Abendgebet, das sie jeden Abend mit uns Kindern gebetet hatte:
Ich bin klein.
Mein Herz mach’ rein.
Soll niemand drin wohnen als Jesus allein.
Amen.
Die Flucht aus Stargard in den Westen
In großer Dankbarkeit an meine Mutter,
die einen so starken Glauben an Gott besaß,
dass sie uns und sich nicht das Leben
aufgrund der unmenschlichen Ereignisse nahm
und an meinen Vater, der uns aus diesem Elend holte.
Oma Lu stand ganz gegen ihre Gewohnheit am Fenster und hielt Ausschau. Sie hatte die Ahnung, dass ihre Nichte, Frieda Huß geb. Klabunde, mit ihrem Mann Willi Huß inmitten all der Flüchtlings-Treckwagen sitzen musste. Und tatsächlich! Plötzlich erblickte sie sie zwischen dieser Kolonne, obgleich sie ganz vermummt war; denn es herrschte draußen eine Kälte von -20o Celsius. Oma riss das Fenster auf und rief:
„Frieda! Frieda!"
Frieda und Willi Huß hörten sie, winkten und scherten aus dem Treck aus und fuhren auf Opa Lu's großes Grundstück. Sie kamen mit zwei Wagen. In dem einen saßen sie. Zwei Schimmel „Minka" und „Perle" waren davor gespannt. Ihr ganzes Hab und Gut hatten sie darin verstaut. Auf dem zweiten Wagen saßen mehrere Schwarzmeerdeutsche. Vor diesem Wagen gingen drei Füchse: zwei große und ein kleinerer. Auf diesem Wagen befand sich nur Pferdefutter.
Nun fielen sich die beiden Frauen in die Arme und gingen ins Haus.
Vater kam auch zum Luisenplatz. Frieda Huß fragte ihn:
„Können wir nicht Christa und eure Kinder mitnehmen? Ein Pferd haben wir über. Das könnt ihr haben. Nur einen Wagen müsst ihr euch selber besorgen. Auch den Kutscher können wir euch stellen."
Daraufhin überlegte Vater, wer ihm einen Wagen geben könnte. Er fragte bei einem Landwirt in der Schelliner Straße nach. Dieser schickte uns sofort einen Wagen auf die Luisenstraße, den Vater gleich für uns ausstaffierte. Die Teppiche brachte er oben als Dach an. Dann haben Vater und Mutter unsere letzten Sachen auch noch gepackt und alles in den Pferdewagen gesteckt. Ganz oben lagen die Matratzen und Oberbetten. Es wurde nur noch auf den Befehl gewartet: „Wir müssen fahren!"
Eigentlich war Mami mit ihrer Schwester, Frieda Stampa geb. Teske, verabredet. Mit ihr wollte sie mit uns allen allein mit der Bahn flüchten. Aber durch die Verwandten aus dem Wartegau und Vater, der jetzt in Neubrandenburg als Soldat Dienst tat und immer mal kurz Sonntagsurlaub bekam, wurde beschlossen, mit dem Treck statt der Eisenbahn zu flüchten.
Die Pferde standen alle bei einem Schlachter in der Luisenstraße im Stall, wo sie von den Schwarzmeerdeutschen gepflegt wurden. Das kleinste davon wurde für uns abgestellt.
Oma Blücher wollte mit uns zusammen flüchten und kam zu meinen Großeltern zur Luisenstraße. Als sie dieses kleine Pferdchen sah und hörte, dass es allein unseren großen Treckwagen ziehen sollte, sagte sie ganz ungläubig:
„Was, die Katz? Die schafft das doch nie!"
Aber es war stärker, fleißiger und zäher als vier andere Pferde zusammen. Es hieß „Nis Fuchs".
Jetzt kam Mamis Onkel Franz, der Bruder ihres Vaters und weinte, als er sah, dass wir flüchten mussten. Er war kein Hitler-Freund und hatte schon gleich von Anfang an immer gesagt:
„Wenn wir Hitler wählen, dann gibt es Krieg."
Und nun standen wir ja vor dieser unabänderlichen und schrecklichen Tatsache.
Es war unsere letzte Nacht in Stargard, die wir alle bei Oma Lu verbrachten. Im Haus war nichts mehr zum Heizen. Alles war sehr kalt. Frieda Huß und ihr Mann - das Gutsbesitzerehepaar - haben beide in der Essstube auf dem Sofa geschlafen. In der Schlafstube schlief Oma Lu mit Dankwart und in Opa Lu's Bett Mami mit Rotraut. Er selbst schlief bei seiner Tochter Frieda Stampa geb. Teske in der Zarziger Straße. Meine anderen Geschwister waren auch noch alle in der Wohnung zum Schlafen verteilt worden.
Die Schwarzmeerdeutschen schliefen bei der Familie Bobrich.
In dieser Nacht war es so furchtbar kalt im Haus. Unsere Toilette befand sich auf dem Flur. Frieda Huß musste in dieser Nacht zur Toilette. Unter normalen Umständen war es hier bei Oma Lu genauso wie auf dem Gut bei Frieda gemütlich warm. Nur jetzt nicht. Bei der Kälte wollte sie nicht aus der Stube gehen. So musste ihr einen Eimer geholt werden. Ihr Mann musste ihn danach wieder wegbringen. Er war darüber sehr böse und sagte:
„Frieda, du bist eine echte Pottsau!"
Diesen Spitznamen hatte sie nun für die Zukunft weg.
Der Kanonendonner war schon sehr gut vor Stargards Toren zu hören. Für den Fall, dass wir überraschend in der Nacht fliehen müssten, lagen wir alle komplett angezogen im Bett. Am nächsten Tag sollten wir aufbrechen.
Oma Blücher musste geholt werden. Sie brachte ihre zwei kleinen Zwerghühner mit zu Oma Lu, wo sie bis zur Flucht von Mutters Eltern, die später auch aus Stargard flohen, bleiben sollten.
Es war der 08. Februar 1945. Unsere Devise lautete:
„Spannt die Pferde vor den Wagen. Heute müssen wir fort. Aber bald kommen wir wieder zurück!"
Draußen lag Eis und Schnee. Der Treck, der durch die Luisenstraße fuhr, riss nicht ab. Für die Pferde barg die vereiste Straße große Gefahren. Wenn eins ausglitt, konnte es sich leicht ein Bein brechen, und das war das sichere Todesurteil für dieses Pferd. Willi Huß hatte aber vorgesorgt. Er trug eine ganze Menge Stollen (Eisenstifte) bei sich, die er in die Hufeisen der Pferde steckte, damit diese sicher auf dem Glatteis laufen konnten.
Sehr