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Bookwire #7


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gäbe es ein Unglück! Als ob ich das nicht selbst wüsste. Naomi und ich sind schließlich diejenigen, die schon seit Tagen am Warten sind. Ich hoffe stark, er hat keine Einwände, dass du dabei bist.«

      Anker verlangsamte seine Schritte. Sie befanden sich nun unmittelbar vor dem Wachhäuschen des Hochschulareals. Der Professor feixte Keli für einen kurzen Moment spitzbübisch zu, dann verzog er sein Gesicht zu einer dümmlichen Grimasse. Keli musste lachen, als sie das sah, doch warum Anker sein klobiges Antlitz so lächerlich verunstaltete, wurde ihr erst im nächsten Augenblick bewusst. Anker stapfte erhobenen Hauptes auf das Wachhäuschen zu. Diesmal zog er nicht den Professorenausweis hervor, sondern ein kleines, nachtblaues Büchlein.

      »Botschafterin Lanthorn, könntet Ihr auch mal rasch Euren Pass hervorholen?«, schnaubte Anker übertrieben hochmütig durch die Nase.

      Keli begriff sofort und zog gleichermaßen wichtigtuerisch den Diplomatenpass hervor und streckte diesen dem Wachmann vor das Gesicht. Der stämmige Aufseher nahm die zwei Pässe mit sichtlichem Entsetzen in Augenschein. Sofort erhob er sich, strich sich das fettige Haar aus dem Gesicht und kam dann eilig aus dem Häuschen herausgestolpert.

      »Eure Exzellenzen – äh, ich meine ›erhabene Botschafter‹ – zu Euren Diensten. Sonpick ist mein Name. Vergebt mir meine unreine Erscheinung. Darf ich Euch zu Eurer Destination geleiten?«, stammelte der junge blonde Mann, dem das Gesicht puterrot angelaufen war.

      »Das wird nicht nötig sein. Wir gehen nur kurz ins Hospital, um jemanden abzuholen, dann machen wir uns wieder auf den Weg«, meinte Anker hochnäsig seine Fingernägel betrachtend.

      »Sehr wohl, werte Botschafter, sehr wohl«, sagte der schlaksige Mann und verbeugte sich tief, als Anker und Keli an ihm vorbeigingen. Keli fühlte sich ein bisschen verlegen, aber zugleich auch belustigt. Nie hatte ihr irgendjemand solchen Respekt entgegengebracht, und nun wurde sie plötzlich wie eine Prominente behandelt. Was würde noch alles auf sie zukommen?

      Augenblicke später hatten sie das dunkle, mit langen Baumwurzeln überwucherte Klinikgebäude erreicht, das vor ihnen weit in die Höhe ragte. Anker trat durch die sich selbst öffnende Eingangstür. Keli folgte ihm zum Fahrstuhl, den sie auch schon verwendet hatten, als sie Loyd am Tag zuvor besuchten. Als sich der Fahrstuhl schloss, brach Anker in grölendes Gelächter aus.

      »Entschuldige den Scherz eben. Wir wären natürlich auch mit dem Professorenausweis in den Campus reingekommen, aber ich wollte, dass du siehst, wie ein Diplomatenpass auf die Beamten wirkt. Einen solchen Effekt hat das meistens aber nur in gehobeneren Kreisen. Viele aus den unteren Schichten wissen nicht einmal, dass es ein solches Dokument überhaupt gibt. Hast du übrigens gehört, wie er sich anfangs verhaspelt hat? Er hat uns als ›Exzellenzen‹ angesprochen, obwohl man das nur bei Diplomaten aus anderen Staaten tut. Da wir Bürger von Lichterloh sind, sind wir ganz einfach ›Botschafter‹.«

      »Alles klar. Ich werde es mir merken«, sagte Keli beherrscht, die sich die Gepflogenheiten der Hochrangigen so rasch wie möglich einprägen wollte.

      Sie waren vor dem Krankensaal angelangt, in dem Loyd stationiert war. Als Anker die Doppeltür mit seinem Bauch aufstieß, war Loyd auf den ersten Blick nicht zu entdecken.

      »Verflixt!«, brummte Anker resigniert lächelnd. »Wo treibt sich der Hecht wohl wieder rum?«

      »Von wegen ›rumtreiben‹«, kam es aus der Ecke links neben der offenen Tür. Loyd saß im Schneidersitz auf einem Stuhl und ließ das massive Lehrbuch sinken, hinter dem sein Kopf versteckt gewesen war. Er hatte eine dicke Lesebrille aufgesetzt, die, wie Keli dachte, Loyd ziemlich affenartig aussehen ließ.

      »Gewartet habe ich, und zwar die ganze Nacht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir schon gestern Abend aufbrechen können«, sagte Loyd vorwurfsvoll.

      »Loyd, eins nach dem anderen. Du hast körperlich und seelisch eine schwere Zeit hinter, sowie vor dir. Und überhaupt, ›aufbrechen‹? Wohin es geht und warum die Expedition überhaupt angeordnet wurde, weißt du ja noch nicht einmal«, stellte Anker in ernstem Ton klar und stapfte mit finster verengten Augen auf ihn zu. Ankers gigantischer Schwabbelbauch kam wenige Zentimeter vor Loyds Knien zur Ruhe. Er neigte seinen Kopf vor und blickte auf den dicken Wälzer hinunter, den Loyd noch immer offenhielt. Loyd verzog sein Gesicht gleichermaßen zu einer skurrilen Grimasse und sah böse zu ihm auf.

      »Mhm, mhm, du bist jetzt erst an deinen Hausaufgaben? Die Ferien sind bald vorbei und unser lieber Loyd ist noch nicht einmal fertig mit seinen Arbeiten. Was soll ich denn davon halten? So geht das aber gar nicht. Ich glaube, ich muss aufhören, dir Vorträge zu halten und dir lieber mal die Leviten lesen!«, rüffelte Anker, dessen Stimme zunehmend lauter geworden war. Keli wusste nicht, was da vor sich ging, oder warum Anker auf einmal so wütend war. Würde die Lage eskalieren? Würden sie sich … würden sie sich etwa schlagen? Dann brachen beide, Loyd und Anker, in schallendes Gelächter aus. Loyd hüpfte auf die Beine und tauschte einen heftigen Handschlag mit Anker. Anschließend klopfte ihm Anker freundschaftlich auf den Rücken. Keli stand vollkommen baff da und verstand die Welt nicht mehr.

      »Altes Haus. Ich habe echt gedacht, du würdest ohne mich losziehen, als ich nicht von Hildenberge wegkonnte«, sagte Loyd beschwingt.

      »Unsinn! Als mich deine zweite Lichtmail aus Hildenberge erreichte, in der du die Geräusche aus dem Gletscher und das Erdbeben erwähntest, habe ich mich sofort mit einem Rettungstrupp auf die Socken gemacht, um nach deiner Familie und dem Rest des Dorfes zu sehen. Leider war es schon zu spät und die Lichtmails, denen wir dann als Wegweiser folgten, haben uns schließlich bis zum Laternenweiher gelotst, wo Keli versuchte, dich huckepack zu nehmen. Du hast wirklich eine intelligente und tapfere Schwester, und du solltest stolz auf sie sein.«

      Loyd seufzte plötzlich tief und senkte den Blick entmutigt zu Boden. »Verdammtes Unglück. Ich kann noch immer nicht fassen, was passiert ist«, flüsterte er voller Kummer und ballte dabei die Hände zu Fäusten.

      »Keli, komm her!«, winkte sie Anker zu sich. Keli trat zu den zweien hinzu, woraufhin Anker den Blick der trauernden Geschwister suchte. »Hört mal zu, ihr beiden. Es tut mir unendlich leid, was euch, euren Eltern und der Gemeinde Hildenberge widerfahren ist, aber man kann es nicht mehr ändern. Ich weiß, es ist hart, aber lasst uns gemeinsam nach vorne blicken, denn was man beeinflussen kann, ist einzig die Zukunft, sonst nichts. Wir alle haben eine schwierige Zeit vor uns und müssen unsere Kräfte bündeln und vereinen, um dem entgegenzutreten, was uns unseren gesamten Fokus abverlangen wird. Loyd, ich habe es gestern Keli schon mitgeteilt: Eure Eltern sind vielleicht noch nicht verloren. Wenn sie tatsächlich von einem Sonnenloch verschluckt wurden, besteht die Chance, dass sie noch leben.«

      »Ich wusste es!«, jubelte Loyd urplötzlich und machte einen Luftsprung.

      »Schhhhh!«, zischte Anker, als ein Krankenpfleger, der gerade mit dem Versorgen der bandagierten Kinder aus Hildenberge beschäftigt war, empörte Blicke zu ihnen hinüberwarf.

      »Ok. Von jetzt an wird nur noch geflüstert«, bedeutete Anker leise. »Also, die Sache ist die: Der Vorgang der Sonnenlochinfiltration ist tatsächlich in einem Schriftstück der frühen Neuzeit beschrieben und ich weiß, dass ich schon mal über diesen Mechanismus gelesen habe. Nur, das Dokument wird, so vermute ich, irgendwo in der Sonderabteilung der Universitätsbibliothek des Lichterloh-Campus verwahrt. Einerseits müssen wir es zuerst suchen und andererseits werden wir wegen der Überschwemmung für einige Wochen nicht in die Nähe von Hildenberge gelangen können. Lasst uns diese Angelegenheit, sobald wir aus Kael zurück sind, in Angriff nehmen. Bis dahin sollten die Bergungsleute den Weg wieder freibekommen haben. Loyd, nun zu dir«, sagte Anker kurz angebunden und fixierte ihn scharf. »Ich habe dich gestern Abend über meinen Entscheid, Keli ins Zentrum mitzunehmen, per Lichtmail unterrichtet und ich denke, die Botschaft ist auch angekommen. Hast du dagegen etwas einzuwenden?«

      Loyd sah nachdenklich drein. Gerade eben war er noch strikt dagegen gewesen, dass Keli mitkam und hatte Anker eigentlich von seinem risikoreichen Vorhaben abbringen wollen. Keli war noch viel zu jung und unbesonnen, um dem Schrecken im Geschwärzten Zentrum standhalten zu können. Doch mit der neu erlangten Aussicht darauf, dass ihre Eltern vielleicht noch lebten, änderte sich natürlich